Sozialdemokrat Rouček: „Die Erwartungen in Brüssel sind groß“

Libor Rouček (Foto: Gerald Schubert)

Die neue tschechische Dreiparteienkoalition aus Sozialdemokraten, Christdemokraten und der Partei Ano kann sich im Parlament auf die bequeme Mehrheit von 111 der insgesamt 200 Abgeordneten stützen. Die Jahre brüchiger Regierungen, gespaltener Parteien und knapper Mehrheitsverhältnisse scheinen der Vergangenheit anzugehören. Doch wieviel Stabilität darf man sich von der tschechischen Politik nun tatsächlich erhoffen? Mit welchen Erwartungen blicken die europäischen Partner derzeit von Brüssel nach Prag? Ein Interview mit Libor Rouček, einem langjährigen EU-Abgeordneten der tschechischen Sozialdemokraten.

Libor Rouček  (Foto: Gerald Schubert)
Herr Rouček, Tschechien hat sein einigen Wochen eine neue Regierung. Seit etwa acht Jahren ist es wieder eine Regierung unter sozialdemokratischer Führung. Wie wird diese Regierung ihrer Meinung nach in Brüssel wahrgenommen?

„In Brüssel und auch in Tschechien gibt es große Erwartungen. In den letzten Jahren hat die Tschechische Republik gemeinsam mit Großbritannien die Rolle der Außenseiter und Euroskeptiker gespielt, ebenso wie der ehemalige tschechische Präsident Václav Klaus. Nun haben wir einen neuen Präsidenten und eine neue Regierung, und alle drei Koalitionsparteien bezeichnen sich als proeuropäisch. Die Erwartungen in Brüssel sind also groß. Meiner Meinung nach sollte Premierminister Sobotka nun klar sagen, dass wir keine Ausnahme von der europäischen Grundrechtecharta wollen, wie Václav Klaus das verlangt hat (zum Zeitpunkt der Veröffentlichung des Interviews ist dies bereits geschehen, Anm. d. Red.). Er sollte sagen, dass wir die gleichen Rechte wollen wie die Deutschen, die Österreicher oder die Slowaken. Man kann auch erwarten, dass sich Tschechien an die Regeln des Fiskalpaktes halten wird. Das ist im Interesse der Fiskalstabilität des Landes, und die neue Regierung will diesbezüglich ja Verantwortung zeigen. Es spricht also nichts dagegen, den Fiskalpakt anzunehmen (dieses Ansinnen hat Sobotka bereits bekannt gegeben, Anm. d. Red.). Außerdem erwarte ich, und Brüssel erwartet das auch, dass Tschechien sich jetzt Schritt für Schritt auf die Einführung des Euro vorbereitet.“

Lubomír Zaorálek  (Foto: Archiv des Außenministeriums der Tschechischen Republik)
Daran möchte ich gleich anknüpfen: Die Sozialdemokraten stellen zwar den Regierungschef, aber im Kabinett gibt es auch noch die Christdemokraten und die relativ starke Partei Ano des Milliardärs Andrej Babiš. Der sozialdemokratische Außenminister Lubomír Zaorálek hat sich für eine möglichst rasche Einführung des Euro ausgesprochen, Finanzminister Andrej Babiš ist – für viele überraschend – auf die Bremse getreten. Sehen Sie da eine erste gravierende Meinungsverschiedenheit in der Koalition?

„An diesem Beispiel kann man sehen, dass es in der Koalition natürlich Unterschiede gibt. Die Sozialdemokraten möchten den Euro so schnell wie möglich einführen, die Leute von Ano sind da ein bisschen skeptischer. Deshalb steht in der Regierungserklärung auch kein Datum, sondern nur die Formulierung, dass sich die Tschechische Republik auf die Einführung des Euro vorbereiten wird. Das ist nun eine Sache der Politik und auch der öffentlichen Meinung. Wir sollten nicht vergessen, dass etwa im Unterschied zur Slowakei 70 Prozent der Bevölkerung gegen den Euro sind. Das muss man berücksichtigen, und daran muss man arbeiten.“

Miloš Zeman und Bohuslav Sobotka  (Foto: Filip Jandourek,  Archiv des Tschechischen Rundfunks)
Sie sind ein langjähriger sozialdemokratischer Politiker, waren Abgeordneter im tschechischen Parlament, seit 2004 sind Sie im Europäischen Parlament. Wie stabil ist denn nun Ihrer Meinung nach die Regierung in Prag, und wie stellt sich die neue Dreierkoalition aus Sicht Ihrer Partei dar? Wie bewerten Sie derzeit etwa den legendären Konflikt zwischen Parteichef Bohuslav Sobotka und Präsident Miloš Zeman?

„Die Wähler haben entschieden. Im tschechischen Parlament gibt es sieben Parteien. Diese Dreiparteienkoalition war, ist und bleibt die einzige Möglichkeit. Meiner Meinung nach sind sich nicht nur die Sozialdemokraten sondern auch die Christdemokraten und die neue Bewegung Ano der Tatsache bewusst, dass sie eine Verantwortung gegenüber den Bürgern haben. Das Land muss viele Probleme lösen: in der Wirtschaft, in der öffentlichen Verwaltung, bei der Bekämpfung von Korruption und Arbeitslosigkeit usw. Wenn die Regierung erfolgreich sein will, muss sie zusammenhalten und Schritt für Schritt Reformen umsetzen. Da bin ich vorsichtig optimistisch. Das gleiche gilt meiner Meinung nach für die Beziehung zwischen der Regierung und dem Präsidenten, der den Premierminister bekanntlich nicht besonders liebt. Ich hoffe, dass beide verantwortungsvolle Menschen, Politiker und Staatsmänner sind, und dass sie in diesem Sinne auch handeln werden. Das ist die einzige Möglichkeit und Hoffnung, dass sich die Lage im Land Schritt für Schritt verbessert.“

Foto: Europäische Kommission
Sehr bald stehen den Tschechen und allen anderen EU-Bürgern wieder Wahlen ins Haus, und zwar die Wahl zum Europäischen Parlament. Als die tschechischen Sozialdemokraten kürzlich die Kandidatenliste der Partei bekanntgegeben haben, hat sich herausgestellt, dass Sie auf dem mehr als unsicheren neunten Listenplatz gereiht sind. Waren Sie davon enttäuscht? Gibt es da einen offenen Konflikt zwischen Ihnen und anderen Parteimitgliedern, und wie wird das Ihren Wahlkampf beeinflussen?

„Ich war überrascht, und ich war und bin auch enttäuscht. Ich habe als Vizepräsident des Europäischen Parlaments gearbeitet, derzeit bin ich Vizepräsident der sozialdemokratischen Fraktion. Selbst in meinen dunkelsten Träumen habe ich nicht erwartet, dass ich auf Platz neun abgeschoben werde. Für die Kandidatenliste wurden gewisse Kriterien aufgestellt, etwa was Sprachkenntnisse, Erfahrung oder Bildung betrifft. Die Partei hat sich an diese Kriterien aber nicht gehalten, die Reihenfolge ist das Resultat der Abmachungen zwischen den Regionen. So ist das, aber ich bin nicht verbittert. Jetzt habe ich keine andere Möglichkeit, als um Vorzugsstimmen zu werben.“