Rechtsradikalismus in Tschechien und Deutschland

Es gibt sie überall in Europa, und in Deutschland waren sie vielleicht DAS Thema des Jahres: Rechtsradikale. Auch Tschechien hat seine braune Brut. Sie tragen Springerstiefel, spielen auf ehemaligem Militärgelände Krieg und grölen zu ausländerfeindlicher Rockmusik. In Deutschland würden sie sagen: "Ganz wie bei uns". Stimmt, mit einigen kleinen Ausnahmen. In Tschechien übertreffen sich die Neonazis gegenseitig an Paradoxie. Sie verehren Rudolf Hess und lesen Hitlers "Mein Kampf". Ganz so, als ob sie nicht wüssten, dass auch die Tschechen bei den Nazis nur als Menschen zweiter Klasse galten. Was hat Rechtsradikalismus für Ursachen, was sind seine Ausdrucksformen in Tschechien? Diesen Fragen wollen wir in unserem heutigen Schauplatz nachgehen, am Mikrofon begrüßt Sie Jürgen Webermann und Olaf Barth.

Hrensko, ein idyllisch an der Elbe gelegenes Dorf an der Grenze zu Deutschland. Reges Markttreiben in den zahlreichen Holzbuden an der Uferpromenade und weit hinein in ein kleines, verklüftetes Tal. Die Deutschen kaufen hier vor allem Deutsche günstigen Alkohol oder Zigaretten. Und wenn sie kahlgeschoren sind, Springerstiefel und Bomberjacken mit aufgenähten Nazisymbolen, betätigen sie sich gerne auch als Zulieferer. Skinheads aus Deutschland versorgen Tschechien mit CDs, voll von rechtsradikalen Texten, voll von Hatz auf Ausländer. Sie finden Absatz bei tschechischen Rechtsextremisten. Und sie werden verkauft von Vietnamesen. Unglaublich paradox, aber wahr. Tatsächlich aber existiert auch in Tschechien, einem einst böse von den Nazis unterdrückten Land, eine rechtsradikale Szene. Auf rund 6.000 Aktivisten und 15.000 Sympathisanten kommt das Innenministerium in Prag, verteilt auf die vergangenen zehn Jahre. Schon seit Jahren ist das Problem bekannt. So beschäftigt sich damit auch unter anderem Zdenek Zboril, Extremismusexperte im Prager Institut für Internationale Beziehungen. Für ihn liegen die Gründe für das Aufkommen von Extremismus auf der Hand:

"Lediglich die sozialen Gründe des Aufkommens solcher Gruppen sind denen in der ehemaligen DDR ähnlich. Es ist eine Art soziale Frustration. Fustration, bedingt durch Unzufriedenheit über den politischen Wechsel. Es muss dazu gesagt werden, dass sich die Gruppen vor allem in Bezirken formieren, die auf irrgendeine Art und Weise eine Randposition einnehmen in der politischen, gesellschaftlichen und ökonomischen Transformation, und nicht nur ökonomisch, sondern auch soziokulturell in die Peripherie abgedrängt wurden. So sind Arbeitslosigkeit und ökonomische Krise nicht die unmittelbarsten Probleme, es ist mehr die soziale und kulturelle Unzufriedenheit. Außerdem ist ein Teil der psychologischen Gründe sicher der abrupte Zerfall von Autoritäten, dass heißt: Staat, Schule und Familie. Als Autoritäten wurden diese in jedem Fall geschwächt."

Auf diesem Nährboden gedeiht also der Rechtsextremismus, gepaart mit einer, wie Zboril es nennt, "Xenophobie" und einer ablehnenden Haltung eines Teils der Bevölkerung gegenüber beispielsweise der Roma-Minderheit. Dass jedoch gerade Nationalsozialismus in einem ehemaligen besetzten Staat als Vorbild dient, verwundert auf den ersten Blick. Ausgerechnet Hitlers Statthalter in der damaligen Tschechoslowakei, der SS-Scherge Reinhard Heydrich, dient tschechischen Nazis als Vorbild. Und nicht zuletzt verehren die Skinheads genauso wie ihre Gesinnungsgenossen in Deutschland Hitlers Stellvertreter Rudolf Hess als Symbolfigur. Nur zur Erinnerung: Während der deutschen Okkupation im Zweiten Weltkrieg kamen 80.000 Tschechen ums Leben. So führt Zdenek Zboril vor allem Unwissenheit als eine weitere Ursache für den Nazikult an:

"Ich denke, dass die historischen und politischen Stereotypen allenfalls oberflächlichen Charakter haben. Sie helfen den Neonazis, sich als Gruppe oder als oppositionelle Kraft zu identifizieren. Leider haben wir keine schulische Prävention wie in Deutschland. Es fehlt an Aufklärung. Würden die Skinheads befragt, wüssten 90 Prozent nicht, wer Adolf Hitler war. Sie wüssten vielleicht, dass er der Führer war, dass er auch Reichskanzler und Parteigründer war, aber wohl nicht. Genauso wenig, wo er gelebt hat und wie alt er zum Beispiel geworden ist."

Ergebnis dieses blanken Unwissens sind Skinheads, die auf dem Prager Wenzelsplatz mit Reichskriegsflaggen demonstrieren. Sie schreien "seid Euch bewusst, dass ihr Tschechen seid", recken gleich darauf den Arm zum Hitlergruß und rufen "Sieg Heil". Wenn sie die CDs deutscher Neonazi-Rockbands hören, verstehen laut Zdenek Zboril die meisten allenfalls die Bilder auf der Hülle - zum Beispiel dunkelhäutige Ausländer, die an einem Galgen hängen.

"Sie können kein Deutsch, die tschechischen Neonazis. Sie wissen zum Beispiel nicht, was "Mein Kampf" überhaupt bedeutet. Oder den SS-Jargon "meine Treue" kennen sie ebenfalls nicht in seiner ursprünglichen Bedeutung. Sie kennen das allenfalls aus dem Englischen, von englischen Neonazis. Und es scheint mir, dass sie offen sind für solchen Phrasen nicht etwa wegen des Hintergrundes, in diesem Falle der SS, sondern wegen des Inhalts. Es ist dieser Idealismus. Der ist zwar einfach, aber dient als eine prima Inspiration."

"Mein Kampf" als Inspiration. Im vergangenen Jahr kam das Buch in Tschechien auf den Markt und wurde quasi in aller Öffentlichkeit verkauft. Für Rechtsgesinnte ein Schlager: Tausende Exemplare gingen über den Ladentisch, für die Vertreiber des Hitler-Buches wurde "Mein Kampf" ein kommerzieller Erfolg. Kommerziell - das ist auch die Zusammenarbeit rechter Tschechen mit deutschen Neonazis. Bei Demonstrationen werden immer wieder deutsche Gleichgesinnte gesichtet, und in Orten wie Hrensko, wo jene vietnamesische Händler die extremen CDs vertreiben, ist die Kooperation de facto sichtbar. Dazu Zdenek Zboril:

"Qualitative Kontakte gibt es eher auf der Ebene der Händler, die mit CD-Aufnahmen, Audiocassetten, Aufnähern, Emblemen und Druckerzeugnissen handeln. In letzter Zeit habe ich zwar den Eindruck, dass die Zusammenarbeit enger wird, aber immer noch schwach ist. Es handelt sich um Einzelne, und es geht hierzulande mehr ums Nachahmen vom Kleidungs- oder Musikstil deutscher Neonazis als um persönliche Kontakte."

Für aktiver hält Zboril dagegen diejenigen, die sich nicht um Netzwerke ins Ausland bemühen, sondern einfach nur persönlich profitieren wollen. Trittbtrettbfahrer, vor allem Menschen im Alter bis 30 Jahren, die die Gunst der Rechten für sich nutzen und finanzielle Gewinne daraus ziehen - oder aber in die Politik gehen. Rechte Parteien wuchsen Anfang der Neunziger Jahre auch in Tschechien. Die bekannteste stark rechtslastige Partei waren die Republikaner. Unter Führung des Vorsitzenden Miroslav Sladek schafften sie zeitweise sogar den Sprung ins Parlament, für Zboril damals eine prekäre Situation:

"Die Republikanische Partei existierte in diesen Jahren, das heißt zwischen 1995 und 1996 als Parlamentspartei. Sie hatte acht Prozent der Stimmen erhalten und war durchaus eine wichtige Kraft. Denn in dieser Zeit gab es zum Beispiel noch keinen Senat, und das Abgeordnetenhaus war die einzige Kammer. Die Republikaner hatten mit 20 Abgeordneten 16 Stimmen, und damit konnten sie die Regierungs- als auch die Oppositionsparteien beeinflussen. Das war freilich in gewisser Weise gefährlich, allerdings glaube ich, dass sie heutzutage keine Chance mehr haben."

Denn ähnlich wie in Deutschland sind die Wahlerfolge abgeklungen, haben die Republikaner kaum noch Aussichten, die 5 Prozent-Hürde zu überspringen, befindet sich die Partei im Zerfall. Unzufriedene Wähler habe vor allem die bürgerlich-demokratische Partei ODS mit ihrem Vorsitzenden Vaclav Klaus absorbiert, meint Zboril. Die Republikaner hingegen versuchten sich im Populismus ganz im Sinne eines Jörg Haiders in Österreich oder Jen-Marie Le Pens in Frankreich, weshalb Zdenek Zboril die Partei noch nicht als allgemein rechtsextremistisch einstufen würde, allerdings als rassistisch. Ein Wiederaufkommen hält er jedoch für unwahrscheinlich, die rechte Stammwählerschaft für gering. Geringer als in Deutschland sei auch die Zahl von Übergriffen auf Ausländer - auch deshalb, weil es in Tschechien relativ gesehen weniger Ausländer gebe. Dennoch sei es auch vorgekommen, dass Juden beschimpft, und vor allem die Roma-Minderheit immer wieder zum Feindbild xenophober Tschechen abgestempelt wurde. Vor vier Jahren wurde in Jarov ein schwarzer Student ermordet. Als Protest-Reaktion darauf gingen zahlreiche Tschechen auf die Strasse. Der Staat jedoch ist laut Zboril bislang zu passiv mit dem Problem der Rechtsextremisten umgegangen, die Abteilung zur Abwehr staatsfeindlicher Tendenzen - eine Art Verfassungsschutz - funktioniere nicht richtig, und die Polizeiorgane arbeiten eher in anderen Bereichen wie der Wirtschaftskriminalität, statt sich auch dem Problem des Rechtsextremismus zu widmen. Und wegen der Passivität von Staats wegen macht es laut Zboril keinen Sinn, den Entwicklungen in Deutschland zu folgen und extremistische Gruppen einfach zu verbieten:

"Wenn sie diese Gruppen verbieten, was wären die Konsequenzen? Dann müssten wieder Polizeiagenten aktiviert werden und eine neue Institution geschaffen werden. Klar, es geht nicht darum, Rücksicht zu nehmen auf die Skinheads, weil sie etwa noch jung sind oder ähnliches. Aber ich fürchte, dass, wenn man etwas entwickelt wie eine Abteilung gegen Extremismus, dann haben wir wieder so etwas wie jene passive Abteilung des Innenministeriums gegen innere Staatsfeinde."

Das Resultat wäre mehr Bürokratie, aber wenig Erfolg, meint Zboril. Denn Wege, seine eigene Gesinnung öffentlich zu propagieren, gibt es genug. Zum Beispiel schießen Internet-Seiten rechter Gruppen nicht nur in Deutschland, sondern auch in Tschechien wie Pilze aus dem Boden - vergleichbar nur mit dem boomenden Markt der Erotik-Homepages. Doch geht es den Rechten im Netz wohl zu einem Großteil auch um Kommunikation und dem Aufbau von neuen Organisationsstrukturen, angefangen bei der Verabredung zum gemeinsamen Aufmarsch. Dagegen etwas zu unternehmen, dürfte wohl schwer sein für Staatsschützer. Immerhin: Ein tschechisches Gericht hat wenigstens im Fall der Veröffentlichungen von Hitlers "Mein Kampf" Zeichen gesetzt. Die Vertreiber wurden im Dezember zu Bewährungs- und Geldstrafen verurteilt. Ein fader Beigeschmack bleibt jedoch: Denn das Problem hat sich verlagert. Zu Weihnachten lagen diesmal in der benachbarten Slowakei zahlreiche Ausgaben von "Mein Kampf" unter den Weihnachtsbäumen.

Autoren: Olaf Barth , Jürgen Webermann
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