„Sachlich falsch“ - Orientalist Ostřanský über Islamfeindlichkeit in Tschechien
Eine Pegida-Bewegung ist in Tschechien bislang nicht in Sicht. Aber die islamfeindliche Stimmung in der Gesellschaft wächst auch hier spürbar – nicht erst seit dem Terroranschlag von Paris. Auch viele tschechische Politiker schüren anti-islamische Ressentiments. Allen voran, und zwar schon seit Jahren, Staatspräsident Miloš Zeman. Was die tschechischen Islamgegner umtreibt und worin sie sich von der Pegida-Bewegung unterscheiden, darüber mehr im Gespräch mit dem Islamologen Bronislav Ostřanský von der Prager Karlsuniversität.
„Sicherlich macht die Anti-Islambewegung in Tschechien gerade sehr auf sich aufmerksam. Diese Demonstration hat dazu beigetragen, dass über Islamgegner viel geschrieben wird. Und sie haben auch bei einer Reihe von Politikern großen Erfolg. Das ist ein wichtiger Unterschied: Während sich Pegida als die Stimme des wütenden Volkes zu profilieren versucht, jenseits der Politik, und nicht mit den politischen Ambitionen konkreter Persönlichkeiten in Verbindung gebracht werden will, sind in Tschechien viele Politiker quer durch das Spektrum auf die Anti-Islam-Welle aufgesprungen. Sie haben gemerkt, dass der Islam ein großes Thema ist.“
Einer der politischen Wortführer der tschechischen Islamgegner ist Präsident Miloš Zeman. Er macht seit Jahren mit islamfeindlichen Äußerungen auf sich aufmerksam und vertritt die Meinung, es gebe keinen gemäßigten Islam. Bei einer Konferenz anlässlich der Befreiung des KZ Auschwitz vor 70 Jahren warnte Zeman jetzt vor einem neuen „Super-Holocaust“ durch den Islamischen Staat. Fördern solche Äußerungen die islamfeindliche Stimmung im Land?„Leider ja. Denn die aktiven Islamgegner rekrutieren sich vor allem auf Facebook. Und wenn sie Unterstützung durch bekannte Persönlichkeiten bekommen, können sie damit beweisen, dass sie nicht nur eine Randgruppe im Internet sind. Leider gibt es wirklich eine Reihe von Politikern, die die Meinung von Islamgegnern teilt. Und leider weiß Präsident Zeman vom Islam nicht viel, seine Aussagen über diese Religion sind oft sachlich falsch. Aber ein großer Teil der tschechischen Öffentlichkeit teilt Zemans Haltung.“
Auch die tschechische Regierung verhält sich ablehnend gegenüber Muslimen – etwa indem sie zur Bedingung für die Aufnahme syrischer Flüchtlinge gemacht hat, dass diese christlichen Glaubens sein müssen...„Das ist sehr schlecht. Zum einen moralisch: Eine Gruppe von Flüchtlingen en bloc als besser zu bezeichnen als eine andere, ist schlecht. Aber auch in sachlicher Hinsicht ist es Unsinn. Es gibt zum Beispiel ziemlich viele syrische Flüchtlinge, christliche wie muslimische, die während des Sozialismus in die Tschechoslowakei gekommen sind und sich hier etabliert haben. Ihre Integration hängt nicht von ihrer Religion ab. Die Idee, dass sich ein syrischer Christ hier besser integriert als ein syrischer Muslim, ist dumm und entspricht einfach nicht der Realität. Leider denkt aber die große Mehrheit der Tschechen so. Die Debatte über den Islam verläuft sehr emotional. Die Politiker tragen hier eine große Verantwortung und sollten daher eine Aufnahme von Flüchtlingen nach religiösem Schlüssel ablehnen anstatt sie zu unterstützen. Leider aber ist die Liste der Politiker, die sich ablehnend gegenüber dem Islam äußern, sehr lang. Kaum jemand sagt etwas Positives über Muslime.“
In Deutschland ist die Mehrheit der Bevölkerung gegen Pegida, die Zahl der Gegendemonstranten ist größer als die der Pegida-Aktivisten. Wie stellt sich die Mehrheit in Tschechien zu den islamfeindlichen Aktionen?„Paradoxerweise hat in Tschechien (wo nur rund 10.000 Muslime leben, A.d.R.) ein wesentlich größerer Teil der Bevölkerung Angst vor dem Islam und lehnt ihn ab als in Deutschland oder Frankreich. Und das obwohl die Deutschen und Franzosen reale Erfahrungen mit den vielen dort lebenden Muslimen haben. Zwar wird es in Tschechien weiterhin nur wenige hundert Menschen geben, die sich zu islamfeindlichen Demonstrationen anstacheln lassen. Andererseits führt das Geschehen im Nahen Osten und die Berichterstattung der Medien dazu, dass hier viele gebildete und kultivierte Menschen, die ich schätze, Furcht und Ablehnung gegenüber dem Islam zum Ausdruck bringen.“
Was befürchten die tschechischen Islamgegner? Es wird ja hier nicht gegen Islamismus demonstriert wie in Deutschland, sondern gegen den Islam an sich, als Religion....„Das ist ein wichtiger Punkt und einer der maßgeblichen Unterschiede zwischen Pegida und der tschechischen Anti-Islam-Bewegung. Die tschechischen Islamgegner unterscheiden nicht zwischen Islam und Islamismus. Sie halten es für eine falsche Vision, dass es viele gemäßigte, problemlose Muslime gibt und nur eine Handvoll Fanatiker. Für sie sind Muslime an sich ein Problem. Das ist leider der traurige Unterschied.“
Hängt das damit zusammen, dass die Tschechen generell skeptisch sind gegenüber Religion?„In gewisser Weise ja. Das Problem ist, dass die Menschen hier häufig unsachliche Meinungen aus den Medien übernehmen, weil sie religiös ungebildet sind. Dies bezieht sich nicht nur auf den Islam, sondern gilt generell. Es ist ein trauriges Erbe der Vergangenheit. Viele ansonsten gebildete Menschen und auch Politiker übernehmen unsinnige Ansichten, nur weil ein paar Tausend Menschen auf Facebook sie vertreten.“
In Deutschland hat sich seit Beginn der Pegida-Bewegung die Gewalt gegenüber Migranten, vor allem Muslimen, verdoppelt. Befürchten Sie eine ähnliche Entwicklung in Tschechien?
„Ich fürchte, das lässt sich nicht ausschließen. Bislang kommt die Aggressivität gegen Muslime vor allem im Internet und insbesondere bei Facebook zum Ausdruck. Viele tschechische Muslime, die öffentlich bekannt sind, haben Drohungen erhalten. Gewaltsame Übergriffe haben wir bislang nicht erlebt. Ich fürchte aber, dass es nur eine Frage der Zeit ist, bis sich die Anstachelung zu religiösem Hass aus dem virtuellen Raum in die Realität verlagert.“Sie treten in diesen Tagen häufig in den Medien und bei öffentlichen Debatten auf. Was versuchen Sie der tschechischen Bevölkerung zu vermitteln?„Ich bemühe mich, etwas Sachlichkeit in die aufgeheizte Debatte zu bringen. Und zu erklären, dass es nirgendwohin führt, wenn wir alle Muslime für die Taten einiger Fanatiker verurteilen, die den Glauben mißbraucht haben. Ich bemühe mich zu erklären, dass wir unterscheiden müssen und nicht alle Muslime en bloc als unsere Feinde betrachten dürfen. Die große Mehrheit der Muslime hat mehr mit uns gemeinsam als sie von uns unterscheidet. Leider differenzieren auch die Medien häufig nicht. Ich werde zum Beispiel oft automatisch als Anwalt der Muslime betrachtet, weil ich Islamologe bin. Natürlich gibt es im Islam problematische Richtungen wie den Salafismus. Aber dass wir die Anhänger einer großen Religion en bloc verurteilen, das führt nirgendwo hin und hilft uns nicht weiter.“