Science-Fiction und „Pseudo-Dokumentation“ – Junge Künstler im Österreichischen Kulturforum

Film „Travertin“

Für die Kulturhauptstadt Plzeň / Pilsen hat das Künstlerduo Markus Hanakam & Roswitha Schuller einen Kurzfilm in Pilsen gedreht. Der Tscheche Janek Rous hat wiederum seinen Stipendienaufenthalt in Wien für ein Kunst- und Videoprojekt genutzt. Im Frühjahr waren die Ergebnisse dieses Austausches schon in Pilsen zu sehen. Unter dem Titel „Phantom und Travertin“ werden die Filme nun in Prag gegenübergestellt.

Roswitha Schuller und Markus Hanakam  (Foto: Archiv von Roswitha Schuller und Markus Hanakam)
Seit gut einer Woche ist im Österreichischen Kulturforum in Prag eine neue Ausstellung zu sehen. Roswitha Schuller und Markus Hanakam haben in Pilsen zusammen das Video „Travertin“ gedreht.

„Angefangen hat es im Januar mit der Einladung nach Pilsen zur Kulturhauptstadt. Wir konnten dort zweieinhalb Monate verbringen und vor Ort mit sechs Schauspielern in den von Adolf Loos gestalteten Apartments drehen. Im Rahmen eines Artist-in-Residence-Programms waren wir in Pilsen und Janek Rous in Wien“, so Markus Hanakam.

Film „Travertin“
Der Titel „Travertin“ ist im Laufe der Dreharbeiten der beiden Künstler in Pilsen entstanden. Er bezieht sich auf den gleichnamigen Naturstein, einen Werkstoff, den Adolf Loos immer wieder eingesetzt hat und der auch in einigen Szenen ist Hintergrund zu sehen ist. „Erinnerungskultur“ lautete die thematische Vorgabe. Was das in der Konsequenz bedeutet hat, erklärt Roswitha Schuller:

„Das war für uns natürlich eine Herausforderung, weil wir als jüngere Künstler selbst keine historische Epoche erfahren haben. Wir mussten also auf die Fiktion ausweichen. Natürlich hatte Pilsen durch die Škoda-Werke als großer Industriestandort eine wichtige Rolle im Zweiten Weltkrieg. Wir haben den Schauspielern verschiedene Textelemente zugeschrieben. Es handelt sich dabei um Voice-Over-Texte, die über den Szenen liegen. Diese Texte erzählen keine realistischen Geschichten von Personen aus Pilsen, sondern eine globalisierte Kriegsgeschichte.“

Industrialisierung und Science-Fiction

Henry Ford  (Foto: Hartsook,  Archiv Library of Congress,  Public Domain)
Henry Ford und Andrew Carnegie werden zitiert, wie sie von der Industrialisierung im frühen 20. Jahrhundert sprechen. Gedanken zur Autoindustrie spielen dabei ebenso eine Rolle wie der Weg zur Fabrik, das Familienleben und die Struktur des Alltags. Die Zitate wurden mit Science-Fiction-Elementen verbunden. Der Besucher der Ausstellung bezieht diese Geschichte zur Autoindustrie natürlich zunächst auf die Stadt Pilsen, bis er merkt, dass es sich um eine fiktionale Kriegsgeschichte handelt.

„Dafür haben waren diese Loos-Apartments natürlich sehr geeignet. Einerseits wirken sie historisch, andererseits sind sie aber auch nicht ganz eindeutig einer Zeit zuzuordnen.“

Der ursprünglich englische Text wurde gemeinsam mit einer Übersetzerin ins Tschechische übertragen. Beim Einsprechen haben Mitarbeiter von Pilsen 2015 gedolmetscht. Markus Hanakam erinnert sich, dass die Vorbereitungen zur Kulturhauptstadt Anfang des Jahres noch lange nicht abgeschlossen waren:

Pilsen - die Kulturhaupstadt Europas  (Foto: Archiv Plzeň 2015)
„Wir sind im Januar angekommen. Leider war das Wetter erst einmal nicht so schön. Wir haben die Eröffnung der Kulturhauptstadt mitbekommen. Aber danach war die Stimmung zunächst etwas gedämpft. Das Wetter hat wahrscheinlich seinen Teil dazu beigetragen. Bei Kulturhauptstädten muss am Anfang häufig noch vieles geregelt werden, dem entsprach auch unser Eindruck von Pilsen. Man muss wohl auch jetzt noch ein wenig Zeit mitbringen und abwarten, ob noch mehr umgesetzt wird. Zu dem Zeitpunkt unseres Aufenthalts war dort nämlich leider noch nicht so viel.“

Film „Travertin“
Bei der Pressekonferenz zur Ausstellung in Pilsen erhielten die beiden Künstler eine spontane Einladung vom Kulturforum Prag. Sechs Monate nach der Ausstellung in Pilsen sind die etwa zehnminütigen Videofilme von Markus Hanakam & Roswitha Schuller sowie vom tschechischen Künstler Janek Rous nun in Prag zu sehen.

Biografien im Stil von Naturdokumentationen

Während die beiden Künstler aus Wien Anfang des Jahres in Pilsen waren, hat Janek Rous zur gleichen Zeit in Wien gelebt und gedreht. Der Film, der dabei entstanden ist, zeigt Menschen bei ihrer Arbeit:

Film „Phantom“
„Zu Beginn war es für mich eigentlich Arbeitsmaterial. Als ich dann etwa 20 kurze Videos und Fragebögen beisammen hatte, kam mir die Idee, daraus eine ausgefallene Dokumentation zu machen. Ich wollte den Text von einem Freund einsprechen lassen, der eine so tiefe und tönende Stimme wie ein Fernsehsprecher hat. Daraus ist dann ein abenteuerlicher Bericht entstanden, im Stil von National Geographic. Ich fand es sehr lustig, dass diese einzelnen Menschen über ihre Berufe und über ihre persönlichen Schicksale sprechen, und dass dazu dieser absolut trockene, unbeteiligte Sprecher die Ergebnisse meiner Studie vorträgt.“

Film „Phantom“
Janek Rous interessiert sich für normale Angestellte wie zum Beispiel Polizisten, Friseure und Gärtner. Er hat sie gefragt, was sie als Kind geträumt, welche Ausbildung sie gemacht haben, und ob sie ihre Arbeit gerne machen oder lieber etwas anderes tun würden. Eine tiefe Off-Stimme gibt die Antworten der Befragten in einer Art Biografie wieder. Zum Beispiel die von Janis:

„Er wollte mit Tieren arbeiten und hat davon geträumt, Cowboy zu werden. Er studierte Landwirtschaft, jetzt arbeitet er als Droschkenkutscher und macht Stadtrundfahrten für Touristen. Am liebsten würde er heutzutage gar nichts machen.“

Film „Phantom“
Durch die Ton-Bild-Schere entsteht beim Zuschauer eine Art Phantom oder Gaukelbild der gezeigten Person. Janek Rous fragt nach Träumen, die diese Menschen vielleicht schon sehr lange nicht mehr ausgesprochen, selbst vergessen oder sogar nie genau gekannt haben. Diese Träume stellt Janek Rous ähnlich einer Fata Morgana neben das reale Bild der Person.

„Einige Leute antworteten mir, dass sie eigentlich glücklich damit seien, was sie machten. Unabhängig davon, ob sie erst über Umwege dazu kamen oder das schon immer geplant hatten. Eine Polizistin, die eigentlich Tierärztin werden wollte und zur Polizeischule gegangen ist, macht ihren Beruf gerne. Es gefällt ihr, im Gegensatz zu ihren Kollegen. Auch der Fall einer Friseurin erschien mir spannend. Sie wollte von klein auf unbedingt Friseurin werden, hat die Lehre gemacht, war Friseurin, und dann wollte sie doch lieber etwas völlig anderes machen. Ob jemand Freude daran findet, was er macht, hängt vielleicht nicht nur von Glück ab.“

Wer wird den Müll sammeln?

Janek Rous  (Foto: Archiv von Janek Rous)
Viele der Befragten üben ihre Arbeit aus finanzieller Not aus, nicht weil sie es gerne tun. Ein interessanter Lösungsansatz dafür sei die Idee des bedingungslosen Grundeinkommens, meint Janek Rous. Jeder Mensch erhält einen zum Leben notwendigen monatlichen Mindestsatz, ohne dafür irgendetwas zu tun. Darüber hinaus steht es dem Einzelnen frei, Aufgaben zu übernehmen, wofür er dann zusätzlich entlohnt wird. Die Idee vom Grundeinkommen sei keine Utopie, sondern bereits in den Niederlanden und der Schweiz versuchsweise durchgeführt worden, so Janek Rous.

„Die erste Frage, die auftaucht ist: Wer wird denn dann die Arbeit machen? Wer wird kochen, wer wird den Müll sammeln? Ich denke aber, das ist nicht das Problem. Denn die große Mehrheit der Menschen hat wirklich den Willen zu arbeiten. Nur eine absolute Minderheit der Menschen würde dann überhaupt nichts machen. Denn es liegt in der Natur des Menschen, tätig zu sein.“

Die Problematik, dass Menschen Arbeiten nachgehen, die sie nicht gerne tun, sieht Janek Rous aber nicht nur speziell in Wien, sondern in allen mitteleuropäischen Ländern. Anders sei das zum Beispiel in den USA, sagt er. Dort wären die Menschen tendenziell schneller bereit, für eine interessantere oder besser bezahlte Arbeit umzuziehen.

„In der Ausstellung im Österreichischen Kulturforum habe ich mit einem Amerikaner gesprochen. Er meinte, das sei doch ein typisch europäisches Problem. Das käme ihm als deutschem Einwanderer in den USA sehr bekannt vor und sei ein Grund für seine Emigration gewesen: diese Unzufriedenheit und Unfähigkeit, sich von einem Ort zu lösen, Dinge zu ändern, im Leben weiterzukommen und sich dabei ständig über seine Umgebung zu beschweren. In Amerika sei das ganz anders. Der Mensch ist irgendwo, macht etwas, und wenn er darin keinen Sinn mehr sieht, geht er einfach ans andere Ende des Kontinents. Mit anderen Vorstellungen, die er sich entweder erfüllt oder nicht. Aber immer mit dem positiven Bewusstsein, dass er ein sinnvolles Leben führt.“

Vielleicht hätte seine Untersuchung Janek Rous in den USA zu ganz anderen Ergebnisse geführt. Aber die potentiellen Ergebnisse auf einem anderen Kontinent sind für Janek Rous nicht relevant. Er lebt in Mitteleuropa und interessiert sich daher für die Verhältnisse in seiner Umgebung. Eine eigentlich sehr europäische Sicht, würde der Besucher aus Amerika vielleicht entgegnen.

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