In ständiger Auseinandersetzung mit der Wirklichkeit – Karel Čapek zum 125. Geburtstag
Wenn die Erste Tschechoslowakische Republik einen Staatsschriftsteller hatte, dann war es Karel Čapek. Kein anderer Autor wird so sehr mit der Zeit zwischen 1918 und 1938 verknüpft wie er. International bekannt ist Čapek hingegen als Vertreter der Science-Fiction, vor allem seine Dystopie „Der Krieg mit den Molchen“ ist weltberühmt. Diese beiden Pole, die seinen Nachruhm im In- und Ausland bestimmen, lassen manchmal fast vergessen, dass Čapeks Werk noch weitaus vielschichtiger ist. Für alles auf der Welt müsse man sich interessieren, so lautete sein Credo. Čapek schrieb daher über Haustiere und Roboter, Philosophen und Diktatoren gleichermaßen. Am 9. Januar jährte sich sein Geburtstag zum 125. Mal.
„Wer vorigen Freitag den Deutschlandsender anstellte, hörte eine Stimme, die den Tönen, die gewöhnlich aus dem Lautsprecher kommen, höchst unähnlich war; ein Kreischen, mit dem ein drittklassischer Schauspieler etwa den Götz von Berlichingen spielen würde, ein hervorgepresstes Röcheln: ‚Verrat‘, das pathetische Rufen der Worte ‚Recht‘, ‚Aufstieg‘ oder ‚Volk‘, dann wieder Tigergebrüll, nun, eine richtige Vorführung. Eine Frau blieb entsetzt vor dem Lautsprecher stehen: ‚Oje, was spielen sie denn? Das ist wohl ein Gewaltverbrecher!‘ Es sprach der Kanzler des deutschen Reiches, der Führer Adolf Hitler.“
In den folgenden Jahren half Čapek deutschen Emigranten in Prag und unterzeichnete Petitionen gegen den Faschismus. Das politische Engagement des Autors setzte nicht erst in der Zeit ein, als die Tschechoslowakei unmittelbar von den Nationalsozialisten bedroht wurde. Seit 1918 gehörte er zu den vehementen Fürsprechern der jungen Demokratie in Mitteleuropa, sagt Jiří Holý. Er ist Professor für Bohemistik an der Prager Karlsuniversität. Man müsse Čapek mindestens in zwei Perioden einteilen:„Zunächst gibt es den Karel Čapek vor dem Ersten Weltkrieg. Da gehörte er zur Moderne, zur Avantgarde würde ich sagen. Gemeinsam mit seinem Bruder und anderen Künstlern prägte er die erste Avantgarde in der tschechischen Kunst. Aber dann kam der Erste Weltkrieg, Čapek wurde sehr krank und machte noch weitere Erfahrungen, weswegen wir nach dem Krieg von einem etwas anderen Karel Čapek sprechen. Da bekannte er sich zum Programm von T.G. Masaryk und zur Ersten Tschechoslowakischen Republik.“
In seiner frühen Prosa bediente sich Čapek einer experimentellen Sprache und glaubte an den unbedingten technischen Fortschritt. Von der Politik hingegen hielt er sich fern. Nach dem großen Wendepunkt von 1918 heuerte der studierte Philosoph und Literaturwissenschaftler zunächst als Journalist bei der „Národní listy“ (Nationalzeitung) an. Wegen politischer Differenzen ging er 1921 zu „Lidové noviny“, der Volkszeitung, der er bis zu seinem Tod treu blieb. Das Blatt wurde zum publizistischen Stützpfeiler der Ersten Republik. Hier versammelten sich die Verfechter von Demokratie und Meinungsfreiheit. Jiří Holý:„Man spricht oft von der ‚pragmatischen Generation‘. Neben Čapek waren dies Ferdinand Peroutka, František Langer und andere. Diese Künstler grenzten sich von der kommunistischen Avantgarde ab, zugleich aber auch vom Nationalismus und vom Katholizismus.“
Čapek rückte nicht nur politisch in die Mitte. Auch sein Schreibstil richtete sich nunmehr an ein großes Publikum. Der weltweite Durchbruch gelang ihm 1920 mit dem Stück R.U.R. – Rossums Universal Robots. Der einstmals fortschrittsgläubige Čapek kritisierte darin die Mechanisierung der Arbeitswelt und die Entfremdung der Werktätigen. Häufig wird ihm auch die Erfindung des Begriffes Roboter zugeschrieben. Doch die geht auf das Konto von Josef, Karel Čapeks älteren Bruder. Zeit ihres Lebens pflegten die beiden eine enge Beziehung. Der Grafiker illustrierte nicht nur mehrere Bücher von Karel, die Zusammenarbeit ging noch weiter. Jiří Holý:
„Vor dem Krieg haben sie meist zusammen geschrieben, und auch sein erstes Stück ‚Der Räuber‘ (Loupežník) wurde von beiden zusammen verfasst. Sie waren einander sehr nah, und haben dann auch mit ihren Familien zusammen in einem Haus gelebt.“
Dieses Haus im Prager Stadtteil Vinohrady, in dem derzeit ein Museum für den Autor entsteht, wurde ab 1925 zum Fixpunkt für die intellektuelle Szene der Ersten Republik. Čapek rief die wöchentlichen Treffen die Freitagsrunde der pátečníci ins Leben. Schriftsteller, Künstler und Intellektuelle kamen jede Woche bei den Čapeks zusammen, manchmal auch Edvard Beneš und T.G. Masaryk. Über den Präsidenten verfasste Čapek sogar eine dreibändige Biographie. Völlig vereinnahmen von der Politik ließ er sich jedoch nie, dafür waren seine Interessen zu vielfältig. Im Nachwort seiner sogenannten noetischen Trilogie, die aus drei philosophischen Romanen besteht, umschrieb Čapek seinen Anspruch an ein erfülltes Leben:„Uns Menschen ist ein Stück Weltall gegeben, damit wir es erobern; wir gelangen nicht nur auf einem Weg in seine Tiefen; wir sondieren sie mit unseren Taten, mit der Wissenschaft, der Poesie, der Liebe und auch mit der Religion; wir brauchen verschiedene Methoden, um mit ihrer Hilfe unsere Welt zu durchmessen.“Čapek versuchte, sich die Welt auf verschiedenste Weise anzueignen. Nicht nur als Journalist, nicht nur als Autor von Romanen, Theaterstücken und Erzählungen. In den Jahren 1921 bis 1923 arbeitete er als Dramaturg beim Prager Theater in den Weinbergen, wo er unter anderem sein Stück „Die Sache Makropulos“ auf die Bühne brachte. Dort lernt er auch seine spätere Frau Olga Scheinpflugová kennen. Čapek war ein begeisterter Fotograf und sammelte die ersten Schellackaufnahmen von Volksliedern aus aller Welt. Und es gab noch mehr Hobbys, sagt Jiří Holý:
„Dass er gärtnerte, ist bekannt. Eine seiner Schriften heißt ‚Das Jahr des Gärtners‘. Auch hat er beispielsweise orientalische Teppiche gesammelt und besaß Hunde und Katzen. Und alle seine Hobbies hat er in Literatur verwandelt.“1933 erschien etwa Čapeks Kinderbuch „Daschenka. Das Leben eines jungen Hundes“, das er selbst illustrierte. Seine Reisetagebücher aus ganz Europa wurden auch im Ausland zu großen Erfolgen. Die Kolumnen und Alltagsbeobachtungen kabelte er direkt von den Reisen nach Prag zu den Lidové noviny, ehe sie in der Folge als Bücher erschienen. Während seiner Englandreise um 1923 notierte Čapek:
„Die beste Landschaft, die ich gesehen habe, ist in Italien, das beste Leben, das ich beobachtet habe, in Frankreich, die besten Menschen, denen ich begegnet bin, sind in England, doch leben kann ich nur in meinem eigenen Land.“Tatsächlich sollte Čapek die Republik, für die er sich so eingesetzt hatte, nur um wenige Monate überleben. Als 1938 das Münchner Abkommen das Ende der Tschechoslowakei besiegelte, musste er eine Schmutzkampagne der rechten und nationalistischen Presse über sich ergehen lassen. Nach dem Tod von Masaryk und der Emigration von Beneš zählte er zu den bekanntesten Repräsentanten des Staates und wurde mitverantwortlich gemacht für dessen Niedergang. Der auch im Ausland hochangesehen Čapek erhielt viele Angebote zur Emigration, unter anderem von Erika Mann. Doch er wollte sein Land nicht verlassen. An Weihnachten 1938 starb Karel Čapek im Alter von 48 Jahren an einer Lungenentzündung. Zu seiner Beerdigung auf dem Ehrenfriedhof Vyšehrad kamen nochmals die Intellektuellen der Ersten Republik zusammen. Es wurde eine der letzten öffentlichen Manifestationen der Tschechoslowakei, ehe im März 1939 die Nationalsozialisten in Prag einmarschierten. Čapeks Bruder Josef wurde noch im gleichen Jahr verhaftet und starb 1945 im KZ Bergen-Belsen.