Regierungsbericht: Tschechische Roma in vielen Bereichen diskriminiert
Vergangene Woche hat der tschechische Minister für Menschenrechte, Michael Kocáb, der Regierung einen knapp 400 Seiten starken Bericht über die Lage der Roma im Land vorgelegt. Das Kabinett stimmte dem Bericht zu und räumte damit ein, dass tschechische Roma in mehreren Lebensbereichen nach wie vor mit Diskriminierung zu kämpfen haben. Die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit war der Analyse gewiss: Erst eine Woche zuvor hatte Kanada für Tschechen die Visumpflicht eingeführt, weil immer mehr tschechische Roma nach Kanada gereist waren, um dort um politisches Asyl anzusuchen.
„Ich kann mich mit dem Inhalt des Berichts weitgehend identifizieren. Auch ich sehe ein großes Problem in der niedrigen Bildung der Roma. Damit haben die Roma nur minimale Möglichkeiten, sich auf dem Arbeitsmarkt zu bewähren. Ein weiteres Problem besteht in der Ghettobildung. In Tschechien gibt es derzeit etwa 300 Ghettos, die allesamt nach der Revolution entstanden sind. Und ich sehe auch ein großes Problem in der alltäglichen Diskriminierung der Roma in der Tschechischen Republik.“
Vorgelegt hat den Bericht Michael Kocáb, der tschechische Minister für Menschenrechte. Wenn er hartnäckig auf die Probleme der Roma hinweist, dann begibt er sich quasi automatisch in die rhetorische Zwickmühle. Denn je stärker er die herrschenden Zustände kritisiert, desto mehr setzt er sich der Kritik aus, selbst nicht erfolgreich genug gewesen zu sein. Kocáb aber erinnert an die lange Geschichte des Integrationsproblems, das man nicht von heute auf morgen lösen könne, und auch an seinen eingeschränkten Handlungsspielraum:
„Der Minister für Menschenrechte hat nur eine Koordinierungsfunktion. Es steht ihm kein selbstständiger Budgetanteil zur Verfügung. Daher bin für konkrete Anliegen nicht nur ich ein Ansprechpartner, sondern auch der Schulminister, der Sozialminister, der Gesundheitsminister, der Innenminister, oder der Minister für Regionalentwicklung. Das sind jene Ministerien, die die entsprechenden Mittel haben und die Maßnahmen umsetzen müssen, die ihnen das Gesetz vorschreibt. Die Arbeit kann in diesen Ministerien also genauer definiert werden, und man kann dort viel konsequenter vorgehen.“
Vieles, so Kocáb, müsse auch auf Gemeindeebene angegangen werden:
„Die Selbstverwaltungen der Gemeinden haben viel Einfluss, zum Beispiel im Schulwesen. Der Zugang zur Bildung liegt also auch in ihrer Verantwortung. Häufig bemühen sich die Gemeinden sehr intensiv und mit geeigneten Mitteln um die Integration der Roma. Häufig greifen sie aber auch zu unglücklichen Maßnahmen, so wie wir das zum Beispiel in Chomutov erlebt haben.“
Chomutov, das ist jene nordböhmische Stadt, wo die Bürgermeisterin all denen, die bei der Gemeinde etwa Mietschulden hatten, sofort nach der Auszahlung die Sozialhilfe pfänden ließ. Die meisten davon waren Roma. Michael Kocáb war daraufhin mit der Bürgermeisterin von Chomutov öffentlich in Clinch geraten.
„Als Minister bin ich vor allem gegenüber der Mehrheitsbevölkerung kritisch. Das machen mir die Menschen oft zum Vorwurf, aber ich halte es für angebracht, zunächst einmal vor der eigenen Türe zu kehren. Umgekehrt erwarte ich aber auch von den tonangebenden Persönlichkeiten der Roma, dass sie auf ihre Gemeinde kritisch und motivierend einwirken. In dieser Hinsicht bereitet es mir Sorgen, dass es nun gerade die Elite der Roma ist, die weggeht“, so Kocáb.Ivan Vesely, ebenfalls Roma, untersteht im Rat für Roma-Angelegenheiten direkt dem Minister. Er sieht ein Identitätsproblem auch innerhalb seiner Volksgruppe:
„Die Roma in Tschechien sind sich ihrer Identität zu wenig bewusst. Sehr vereinfacht kann man sagen: Das kommunistische Regime machte die Roma zu Angehörigen der Arbeiterklasse, und die Demokratie machte aus ihnen dann das Lumpenproletariat. Aber all die Probleme rund um Tradition, soziale Kontrolle und öffentliche Meinung kann man mit den traditionellen Methoden kaum lösen, wenn von den 200.000 bis 250.000 Roma in Tschechien etwa 60 Prozent dem Lumpenproletariat angehören. Das ist keine Arbeiterklasse mehr, das ist überhaupt nichts.“
Der jüngste Exodus der Roma nach Kanada ist durch die Einführung der Visumpflicht für tschechische Staatsbürger vorerst gebremst, doch die neuen Reisebeschränkungen sind vielen Tschechen ein Dorn im Auge. Droht den Roma hierzulande nun die Rolle des Sündebocks? Michael Kocáb:
„Das befürchten wir natürlich. Aber wir werden alles dafür tun um zu erklären, dass das nicht die Schuld der Roma ist, sondern die Schuld von uns allen.“
Einstweilen geht das diplomatische Tauziehen mit Kanada und der EU weiter. Tschechien kann nämlich nicht einfach Gleiches mit Gleichem vergelten und seinerseits ebenfalls Visa für kanadische Staatsbürger einführen – auch wenn das manche gerne täten. Visumpflicht für die Bürger von Drittstaaten kann es nur auf gesamteuropäischer Ebene geben. Der neue Vizepräsident des Europäischen Parlaments, der tschechische Sozialdemokrat Libor Rouček, sprach sich gegenüber Radio Prag jedoch gegen einen solchen Schritt aus. Tschechien sei ein demokratischer Rechtsstaat. Auge um Auge, Zahn um Zahn – für Rouček ist das nicht die richtige Lösung:„Meiner Meinung nach sollte die tschechische Regierung darauf verzichten, sich um die Einführung der Visumpflicht gegenüber Kanada zu bemühen. Es wäre viel vernünftiger, gemeinsam mit Kanada und der EU eine positive Lösung zu suchen, die Lage so zu normalisieren, dass das Land damit keine Probleme hat, dass die Bevölkerung, besonders die Roma-Bevölkerung, sich nicht bedroht fühlt und nicht nach Kanada reisen muss, um dort um politisches Asyl anzusuchen.“
Unter anderem wäre dazu die Verbesserung der Situation der Roma nötig – in Tschechien, aber auch in anderen europäischen Ländern. Je besser das gelingt, desto stärker werden die Argumente der EU sein, wenn sie auch außenpolitisch auf der Gleichbehandlung aller ihrer Mitglieder besteht.