Rückblick auf die tschechische Außenpolitik des Jahres 2002
Im folgenden Schauplatz werfen nun für Sie Silja Schultheis und Robert Schuster einen Blick darauf, was das vergangene Jahr außenpolitisch für Tschechien gebracht hat.
Würde man eine Antwort auf die Frage suchen, was das abgelaufene Jahr im Bereich Außenpolitik für die Tschechische Republik mit sich brachte, müsste man korrekterweise von einer eher zwiespältigen Bilanz sprechen. Zum einen konnte das Land Ende des vergangenen Jahres die Beitrittsverhandlungen zur Europäischen Union abschließen und sich mit Prag als Tagungsort des NATO-Gipfels gut in Szene setzen. Auf der anderen Seite aber lag das Land in der ersten Jahreshälfte mit seinen Nachbarn im Clinch und drohte innerhalb Mitteleuropas isoliert zu werden.
Gleich am Jahresanfang sorgte eine dramatische Verschlechterung der Beziehungen zu Österreich für Schlagzeilen. Im Januar 2002 fand beim südlichen Nachbarn Tschechiens ein Volksbegehren gegen das tschechische Atomkraftwerk Temelin statt, welches fast von einer Million Österreichern unterschrieben wurde. Kurz vor Ablauf der Eintragefrist platzte in die ohnehin schon angespannte Atmosphäre ein Interview von Ministerpräsident Milos Zeman für das österreichische Nachrichtenmagazin Profil hinein, in dem sich der Premier als Geschichtsinterpret versuchte. Dabei übte er harsche Kritik an den Österreichern und den Sudetendeutschen und warf ihnen u.a. vor, während des zweiten Weltkriegs Handlanger Hitlers gewesen zu sein. Die Aussagen des Regierungschefs sorgten nicht nur in Österreich selber für Empörung, sondern als Zeman die wichtigsten Passagen des besagten Interviews später mehrmals wiederholte, zog die Kritik immer weitere Kreise, wobei ein lange geplanter und dann kurzfristig abgesagter Besuch des deutschen Bundeskanzlers Gerhard Schröder in Prag das tatsächliche Ausmaß des außenpolitischen Schadens für das Land nur ahnen ließ.
Konnten seitdem die Wogen im komplizierten Beziehungsgeflecht Prag-Wien etwas geglättet werden, oder halten die Spannungen, wenn auch vielleicht in einer etwas anderen Form immer noch an? Das fragte Radio Prag den Politikwissenschaftler Zdenek Zboril von der Prager Karlsuniversität, der auch gleichzeitig Chefredakteur einer Monatszeitschrift für internationale Politik ist.
"Ich glaube, dass diese Aussage derart stark waren, dass sie schon gewisse Narben hinterließen. Das zeigte sich seitdem bei vielen Gelegenheiten und Anlässen. Ich selber war vor einigen Wochen bei einem tschechisch-österreichischen Seminar in Brno/Brünn, wo eine Reihe von Diplomaten und Politikern hinter vorgehaltener Hand zugab, dass man zwar von einer Entspannung, bei weitem aber noch nicht von einer völligen Normalisierung der Beziehungen sprechen kann. Ebenso stimmt aber auch, so war zumindest mein Gefühl damals, dass auf beiden Seiten eine gewisse Zuversicht herrscht, dass sich das bald ändern könnte. Den Grund für diesen vorsichtigen Optimismus sehe ich u.a. darin, dass sich bei den Parlamentswahlen, die in beiden Ländern vergangenes Jahr stattfanden, die radikalen und national-populistischen Kräfte nicht durchsetzen konnten. Es ist also diese Art von Zuversicht, die das Wiederholen von ähnlich hysterischen Reaktionen wie in der jüngsten Vergangenheit nicht mehr für möglich halten lässt.."
Für gewissen Unmut sorgten aber im vergangenen Jahr auch die Alleingänge Prags bei den Beitrittsverhandlungen zur Europäischen Union. So fühlten sich etwa die Slowaken beim Abschluss des Kapitels über den freien Personenverkehr benachteiligt, denn die tschechischen Unterhändler erzielten durch langes Taktieren eine Sonderregelung. Die Polen meinten wiederum von Prag beim für ihr Land wichtigen Landwirtschaftskapitel im Stich gelassen worden zu sein. Alle diese Kritikpunkte sind jedoch nach den Parlamentswahlen von Mitte Juni vergangenen Jahres und der Ernennung einer Koalitionsregierung der linken Mitte fast von einem Tag auf den anderen verschwunden. Lässt sich also daraus schließen, dass das Kabinett des Sozialdemokraten Vladimir Spidla, in dem mit Cyril Svoboda als Außenminister erstmals ein Christdemokrat die außenpolitischen Geschicke des Landes leitet, einen anderen Stil in die tschechische Außenpolitik gebracht hat? Chefredakteur Zboril warnt vor voreiligen Schlüssen:
"Ich meine, dass es für vergleichbare Schlussfolgerungen noch viel zu früh ist. Die Außenpolitik, bzw. ein bestimmter außenpolitischer Stil eines Staates oder dessen Regierung ist etwas, was sich nur sehr langsam entwickelt und verändert. Alles was uns vielleicht gegenwärtig im Auftreten dieser Regierung im Ausland als neu (jedenfalls im Vergleich zur Vorgängerregierung) vorkommt, muss nicht unbedingt der Ausdruck eines neuen außenpolitischen Stils sein. Sicher, jene Politiker, die nach den Wahlen nun für die Außenpolitik verantwortlich sind, treten konzilianter auf, ich würde fast sagen diplomatischer, lassen sich durch Wortmeldungen aus dem Ausland nicht so leicht aus der Ruhe bringen. Aber dennoch sollte uns zu denken geben, dass jene Radikalität, mit welcher z.B. Premier Spidla in manchen Fällen innenpolitische Konflikte löst, theoretisch auch in den außenpolitischen Bereich durchdringen könnte."
Wie bereits zu Beginn erwähnt, war das Prager NATO-Gipfeltreffen vom 21. und 22. November 2002 in Tschechien nicht nur auf dem Gebiet der Außenpolitik einer der beiden Höhepunkte des vergangenen Jahres. Mit der größten Erweiterung des Bündnisses in seiner mehr als 50jährigen Geschichte ist somit Tschechien und dessen Hauptstadt eine Eintragung in den Geschichtsbüchern sicher. Hat dieses Großereignis aber auch dem Land selber außenpolitisch etwas gebracht? Politikwissenschaftler Zboril meint dazu im folgenden:"Ich weiß nicht, ich bin da etwas vorsichtig, wenn es um derartige kategorische Wertungen geht. Natürlich kann der Gipfel im Nachhinein als diplomatischer Erfolg Tschechiens dargestellt werden, obwohl das Land daran eigentlich nur durch seine Gastfreundschaft beteiligt war. Im Nachhinein muss ich dem französischen Präsidenten Jacques Chirac recht geben der meinte, dass in Prag die Chance vertan wurde, die sich abzeichnende Kluft zwischen den USA und Europa in Militärfragen zu überbrücken. Hier hätte vielleicht Tschechien, gestützt auf das Privileg Gastgeber des Treffens zu sein, aktiver sein können, als Land, welches zwar einerseits zur EU stoßen will, andererseits aber genau weiß, wie wichtig der Beitrag Amerikas beim Sieg über dem Kommunismus war. Aber diese Chance eine Art Vermittler zu sein, bleibt für die Tschechische Republik dennoch aufrecht. Ich weiß aber nicht, ob sich die verantwortlichen Politiker dieser Möglichkeit ausreichend bewusst sind."
Neben der erfolgreichen Bewältigung der NATO-Tagung schafften es Tschechiens Diplomaten Mitte Dezember vergangenen Jahres nach zwei Jahren die Verhandlungen mit der EU über einen Beitritt des Landes abzuschließen. In Folge dessen wurde die Tschechische Republik neben neun weiteren Kandidatenländern auf dem Kopenhagener EU-Gipfel eingeladen, am 1. Mai 2004 der Gemeinschaft beizutreten. Während aber selbst in der Schlussphase der Beitrittsgespräche keine allzu großen dramatischen Situationen entstanden sind, bei denen der Beitritt Tschechiens auf der Kippe gewesen wäre, kam es in Prag einige Tage zuvor zu den bisher größten Protesten gegen die EU. Erboste Bauern, die mit der erreichten Regelung bei den landwirtschaftlichen Direktzahlungen nicht zufrieden waren, blockierten für einige Tage den Prager Innenstadtverkehr. Wie wurde aber das Verhandlungsergebnis von der übrigen Tschechen aufgenommen? Sind die ausgehandelten Beitrittsbedingungen für die Bevölkerung insgesamt akzeptabel? Abschließend kommt noch einmal Politikwissenschaftler Zboril zu Wort:
"Die Tschechische Republik hat bei den Verhandlungen tatsächlich das Maximum erreicht. Ich kann das jetzt nicht im Detail aufzählen, aber ich denke, dass der in der Endphase durch bestimmten Eigennutz motivierte Versuch alles auf Heller und Pfennig umzurechnen, nicht dem tatsächlichen Verlauf der Verhandlungen entspricht, ja vielleicht sogar einen gewissen Schatten auf sie wirft. Aber vielleicht hatten die Bauernproteste auch etwas Gutes, denn auch anderen Bevölkerungsgruppen ist dadurch klar geworden, dass sie vom EU-Beitritt des Landes auch materiell profitieren könnten. Es könnte sich also folgende Grundmeinung durchsetzen: Warum sollen nur die Bauern was davon haben, warum können auch wir nicht davon profitieren?"