Reform des EU-Stabilitätspakts: "Gratwanderung" auf Kostenkleinerer EU-Mitglieder?

Foto: Europäische Kommission
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In Brüssel haben sich in der Nacht auf Montag die Finanzminister der Europäischen Union auf eine deutliche Lockerung des EU-Stabilitätspaktes geeinigt. Ein Ergebnis, das vor allem auf das Drängen der beiden größten EU-Mitglieder Deutschland und Frankreich zustandekam - zweier Staaten also, die nach dem bisher gültigen Stabilitätspakt regelmäßig ein zu hohes Haushaltsdefizit aufwiesen. Gegen eine Aufweichung des Paktes hatten sich bis zu letzt kleinere Staaten wie Österreich und die Niederlande eingesetzt. Wie man in Tschechien auf den Kompromiss der EU-Finanzminister reagierte, erfahren Sie im folgenden Bericht von Silja Schultheis.

Finanzminister Bohuslav Sobotka  (Foto: CTK)
Auf ungleiche Behandlung reagiert das EU-Neumitglied Tschechien - wie andere kleinere EU-Staaten auch - normalerweise sensibel. Dennoch zeigt Finanzminister Bohuslav Sobotka Verständnis für die zahlreichen Ausnahmen, die der gelockerte Stabilitätspakt in puncto Finanzdisziplin vorsieht und damit vor allem den Forderungen Deutschlands und Frankreichs entgegenkommt. Immerhin, so Sobotka, müsse die EU eine schwierige Gratwanderung vollführen:

"Eine Priorität ist die Einhaltung der Finanzdisziplin, daneben gibt es aber noch eine andere Priorität - das Wirtschaftswachstum und die erfolgreiche Umsetzung des Lissaboner Prozesses. Die Europäische Union sucht nach Möglichkeiten, diesen Prioritäten gleichzeitig gerecht zu werden. Und ein Weg dahin ist die Reform des Euro-Stabilitätspaktes."

Foto: Europäische Kommission
Die von den Finanzministern beschlossene Reform, die jetzt von den EU-Staats- und Regierungschefs abgesegnet werden muss, bringt Sobotka zufolge auch einen ganz konkreten Vorteil für sein Land: man könne mit der Reform des Rentenwesens beginnen, ohne dabei zu sehr auf den Haushalt schielen zu müssen. Denn eben mit Hinweis auf Ausgaben für Grund legende Strukturreformen sollen die EU-Staaten künftig Ausnahmen in puncto Finanzdisziplin geltend machen können. Eine äußerst fragwürdige Entscheidung, meint der Abgeordnete Martin Kocourek (ODS), stellvertretender Vorsitzender des Haushaltsausschusses:

"Diese Entscheidung ist sehr salomonisch: Sie bestätigt zwar die Gültigkeit der Regeln, sagt aber auch, dass diese nicht für alle gelten. Leider betrifft das wieder die stärksten Länder, die auf diese Weise ihre Interessen durchsetzen können und so Probleme auf Kosten anderer lösen."

Auch die tschechischen Medien reagierten nahezu geschlossen kritisch auf eine mögliche Aufweichung des Stabilitätspaktes. Die Zeitung Lidove noviny etwa vermutet dahinter "europäischen Populismus" und sieht den "schleichenden Verfall der Eurozone" nahen. Zunächst aber sei durch die beschlossene Reform einer willkürlichen Auslegung der Regeln Tür und Tor geöffnet, befürchtet der Ökonom Pavel Kohout:

"Das sind Veränderungen, die eher auf Verhandlungen und Interpretation basieren als auf konkreten und eindeutig bestimmbaren makroökonomischen Parametern. Und darin besteht auch die größte Gefahr: dass diese Veränderung politisch missbraucht werden."

Tschechien war es im vergangenen Jahr gelungen, sein Haushaltsdefizit deutlich zu senken: von 13,6 Prozent des Bruttoinlandsprodukts im Jahr 2002 auf 3,9 Prozent 2003. Für dieses Jahr habe man in Brüssel ein Haushaltsdefizit von 4,9 Prozent angekündigt, berichtet die Tageszeitung Mlada fronta dnes.