Regierungskrise - oder schon Verfassungskrise?
Was sich politisch derzeit in Tschechien abspielt, ist so interessant, dass sich selbst der deutsche Bundespräsident Joachim Gauck vergangene Woche eingemischt hat. Er ermahnte seinen tschechischen Amtskollegen Miloš Zeman, eng mit dem Parlament zusammenzuarbeiten bei der Lösung der Regierungskrise in seinem Land. Doch das genau machte Zeman nicht. Vergangene Woche ernannte er einen eigenen Kandidaten zum Premier, der nun dabei ist, eine so genannte Beamten- oder Expertenregierung zusammenzustellen. Nach dem Bekunden aller Parlamentsparteien hat diese aber keine Chance auf eine Anerkennung durch das Abgeordnetenhaus. Was bedeutet dies nun für Tschechien und für das politische System hierzulande?
Vor allem Vertreter der ehemaligen bürgerlichen Regierungskoalition halten die Ernennung für bedenklich. Finanzminister Miroslav Kalousek ist stellvertretender Vorsitzender der Partei Top 09. Er war noch am gleichen Abend bei einer politischen Talkshow im öffentlich-rechtlichen Tschechischen Fernsehen merklich aufgebracht:
„Präsident Zeman hat etwas gemacht, was sich keine der Parlamentsparteien gewünscht hat. Einige Parteien wollten weiter regieren, andere wollten vorgezogene Neuwahlen. Doch soweit ich weiß, wollte keine Partei eine Beamtenregierung. Ich denke, dass ist der erste Schritt des Präsidenten zu einer Diskussion über das parlamentarische System hierzulande, wenn nicht sogar zu einem Ringen um den Charakter dieses Systems. Dieser Schritt ist beispiellos in der Geschichte des tschechischen Parlamentarismus und führt in die Richtung eines Putinschen Regimes.“
Zuvor hatte Kalouseks Partei zusammen mit den Koalitionspartnern, also der Bürgerdemokratischen Partei (ODS) und Lidem, noch versucht, die Ernennung abzuwenden. Sie teilten Zeman mit, dass sie die Unterschriften vorliegen haben von 101 Stimmen im 200-köpfigen Abgeordnetenhaus. Diese Abgeordnetenmehrheit wolle Miroslava Němcová als eigene Kandidatin an die Spitze eines bürgerlichen Kabinetts setzen.Die Opposition aber hält diese Mehrheit für unsicher. Sie regt sich vor allem darüber auf, dass die Koalitionskräfte nicht dazu bereit sind, einfach das Abgeordnetenhaus aufzulösen und vorgezogene Neuwahlen auszuschreiben.
Dieser Streit bot dann dem Präsidenten genügend Spielraum, um seine eigene Lösung mit dem parteilosen Interimspremier Rusnok durchzusetzen. In seiner Ernennungsrede begründete Zeman sein Handeln mit seinem Wahlversprechen, die Regierung zu stürzen. Aus diesem Grund habe er die Variante abgelehnt, das Kabinett Nečas bis zu den regulären Parlamentswahlen im Juni kommenden Jahres im Amt zu belassen - mit Nečas als geschäftsführendem Regierungschef:
„Die zweite Variante wäre gewesen, hierzulande eine Nečas-Regierung ohne Nečas zu haben. Das heißt eine Regierung mit dem demselben Programm und, bis auf eine Ausnahme, mit demselben Personal wie bisher. Ich bin überzeugt, dass die Mehrheit der Öffentlichkeit - und mittlerweile nicht mehr nur die Wähler, die in der Direktwahl zum Staatspräsidenten für mich gestimmt haben – sich dies nicht gewünscht hätte.“
Dem Text nach erlaubt die tschechische Verfassung Zemans Vorgehen. Das erläuterte in der vergangenen Woche unter anderem der Verfassungsrechtler Aleš Gerloch, er ist Dekan der rechtswissenschaftlichen Fakultät an der Prager Karls-Universität:„Wir haben hierzulande kein System wie zum Beispiel in Deutschland, also ein Kanzlersystem, bei dem der Bundestag den Kanzler wählt und dieser erst danach vom Präsidenten formal ernannt wird. Die tschechische Verfassung sagt nur, dass der Premier mit seiner neuen Regierung innerhalb von 30 Tagen das Abgeordnetenhaus um das Vertrauen bitten muss. Die Abstimmung ist dann nicht geheim und erfolgt nach einer Debatte im Abgeordnetenhaus über das Regierungsprogramm. Die Entscheidung fällt also nicht, bevor die Regierung steht. Auch steht nicht in der Verfassung, dass sich der Staatspräsident bei der Ernennung des Premiers nach der Entscheidung der Parlamentsparteien richten muss, die im Vorfeld Erklärungen abgeben.“
Doch manche Fachleute sehen im Schritt des neuen Staatsoberhauptes einen Verstoß zumindest gegen die verfassungspolitischen Gewohnheiten in Tschechien. Zum Beispiel sagte der Politologe Aleš Balcar von der Hochschule für Finanzen und Verwaltung in Prag in einem Interview für das Tschechische Fernsehen:
„Der Präsident hätte gemäß der Verfassungsgewohnheit eine Regierung ernennen sollen, die reelle Chancen hat, eine Mehrheit im Abgeordnetenhaus zu erlangen. Dies wäre wohl die bürgerliche Regierung von Němcová gewesen. Nun hat er aber eindeutig gegen die Verfassungsgewohnheit gehandelt. Dabei sollte man erwähnen, dass tschechische Präsidenten schon häufiger Regierungen ernannt haben, die nicht nach ihrem Gusto waren. Sie haben aber den Willen der Mehrheit im Abgeordnetenhaus respektiert.“
Der politische Kommentator Bohumil Pečinka des konservativ ausgerichteten Wochenmagazins Reflex ging sogar noch einen Schritt weiter. Er sagte, dass dies ganz besonders für eine so genannte Beamtenregierung gelte, wie sie Rusnok derzeit zusammenstellt. In Tschechien gab es bereits zweimal solche Interimsregierung aus meist parteilosen Fachleuten.„Als 1997 und 2009 hierzulande die Beamtenregierungen entstanden, hatten sich die Parteien immer abgesprochen, dass diese Regierungen eine gewisse Zeit überbrücken sollten. Das Beamtenkabinett von Rusnok wird das erste sein, das gegen den Willen der Mehrheit im Abgeordnetenhaus entsteht. Es entsteht nur aus der Protektion von Zeman heraus. Keine Partei, auch nicht die linksgerichtete Opposition, schlägt auch nur einen Minister für dieses Kabinett vor – wirklich niemand“, so Pečinka.
Dass Zeman einen Weg vorbei an den Verfassungsgewohnheiten einschlägt, geschieht im Übrigen nicht zum ersten Mal. So war er auch schon im Streit um die Ernennung neuer Botschafter vorgegangen. Bisher hatte eigentlich immer der jeweilige Außenminister die Botschafter ausgesucht, der Präsident hatte sie nur ernannt. Doch Zeman versuchte nun, konkrete Personen als Botschafter durchzusetzen. Er rechtfertigte dies damit, dass er als erster direkt gewählter Präsident eine stärkere Stellung habe als seine Vorgänger. Es kam zum Streit mit Außenminister Karel Schwarzenberg - und der endete vorerst im Patt, weil der Premier die Ernennung der Botschafter gegenzeichnen muss, aber Nečas dies bei Zemans Kandidaten abgelehnt hat.
Vor allem die Vertreter der bisherigen Regierungsparteien befürchten, dass sich der neue Staatspräsident ganz allgemein nicht an Verfassungsgewohnheiten gebunden fühlt. Sie malen sich bereits jetzt ein bestimmtes Szenario aus für den Fall, dass das Kabinett Rusnok Ende Juli nicht das Vertrauen des Abgeordnetenhauses erhält. Eigentlich müsste danach der Staatspräsident einen zweiten Vorschlag machen und einen anderen Premier ernennen. Doch die Verfassung nennt nicht ausdrücklich eine Frist. Die Bürgerlichen glauben nun, Zeman könnte einfach weiter alle formalen Möglichkeiten der tschechischen Verfassung ausreizen und die Regierung Rusnok über Monate im Amt belassen, obwohl sie nicht das Vertrauen der Abgeordneten hat. Motive dafür werden viele genannt: von Zemans Chance, so den Streit um die Botschafter zu seinen Gunsten zu entscheiden, bis zum Ziel, mit den Ministern einige Kandidaten für die Zeman nahestehende Partei SPOZ populär zu machen. Doch der Verfassungsrechtler Aleš Gerloch sagt:„Das wäre meiner Meinung nach eine falsche Auslegung der Verfassung. Allgemein gilt die Interpretation, dass der Staatspräsident, nachdem eine Regierung nicht das Vertrauen der Abgeordneten erhalten hat, den Rücktritt des Premiers entgegennimmt, aber ihn zugleich vorübergehend im Amt belässt. Dazu gehört aber auch, dass der Präsident unverzüglich mit der Suche nach einem neuen Regierungschef beginnt. Dieser neue Premier kann im Übrigen auch derselbe sein, der zuvor im Abgeordnetenhaus gescheitert ist. Dies ist zum Beispiel 2006 so geschehen. Aber die Regierung in Demission kann nicht noch weitere acht oder zehn Monate an der Macht sein. Wenn es dazu keine außerordentlichen Gründe gibt, wäre dies ein grober Verfassungsbruch durch den Staatspräsidenten.“
Dennoch haben die Bürgerlichen bereits eine Initiative gestartet, um in der tschechischen Verfassung bestimmte Elemente aus dem deutschen Grundgesetz zu verankern. Die linksgerichtete Opposition aus Sozialdemokraten und Kommunisten lehnt solche Verfassungsänderungen aber bisher ab.