Regierung unter Dach und Fach: Koalitionsvertrag fertig

Karel Schwarzenberg (TOP 09), Petr Nečas (ODS), Radek John (Partei der Öffentlichen Angelegenheiten), Foto: ČTK

Ende Mai haben die Tschechen ein neues Abgeordnetenhaus gewählt. Zwar erhielten die Sozialdemokraten die meisten Stimmen, die Mehrheit für eine Regierungskoalition entstand aber rechts der Mitte. Nun, etwas mehr als sechs Wochen nach der Wahl, unterzeichnen die Chefs der Demokratischen Bürgerpartei (ODS), der TOP 09 und der Partei der Öffentlichen Angelegenheiten den Koalitionsvertrag.

Karel Schwarzenberg  (TOP 09),  Petr Nečas  (ODS),  Radek John  (Partei der Öffentlichen Angelegenheiten),  Foto: ČTK
Sechs Wochen lang hatte die K9 genannte Runde aus je drei Vertretern der künftigen Regierungskoalition verhandelt, daneben die jeweiligen Expertenrunden. Am Freitag konnten die Parteichefs der Demokratischen Bürgerpartei (ODS), der Top 09 und der Partei der Öffentlichen Angelegenheiten mit zufriedenen Gesichtern vor die Presse treten:

„Nachdem der Text noch einmal redigiert worden ist, wird er den Vorständen der drei Parteien zur Abstimmung vorgelegt. Sollte er von allen Koalitionsparteien gebilligt werden, dann rechnen wir mit einer Unterzeichnung am Montag um 18 Uhr“, so der designierte Premierminister Petr Nečas.

Bereits zugestimmt zum Vertrag haben die TOP 09 und die Partei der Öffentlichen Angelegenheiten. Die Partei der Öffentlichen Angelegenheiten ließ sogar alle ihre 18.000 Mitglieder via Internet über den Koalitionsvertrag abstimmen. Das OK des Vorstandes der Demokratischen Bürgerpartei ODS fehlt zwar noch, gilt aber als sicher. Nach der Unterzeichnung des Koalitionsvertrages soll die neue Regierung bereits am Dienstag von Staatspräsident Václav Klaus vereidigt werden.

Foto: Barbora Kmentová
Im Gespräch mit Martina Schneibergová erläutert Radio-Prag-Redakteur Daniel Kortschak einige Punkte des Koalitionsvertrages.

Daniel, 57 Seiten umfasst der Vertrag zur Bildung einer Mitte-Rechts-Koalition. Was steht denn drin in dem Papier? Was sind denn die Grundzüge des Vertrages?

„Ein Wort kommt in dem Koalitionsvertrag mit Abstand am häufigsten vor: ‚Sparen’. Bereits in der Präambel der Vereinbarung heißt es: ‚Die Koalition wird einschneidende Veränderungen in den öffentlichen Finanzen vornehmen mit dem Ziel, die Verschuldung der tschechischen Bürger zu stoppen, sie wird eine Renten- und eine Gesundheitsreform durchführen.’“

Das ist sie also, die „Regierung der verantwortungsbewussten“ Haushalte, die ja von Anfang an das erklärte Ziel der Koalitionsparteien war. Sehen wir uns nun einige der Punkte genauer an. Was steckt denn zum Beispiel hinter der angekündigten Gesundheitsreform?

„Kurz gesagt: krank zu sein wird in Zukunft teurer. Die umstrittenen Patientengebühren werden nicht nur nicht aufgehoben, wie es die Sozialdemokraten gefordert und im Wahlkampf versprochen hatten, sondern sie werden sogar noch ansteigen. So soll der Beitrag pro Tag im Krankenhaus von bisher 60 auf ‚mindestens 100 Kronen’, also auf rund vier Euro steigen. Außerdem sollen die Krankenkassen einen einheitlichen Versorgungsstandard definieren, auf den die Versicherten Anspruch haben. Alles, was darüber hinausgeht muss der Patient in Zukunft selbst bezahlen beziehungsweise eine private Zusatzversicherung abschließen. Darüber haben wir ja bereits berichtet. Außerdem will der Staat bei den von ihm verwalteten Universitätskliniken deutlich sparen. Wo und wie genau, das muss der neue Gesundheitsminister Leoš Heger wohl erst herausfinden.“

Da kommt wohl einiges auf die Patienten zu. Immerhin, der designierte Minister Heger hat selbst jahrelang die Uniklinik in Hradec Králové geleitet und wird wohl einige Sparpotenziale kennen. Nicht weniger heikel als der Umbau des Gesundheitswesens ist der Umbau des Rentensystems. Was plant den die designierte Mitte-Rechts-Koalition dort?

„Man will die Ergebnisse der noch von der Übergangsregierung Fischer eingesetzten so genannten Bezděk-Kommission abwarten und dann möglichst rasch und wohl auch unter Einbindung der Opposition umsetzten. Die Opposition wird man dazu brauchen, um die für manche Änderungen nötige Verfassungsmehrheit sicherzustellen. Bis die Bezděk-Kommission ihre Reform fertig hat, läuft jedenfalls das bisherige System mit der jährlichen Anpassung der Renten an die jährliche Teuerung weiter. Als möglicher Termin für die Rentenreform gilt das Jahr 2012. Einige Neuerungen im Rentensystem hat die entstehende Regierung aber schon angekündigt: Die Beiträge zur Sozialversicherung werden für die Bürger um drei bis vier Prozent sinken. Damit sollen sie die Möglichkeit haben, in private Rentenfonds einzuzahlen. Für alle unter 40 Jahren soll das verpflichtend, für die anderen freiwillig sein. Außerdem sollen alle Erlöse aus der Privatisierung staatlicher Firmen beziehungsweise aus dem Gewinn von Staatsunternehmen in die Rentenreform fließen.“

Illustrationsfoto: Barbora Kmentová
Da klingt ja ein wenig die Forderung der Sozialdemokraten heraus, die ja stets eine dreizehnte Rente aus den Milliardengewinnen des staatlichen Stromkonzerns ČEZ gefordert hatten. Was der linken Opposition aber sicher weniger gefällt, sind die angekündigten Einschnitte in den Sozialausgaben. Wie massiv werden denn die nun tatsächlich ausfallen?

„Nun, spüren werden sie die tschechischen Bürger mit Sicherheit. So wird etwa die steuerliche Vergünstigung für Essensgutscheine fallen, das gleiche gilt für die Freifahrtscheine der Angestellten von Verkehrsunternehmen. Nach massiven Streikdrohungen der Gewerkschaften hatten die Vorgänger-Regierungen von derartigen Plänen wieder abgelassen. Da wird man sehen, wie’s weitergeht. Außerdem gekürzt wird zum Beispiel das Geburtsgeld. Es wird in Zukunft nur mehr für das erste Kind ausbezahlt. Ursprünglich sollte es ganz gestrichen werden, die Partei der Öffentlichen Angelegenheiten war aber dagegen, also kam es zu diesem Kompromiss. Auf noch härtere Zeiten müssen sich auch Arbeitslose einstellen: Sie sollen in Zukunft verstärkt für gemeinnützige Tätigkeiten herangezogen werden und sollen weniger Unterstützung erhalten, wenn sie von selbst gekündigt haben. Gleichzeitig soll der Kündigungsschutz gelockert werden.“

Stichwort Kündigungsschutz: Die Opposition wirft der neuen Regierung ja vor, extrem wirtschafts- und unternehmerfreundlich zu sein. Bestätigt sich das, wenn man den Koalitionsvertrag liest?

Karel Schwarzenberg  (TOP 09),  Petr Nečas  (ODS),  Radek John  (Partei der Öffentlichen Angelegenheiten),  Foto: ČTK
„Ja, ganz eindeutig. Sie bekennt sich dazu auch in der Präambel des Koalitionsvertrages: ‚Als eine weitere Priorität betrachtet die Koalition die Unterstützung des unternehmerischen Sektors, der als einziger langfristige Arbeitsplätze schafft (…)“. Die zukünftige Regierung verspricht in diesem Zusammenhang eine weitere Vereinfachung des Steuersystems, die Abschaffung der Kfz-Steuer für Firmen-Pkw und einen generellen Bürokratieabbau. Mehr als bisher bezahlen werden aber die Betreiber von Automatencasinos und Spielsalons. Bis 2014 soll nämlich eine 20-prozentige Glückspielsteuer eingeführt werden, deren Erlös direkt in die Staatskasse fließt.“

Aber auch den Bürgern stehen Steuererhöhungen ins Haus, oder?

„Ja, der untere Satz der Mehrwertsteuer soll von zehn auf zwölf Prozent angehoben werden. Damit werden etwa Lebensmittel, Fahrkarten oder Kulturveranstaltungen deutlich teurer. Nur zur Erinnerung: Noch vor drei Jahren lag der ermäßigte Mehrwertsteuersatz bei fünf Prozent. Weniger zuschießen will der Staat außerdem zu Bausparverträgen und es werden Studiengebühren eingeführt, für die aber günstige Studentendarlehen gewährt werden sollen.“

Also heißt es in Zukunft wohl in allen Bereichen den Gürtel enger zu schnallen. Kommen wir abschließend noch zu einem anderen Thema: Tschechien war in der Vergangenheit in der EU oft isoliert. Man denke nur an das endlose Gezerre um die Ratifizierung des Lissabon-Vertrages. Was steht denn zum Thema Außenpolitik im Koalitionsvertrag?

Foto: Europäische Kommission
„Die Mitte-Rechts-Parteien sprechen sich für ein ‚selbstbewusstes’ Auftreten Tschechiens in der EU aus und wollen sich für eine Erweiterung der Union unter klaren Bedingungen einsetzen. Priorität dabei haben laut Koalitionsvertrag die Balkanstaaten und die Mitglieder in der so genannten‚Östlichen Partnerschaft’, also etwa die Ukraine oder Weißrussland. Daneben will man sich auch auf EU-Ebenen für weitere Erleichterungen für Unternehmer und einen Bürokratieabbau stark machen. Bestehen will die künftige Regierung auf der Ratifizierung der umstrittenen Ausnahmeregelung zur Grundrechte-Charta, die Präsident Klaus seinerzeit zur Bedingung für seine Unterschrift unter den Lissabon-Vertrag gemacht hat.“