Schlaflos an der E 55

Die "Rollende Landstraße" - kurz "RoLa" zwischen Dresden und Lovosice hat mit dem EU-Beitritt Tschechiens offenbar ausgedient. Die Auslastung der Niederflurwaggons zum Transport von Lkw ist mit dem Wegfall der Zollkontrollen an der tschechisch-deutschen Grenze auf 9 Prozent gesunken. Kein Zoll, keine Warteschlangen. Der Verkehr fließt, die Zahl der Schwertransporte steigt. Für die Sendereihe "Forum Gesellschaft" berichtet Daniel Satra.

Runter von der Landstraße, rauf auf den Zug - eine Option, die heute kaum noch Spediteure locken kann. Den Grenzübergang Cínovec/Zinnwald nehmen die Brummis nach dem Wegfall der Zollkontrollen heute im Vorbeifahren. Der tschechisch-sächsischen Kommission, die 1994 "RoLa" ins Leben rief, geht die Kundschaft aus. Milada Smejkalová, tschechische Direktorin der Kooperation mit Sachsen:

"Die Auslastung der Züge lag im vergangen Jahr in den ersten beiden Maiwochen bei 75 Prozent. Dieses Jahr erreichte die Auslastung im Mai nicht einmal 9 Prozent."

Und schließlich könne man die Lkw nicht auf den Zug zwingen, so Smejkalová:

"Es gibt einfach keine legislative Handhabe um das Aufkommen von Lkw zu begrenzen und sie dazu zu bringen auf die 'RoLa' umzusteigen. Dahinter steckt die starke Straßen-Lobby."

Dazu kommt: Nicht nur der Diesel für die fast 90 Kilometer lange Strecke ist billiger: Eine "RoLa"-Fahrt kostet immerhin 78 Euro, Hin- und Rückfahrt zusammen 140 Euro. Die Verladezeiten am Zug bringen zusätzlich eine Zeitnachteil. Die Folge: Keine Nachfrage, keine Angebot. Das Aus für "RoLa".

"'RoLa' bleibt noch höchstens drei Monate im Betrieb. Falls sich die Deutsche Bahn AG, die Tschechische Bahn und die Betreiber einigen, ist sogar ein früherer Termin möglich."

Der Transitverkehr rollt gegenwärtig problemlos von und nach Tschechien und Polen. Aber das birgt ein Problem: Langfristig soll sich das Verkehrsaufkommen in der Region verdoppeln bis verdreifachen. Das hatte Sachsens Wirtschaftsminister Martin Gillo vorausgesagt. Jindrich Pech, Sprecher der nordböhmischen Gemeinde Dubi/Eichwald, beobachtet schon heute einen Verkehrszuwachs auf der E 55, die auf deutscher Seite B 170 heißt:

"Nach dem EU-Beitritt Tschechiens am 1. Mai kam es bei uns zu einem massiven Anstieg des Lkw-Verkehrs, auf der internationalen Straße E 55 etwa um 30 Prozent. Die Situation war schon immer kritisch, aber jetzt hat sie sich weiter verschärft."

Die Folgen der Brummi-Attacke sind auf tschechischer und auf deutscher Seite spürbar. Andreas Warschau von der Bürgerinitiative "Lebenswertes Erzgebirge" im sächsischen Altenberg bringt sie auf den Punkt:

"Man kann sich auf der Straße kaum noch verständigen. Die Menschen, die direkt neben der Straße wohnen, können nicht mehr schlafen. Man hat Schwierigkeiten mit dem Auto von Nebenstraßen auf die B 170 zu gelangen, auch Kinder, die die Straße überqueren wollen. Es gibt weite Strecken ohne Fuß- und ohne Radwege. Es ist lebensgefährlich sich an der B 170 zu bewegen."

Die Bürgerinitiative fordert daher ein Nachtfahrverbot. Außerdem wollen die Altenberger, dass Gefahrenguttransporte auf die Schiene verlagert werden. Tschechen und Deutsche ziehen an einem Strang, sagt Jindrich Pech aus Dubi:

"Nach unserer Meinung und auch nach Meinung der deutschen Seite, sollten keine gefährlichen Frachten wie explosives oder giftiges Material durch unsere Stadtzentren fahren. Egal ob in Dubi, Altenberg oder Dippoldiswalde. Das sollte nur mit Zügen transportiert werden."

Gefahrengut weg von der Straße und den Verkehr entzerren. Daher fordert Pech die Öffnung des Grenzübergangs Hora Sv. Sebastiana/Reitzenhain für den Schwerlastverkehr. Denn der Transit könne schließlich nicht verboten werden, so Pech. Und was skandinavische, niederländische oder deutsche Lkw auf dem Weg nach Süd- oder Südosteuropa nach Tschechien lockt, liegt für ihn auf der Hand:

"Gegenwärtig ist unser größter Nachteil, dass die Gebühren für Autobahnen in der Tschechischen Republik für viele Fahrer und Speditionen günstig sind. Weil in Österreich oder anderswo die Gebühren um ein Mehrfaches teurer sind. Gegenwärtig ist also der Transit über Tschechien und über das Erzgebirge die günstigste Variante."

Pech hofft auf die Fertigstellung der Autobahn D 8, auf deutscher Seite A 17, die ab Dezember 2006 Prag mit Dresden verbinden soll. Andreas Warschau in Altenberg ist jedoch skeptisch:

"Das ist eine alte Weisheit, dass der Neubau von Straßen auch immer Verkehr anzieht. Ein Großteil dieses neuen Verkehrs wird auch auf die Bundesstraße abfließen. Deswegen fordern wir eine generelle Tonnagebeschränkung für die B 170."

Forderungen, die auf Grenzen stoßen. Wie weit die rechtlichen Befugnisse des Landkreises reichen, und ob sie den Schwerlastverkehr überhaupt werden einschränken können, lassen die Altenberger gegenwärtig prüfen. Für Warschau steht jedoch trotz EU-Erweiterung fest:

"Man kann nicht nur auf das uneingeschränkte Recht auf Mobilität und freien Warenverkehr verweisen, man muss auch die Rechte der Menschen berücksichtigen, die hier wohnen und schlafen wollen."

Im sächsischen Dippoldiswalde, das von der B 170 durchquert wird, hat die Initiative "Lebenswertes Erzgebirge" daher etwa 400 Demonstranten zusammengetrommelt. Vor Tagen sperrten sie die Bundesstraße für etwa eine halbe Stunde, und die Lkw standen wie früher wieder Schlange. Solange sich die Politik nicht rührt, solange nicht die notwendigen politischen Rahmenbedingungen vorbereitet werden, hilft nach Ansicht Warschaus nur Eines:

"Wir werden auf jeden Fall weiterprotestieren. Notfalls gehen wir jetzt jede Woche auf die Straße. Wir nehmen die Entscheidung nicht hin, dass die 'Rollende Landstraße' eingestellt werden soll."

Insgesamt 832 000 Brummis hat das "RoLa"-System in den vergangen zehn Jahren transportiert. Die Million wird dieses tschechisch-sächsische Bahnprojekt jedoch nicht erleben.