Sozialdemokraten in der Krise

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In Tschechiens Politik geht es in diesen Tagen sehr turbulent zu. Die größte tschechische Regierungspartei, die Sozialdemokraten von Premier Vladimir Spidla, befindet sich in einer schweren Krise, die sich mittlerweile auch auf die gesamte Regierung ausgeweitet zu haben scheint. Mehr zu diesem Thema in unserer Sendereihe "Im Spiegel der Medien" mit Robert Schuster.

Den Stein ins Rollen brachte das schlechte Abschneiden der Sozialdemokraten bei der ersten tschechischen Europawahl. Die Partei verpasste nicht nur ziemlich klar den Sieg, sondern musste sich sogar nur mit Rang fünf zufrieden geben. Die Ursachenforschung für dieses schlechte Abschneiden konzentrierte sich relativ schnell und fast ausschließlich auf die Person des Partei- und Regierungschefs: Spidla habe, so seine Gegner, durch die unpopulären Reformmaßnahmen seines Kabinetts, die früheren sozialdemokratischen Wähler regelrecht vertrieben. Diese müssten nun wieder zurückgewonnen werden und zwar am besten mit Hilfe von neuen Gesichtern in der Partei- und Regierungsspitze, die es besser schaffen, die Regierungsarbeit nach außen zu verkaufen.

Eine Meinung, die bei den meisten tschechischen Kommentatoren nur wenig Zuspruch fand. Der Grundtenor der Meinungsartikel lässt sich auf die Aussage reduzieren, dass es nicht nur um Köpfe in der Regierung gehe, sondern in erster Linie um die Reformen, die von der jetzigen Regierung - wenn auch zögerlich und nicht immer konsequent - angegangen wurden. Aus diesem Grund wäre nun eine langwierige Regierungskrise das Schlechteste, was dem Land passieren könnte, meint etwa Pavel Masa in der Tageszeitung Lidove noviny.

"Die Machtkalkulationen sind relativ einfach im Vergleich zu dem, was die Veränderungen in der Regierung für Folgen haben könnten. Die Grenzen dafür sind relativ klar abgesteckt. Auf der einen Seite steht ein sozialdemokratisches Minderheitskabinett, das von den Kommunisten toleriert wird und bis an den Rand des Staatsbankrotts Geld ausgibt. Auf der anderen Seite steht ein anderer Weg, d.h. eine nicht enden wollende Regierungsbildung mit Neuwahlen als Folge, wodurch die Reformen wieder vertagt würden. Somit ist der Versuch, ein politisches Attentat auf Spidla zu verüben nicht etwa deshalb so gefährlich, weil dadurch ein unpopulärer Politiker abgesägt werden würde, sondern weil alle Chancen verloren wären zumindest ein Minimum der notwendigen Reformen durchzusetzen."


Stanislav Gross  (Foto: CTK)
Die Person des tschechischen Ministerpräsidenten Vladimir Spidla steht im Zentrum der Überlegungen von Patricie Polanska. In der Wirtschaftszeitung Hospodarske noviny lässt sie zunächst die vergangenen Tage Revue passieren, in denen der Regierungschef mit starkem Widerstand vieler Abgeordneter seiner Partei, sowie seines Stellvertreters, Innenminister Stanislav Gross, konfrontiert wurde. Nicht immer sei aber die Taktik Spidlas aufgegangen, wie die Autorin des Kommentars im Folgenden erläutert:

"Zum Los von Politikern von Spidlas Kaliber gehört es, dass sie sich von Zeit zu Zeit auf ein politisches Vabanquespiel einlassen müssen. Es ist aber störend, wenn Spidla dieses nun so außerordentlich chaotisch betreibt, wie es in den letzten Tagen der Fall war. So hat er nach und nach seine ursprünglich starken Ankündigungen vom vergangenen Wochenende, er wolle im Parlament die Vertrauensfrage stellen, widerrufen und dem wachsenden Druck nachgegeben. Es scheint also, dass letztlich sowieso alles ganz anders kommen wird. Bei den Sozialdemokraten geht es schon längst nur noch darum wenigstens für eine Weile ihr politisches Überleben zu sichern. Derjenige, dem es gelingen wird, der Partei weiszumachen, dass er dies kann, wird zu ihrem neuen Führer auserkoren. Spidla wird es aber wahrscheinlich nicht mehr sein."

Soweit der Beitrag von Patricie Polanska von der Wirtschaftszeitung Hospodarske noviny.


Von Neuwahlen war bereits in unserem ersten Zeitungszitat die Rede. Schon einmal, im Frühjahr 1998, standen vorgezogene Wahlen am Höhepunkt einer Regierungskrise, die ebenfalls ursprünglich als innerparteiliches Problem der seinerzeit stärksten Regierungspartei begonnen hatte und sich in der Folge ausweitete. Damals ist die heute oppositionelle rechtsliberale Demokratische Bürgerpartei (ODS) wegen der gesetzwidrigen Annahme von anonymen Geldspenden ins Straucheln geraten, und die von ihr geführte Regierung ging zu Fall. Nach langem Tauziehen hinter den Kulissen, einigten sich dann die Parteien auf Neuwahlen.

Der Kommentator Karel Steigerwald plädiert in der Tageszeitung Mlada fronta Dnes dafür, den gleichen Weg, wie vor sechs Jahren zu beschreiten und die Wähler die Karten neu mischen zu lassen, wenn er unter anderem meint:

"Was die Beobachter in diesen Tagen wohl am meisten faszinieren muss, sind die Ränkespiele hinter den Kulissen. Wer behält gegenüber wem die Oberhand, wer hat welchen Trick im Ärmel? Ist Spidla ein gewiefter Stratege, oder ein Politamateur? Zieht sein Fall auch seinen Widersacher Gross in die Tiefe? Ist unsere Demokratie auf einmal zu einem System von politischen Geschäften und Kuhhandeln degradiert? Deshalb sollten wir vorgezogenen Neuwahlen nicht aus dem Weg gehen. Angesichts der Zerfallserscheinungen dieser Regierung sollten die Karten neu gemischt werden. Weitaus schlimmer als Neuwahlen wäre nämlich dieses Problem auszusitzen, oder verschiedene instabile Übergangsregierungen aus dem Hut zaubern zu wollen. Warten wir also nicht auf die Ergebnisse verschiedener Geheimtreffen in den Büros der Politiker, sondern finden wir eine neue Regierung bei Wahlen. Das ist zuverlässiger, sicherer und anständiger."

Des einen Freud, des anderen Leid, könnte man mit Hinblick auf die aktuelle Rollenverteilung zwischen größter Regierungs- und stärkster Oppositionspartei meinen. Während die Sozialdemokraten ums politische Überleben kämpfen, konnten die Bürgerdemokraten ihren Höhenflug in den Umfragen weiter fortsetzen. Dennoch agieren sie in diesen Tagen eher vorsichtig und lassen bewusst offen, ob sie einen Misstrauensantrag gegen die Regierung einbringen werden.


Das aktuelle Wochenzeitung 'Tyden'
Martin Fendrych glaubt in seinem Kommentar in der Wochenzeitung Tyden, aus dem wir abschließend zitieren wollen, die Gründe dafür zu wissen.

"Eigentlich sind die Bürgerdemokraten in einer bequemen Situation. Bei den Europawahlen haben sie eindrucksvoll gewonnen. Dennoch haben sie es in diesen Tagen nicht eilig, um irgendwelche Veränderungen herbeizuführen. Die Partei verfüge nicht über die notwendige Zahl von Mandataren, um aus eigener Kraft die Verkürzung der Legislaturperiode zu beschließen, sagen die Parteioberen. Man will deshalb einen Misstrauensantrag gegen die Regierung stellen, weiß aber noch nicht wann. Dieses Zögern ist verständlich. Die Politiker haben Angst vor Neuwahlen und haben das Gefühl, die Wähler, die sich nach stabilen Verhältnissen sehnen, würden es ihnen nicht verzeihen."