Rutschpartien

Und wieder ist ein Jahr vorbei. Und wieder stehen wir vor einem Neuanfang. Zu diesem neuerlichen alljährlichen Jahresrutsch ein paar Gedanken im folgenden Feuilleton von Alexander Schneller.

Sind Sie, liebe Hörerinnen und Hörer, gut gerutscht? Ohne dabei auszurutschen? Hatten Sie einen guten Rutsch, ohne sich dabei den Fussknöchel zu verstauchen oder den Arm zu brechen? Nun, ich meine natürlich: Sind Sie gut ins neue Jahr gerutscht? Hatten Sie einen guten Rutsch ins 2004? Ich hoffe doch.

Es ist interessant. In der deutschen Sprache wünschen wir uns zum Jahresende einen "guten Rutsch". Laut dem Lexikon der sprichwörtlichen Redensarten liegt dabei die Vorstellung des langsamen, fast unmerklichen Hinübergleitens von einem Jahr ins andere zugrunde. Die Redensart ist allerdings erst seit dem Jahr 1900 bezeugt. "Einen Rutsch machen" im Sinne von "eine kleine Reise machen" ist schon seit 1850 bekannt. Und eine kleine, eine sehr kleine Reise ists ja vom 31. Dezember zum 1. Januar.

Nun ist das mit dem Rutschen so eine Sache. Man rutscht auf einer glatten Oberfläche. Zum Beispiel auf Eis. Gerade zum Jahreswechsel ist es nicht selten, dass wir auf "rutschigen", das heisst vereisten, Strassen ins Rutschen kommen. Ausrutschen. Dann fallen wir hin. Auch im übertragenen Sinn sprechen wir von einem "Ausrutscher", wenn es sich um eine unangemessene Bemerkung oder um unangemessenes Benehmen handelt. Dann sind wir gesellschaftlich hingefallen. Der "Rutsch" ist etymologisch, von der Wortwurzel her, eine gleitende Abwärtsbewegung. Dazu gehören auch der Erdrutsch oder Bergsturz, und "rutschig" bedeutet auch schlüpfrig.

Sie merken es, liebe Hörerinnen und Hörer, mit dem Rutschen ist das wirklich so eine Sache. Es geht nämlich vor allem bergab, hinunter. Die Kurse an der Börse zum Beispiel rutschen ins Bodenlose.

"Abrutschen" bedeutet vielerlei: an gesellschaflichem Ansehen verlieren, auf die schiefe Bahn geraten, etwas Unrechtes tun, in den Leistungen nachlassen, im Flugzeug nach unten gedrückt werden, ja sogar untergehen, sinken. Wenn der Schlips "verrutscht" ist, dann sitzt er nicht mehr gerade und man muss ihn zurechtrücken. Mit der Wendung "Rutsch mir den Buckel runter" drückt man Ablehnung und Verachtung aus. "Vor jemandem auf den Knien rutschen" bedeutet jemanden demütig um etwas bitten, und das Substantiv "Rutschpartie" meint unabsichtliches, unfreiwilliges Ausrutschen und Hinfallen.

Gibt es denn kein positives, angenehmes Rutschen? Vielleicht doch. Die "Rutschbahn" zum Beispiel ist besonders bei Kindern beliebt. Auf dem Kinderspielplatz, auf Jahrmärkten oder im Schwimmbad. Und Schuhe oder Autoreifen sollten rutschfest oder rutschsicher sein, wenn sie im Winter ihren Dienst tun sollen.

Wir kehren zu unserem Ausgangspunkt zurück. Zum Jahreswechsel wünschen wir im Deutschen nicht einfach, wie in den meisten anderen Sprachen, ein gutes neues Jahr. Nein. Wir wollen gut ins neue Jahr rutschen. Und tatsächlich: Die Leichtigkeit, mit der man zum Beispiel auf dem Eis gleitet, ist ein schönes und passendes Bild für einen sanften, angenehmen Übergang. Gerade auch ins neue Jahr. Dabei müssen wir allerdings darauf achten, dass wir das Tempo des Rutschens kontrollieren können. Dass wir nicht zu sehr ins Ab- und Ausrutschen kommen. Und dass wir, und das ist das Wichtigste, den Elan und die Schnittigkeit des Rutschens möglichst lange ins neue Jahr hinüberretten können.

In diesem Sinne, liebe Hörerinnen und Hörer, wünscht Ihnen auch weiterhin im Jahr 2004 "guten Rutsch" Ihr Alexander Schneller.