„Šťastný Hlavák“: Entwurf für neuen Prager Hauptbahnhof macht nicht alle glücklich

Visualisierung der Umgestaltung des Gebäudes des Prager Hauptbahnhofs und seiner Umgebung

Es ist nicht unbedingt der schönste Willkommensgruß: Wer seinen Prag-Besuch auf dem Hauptbahnhof beginnt, bekommt erst einmal einen Eindruck von Bedrücktheit und schmuddeliger Düsternis. Dem weltweit berühmten Charme der Stadt entspricht die Abfertigungshalle jedenfalls nicht. Weil sich das ändern soll, wurde ein Wettbewerb zur Umgestaltung des Bahnhofs sowie seiner Umgebung ausgeschrieben. Doch mit der Präsentation des Siegerentwurfs Ende November ist eine stürmische Debatte entbrannt, wie weit die Restaurierungsarbeiten gehen dürfen. Fraglich ist nämlich, ob das Bahnhofsgebäude nicht unter Denkmalschutz steht.

Visualisierung der Umgestaltung des Gebäudes des Prager Hauptbahnhofs und seiner Umgebung | Quelle: Henning Larsen Architects

Šťastný Hlavák“, also der glückliche Hauptbahnhof – so ist jener Entwurf überschrieben, der den architektonischen Wettbewerb zur Umgestaltung des Prager Verkehrsknotenpunktes gewonnen hat. Er stammt vom Studio Henning Larsen Architects in Kopenhagen und wurde Ende November der Öffentlichkeit präsentiert. Martin Sedmák vom Prager Architektenbüro A8000 ist der hiesige Vertreter für Henning Larsen. Gegenüber Reportern des Tschechischen Rundfunks erläuterte er:

„Der Hauptbahnhof ist heute ein eher introvertierter Ort. Man fühlt sich dort nicht sicher und findet nicht so einfach seinen Weg. Der neue Entwurf bringt eine klare Übersichtlichkeit ein. Durch ihn kann man sich vor Ort besser orientieren, und zugleich werden zwei Teile Prags verbunden, die vorher voneinander getrennt waren.“

Hauptaufgabe im Wettbewerb war es nämlich, die Abfertigungshalle mit dem historischen Fanta-Gebäude zu verbinden. Dieser unter Denkmalschutz stehende Bau ist seit den 1970er Jahren durch die Stadtautobahn vom Bahnhofsvorplatz abgeschnitten, der wiederum eine Ebene tiefer liegt. Von der halb unterirdischen neuen Halle führen nur enge Rolltreppen in den historischen Bahnhofsteil, der zu Beginn des 20. Jahrhunderts vom Architekten Josef Fanta entworfen wurde. Lange Zeit fristete das eigentlich repräsentative Gebäude ein tristes Dasein. Inzwischen ist seine Jugendstilpracht dank einer Sanierung wieder hergestellt, genutzt werden bisher aber nur die Räumlichkeiten des Cafés.

Visualisierung der Umgestaltung des Gebäudes des Prager Hauptbahnhofs und seiner Umgebung | Quelle: Henning Larsen Architects

Als geradezu gefährlicher Ort gilt der Prager Hauptbahnhof aber wegen des kleinen Parks vor der Abfertigungshalle. Offiziell als Vrchlický-Garten (Vrchlického sady) bezeichnet, wird er im Volksmund „Sherwood“ genannt. Der Legende nach ist Sherwood Forest der Rückzugsort für Robin Hood und seine Mannen, in dem die Gesetze der Obrigkeit nicht gelten. Doch während der edle Räuber nur gute Absichten hatte, hat der Prager „Sherwood“ eine hohe Kriminalitätsrate und ist vor allem bei Dunkelheit kein Ort, an dem man sich länger aufhalten sollte.

Deswegen hat der Siegerentwurf der dänischen Architekten einen Schwerpunkt auf die Revitalisierung der Parkanlage gelegt. Wasser-Elemente und Marktstände sind dafür etwa vorgesehen. Vor allem sollen Park und Haupthalle aber durch eine luftige Holzkonstruktion verbunden werden. Sie besteht laut Plan aus zahlreichen Pfeilern und aufgebrochenen Dachstreben und bildet eine Art Sonnendach. Dafür soll ein erheblicher Teil des jetzigen Hallendachs weichen, das an der Oberfläche als Parkplatz dient. Jaroslav Wertig, Vorsitzender der Wettbewerbsjury, erläuterte die Entscheidung:

Woodrow-Wilson-Statue gegenüber dem Hauptbahnhof in Vrchlického sady | Foto: Kristýna Maková,  Radio Prague International

„Am Ende entschied der Mut. Das Problem des gesamten Ortes wurde klar herausgestellt, nämlich der Parkplatz vor dem historischen Fanta-Gebäude. Das Siegerteam war nicht verlegen und hat den gesamten Parkplatz einfach gestrichen. Dadurch wird dieser Raum geöffnet, und es kann eine frei zugängliche Piazetta entstehen – etwas zwischen einem Park und einem Marktplatz, also ein öffentlicher Raum mit einem hohen Grünanteil.“

Der Entwurf sei „relativ radikal“, fährt Wertig fort. Er gehe aber besonders gut mit dem Umstand um, dass sich der Bahnhof in der Denkmalschutzzone befinde.

Genau das sieht das zuständige Amt aber ganz anders. Schon zwei Tage nach der Präsentation des Siegerentwurfs wurde dieser gänzlich in Frage gestellt. Eine Sprecherin des Kulturministeriums teilte nämlich mit, dass die Abfertigungshalle als Kulturdenkmal geschützt sei und deswegen nicht – auch nicht in Teilen – abgerissen werden dürfe.

Visualisierung der Umgestaltung des Gebäudes des Prager Hauptbahnhofs und seiner Umgebung | Quelle: Henning Larsen Architects

Nachträglich zum Kulturdenkmal ernannt

Man stelle sich die Aufregung vor, die nun entstand: Ein anderthalb Jahre dauernder Wettbewerb, ausgeschrieben von der tschechischen Bahnverwaltung und der Stadt Prag, an dem 26 internationale Architektenteams und eine hochkarätig besetzte Jury beteiligt waren – und keiner wusste, dass es um ein denkmalgeschütztes Gebäude ging? Die Fakten sind tatsächlich etwas verworren. Recherchen, unter anderem des Tschechischen Rundfunks, haben aber etwas Ordnung hineingebracht.

Demnach hat die Bahnverwaltung (SŽ) vor der Ausschreibung durchaus beim Nationalen Denkmalschutzamt nachgefragt, ob die sogenannte Neue Abfertigungshalle aus den 1970er Jahren im Register geführt werde. Dem war nicht so, und deswegen hat das Amt dann sogar das Kulturministerium aufgefordert, die Halle zum Kulturdenkmal zu erklären. Das Ministerium bekam daraufhin, konkret im Mai 2023, aber vom Eisenbahnamt (DÚ) die Auskunft, dass die Abfertigungshalle und das historische Fanta-Gebäude einen gemeinsamen Bau ergeben und sich somit der Denkmalschutz des Fanta-Gebäudes auf beide Teile beziehen würde.

Prager Hauptbahnhof | Foto: Kristýna Maková,  Radio Prague International

Wie es in den Medienberichten weiter heißt, hat die Bahnverwaltung dann das Eisenbahnamt um eine erneute Überprüfung gebeten und dazu auch historische Dokumente eingereicht. Daraufhin kam das Amt Ende August zu der Einschätzung, dass die Halle doch ein eigenständiges Gebäude sei. Beide Objekte seien in verschiedenen Zeiträumen als separate Bauten entstanden, so die Begründung. Und deswegen beziehe sich der Denkmalschutz doch nicht auf die Abfertigungshalle, deren Dach nun abgerissen werden soll.

Dass das Kulturministerium dennoch bei der Ein-Gebäude-Version mit garantiertem Denkmalschutz bleibt, spielt schon fast keine Rolle mehr. Denn das Nationale Denkmalschutzamt setzte die eigenständige Abfertigungshalle kurzer Hand auf die Liste der Kulturdenkmäler – und zwar nur wenige Tage, nachdem der Entwurf von Henning Larsen Architects als Wettbewerbssieger präsentiert worden war.

Prager Hauptbahnhof | Foto: Mélanie Vigneau,  Radio Prague International

Verhindert Denkmalschutz jeglichen Umbau?

Dies ist also der aktuelle Stand der Dinge. Vielerorts wird nun die Frage gestellt, ob das nicht alles hätte geklärt werden müssen, bevor der Wettbewerb im Mai 2022 gestartet wurde. Architekt Jakub Cigler behauptet, dies sei geschehen:

Jakub Cigler | Foto: Ian Willoughby,  Radio Prague International

„Ich war in dem Team, das die Ausschreibung vorbereitet hat. Wir haben gerade sehr darauf geachtet, dass diese Dinge konsultiert wurden. Es gab Verhandlungen mit dem nationalen Denkmalschutzamt, und das schon vor zwei Jahren, als es um die Wettbewerbsbedingungen an sich ging. Dann haben wir auch mit dem Prager Magistrat gesprochen. Alle wurden in den Wettbewerbsdialog als Experten eingeladen, um den Verlauf zu beobachten. Die Nachfragen von Seiten des Denkmalschutzamtes während des Dialogs bezogen sich nur darauf, ob in die Endrunde drei neue Entwürfe gelangt sind und ob sie das Fanta-Gebäude berücksichtigen. Aber eben nicht das, was wir heute diskutieren.“

Auch Petr Hlaváček (Stan) ist Mitglied der Bewertungskommission. Der stellvertretende Oberbürgermeister von Prag und Stadtrat für Stadtentwicklung bleibt im Interview für die Inlandssendungen des Tschechischen Rundfunks betont gelassen:

Petr Hlaváček | Foto: Praha.eu

„Wenn ein Gebäude ein Kulturdenkmal ist, bedeutet dies meiner Meinung nach nicht, dass es nicht umgebaut werden kann. Denn das Hauptziel ist, den Gebäuden ein neues Leben einzuhauchen. Wir sprechen dabei von einer Art Recycling dieser Bauten. Es haben sich nun aber erschwerende Bedingungen ergeben. Vereinfacht gesagt sind dies Gebäude, die sowohl technisch nicht mehr der heutigen Zeit entsprechen als auch gesellschaftlich.“

Auch Cigler meint, dass die Umsetzung des Siegerentwurfs nicht an der Frage des kulturellen Wertes der Bahnhofshalle scheitern müsse:

„Die Diskussion um den Denkmalschutz hat keinen Vorrang. Natürlich ist dieser eine ernsthafte legislative Angelegenheit. Aber wir befinden uns auf dem von der Unesco geschützten Gebiet des Prager Zentrums. Egal, ob die Abfertigungshalle an sich als Kulturdenkmal gilt oder nicht – die Architekten müssen das sowieso in den Verhandlungen zur Grundstücksgestaltung oder auch zum Denkmalschutz berücksichtigen. Diese Frage wird zwar gerade viel diskutiert, ist aber meiner Meinung nach nicht so verbindlich.“

Der Entwurf müsse jetzt sowieso von mehreren Instanzen wie dem Grundstücks- und Bauamt beurteilt werden, ergänzt Cigler. Dort würde sich zeigen, ob er bestehen kann.

Der Denkmalschutz ist durch die nachträgliche Eintragung der Abfertigungshalle nun erst einmal gegeben. Im Falle, dass von welcher Seite auch immer dagegen nun Einspruch erhoben würde, muss das Kulturministerium eine neue Entscheidung fällen. Laut Mitteilung aus dem Ressort wird es sich ohne einen solchen Einwand aber nicht weiter äußern.

Orientalische Dachkonstruktion

Der Streit darum, ob die zentrale Halle des Prager Hauptbahnhofs nun geschützt ist oder nicht, hat die inhaltliche Diskussion um den Siegerentwurf sofort überlagert. Es gibt aber durchaus auch Kritik an einigen architektonischen Details des geplanten Umbaus. So heißt es, dass die hölzerne Dachkonstruktion eher nach Abu Dhabi als nach Tschechien passen würde. Zudem sind Stimmen zu hören, dass sich das Holz mit der Zeit unschön verfärben würde. Und es gibt sogar eine Petition gegen die Umsetzung der Pläne von Henning Larsen. Dort heißt es, dass der Hauptbahnhof doch ein „Tor zur Stadt“ sei, in der neuen Gestalt aber dem architektonischen Erbe Prags widersprechen würde.

Quelle: Henning Larsen Architects

Auch der Architekt Tomáš Podrázský lehnt den Entwurf als „nicht glücklich“ ab und begründet:

„Erstens gefällt mir nicht, dass ein historisch wertvolles Gebäude abgerissen wird – egal ob es unter Denkmalschutz steht oder nicht. Dabei spielen auch ökonomische Erwägungen eine Rolle. Ein Gebäude abzureißen, ist zweifelsohne teurer – ebenso wie ein neues zu bauen, dessen Funktionalität noch dazu diskutabel ist. Zweitens stört mich, dass die Wettbewerbsbedingungen nicht eingehalten wurden. Sie hatten besagt, dass der Bau restauriert werden soll. Dass etwa das Dach anders genutzt und neue Funktionen ergänzt werden sollen. Wenn große Teile des Daches und des Gebäudes nun aber abgerissen werden, ist die Aufgabenstellung nicht erfüllt.“

Die Ausschreibung sei zu lasch formuliert worden, so Podrázskýs Urteil. Er kritisiert zudem, dass es keinen gesellschaftlichen Dialog im Vorfeld gab. Allerdings glaube auch er nicht, dass ein solcher zu seinem Konsens geführt hätte:

„Mit Sicherheit bliebe es immer eine Kontroverse. Dennoch denke ich, dass sich die tschechische Gesellschaft langsam weiterentwickelt. Der Siegerentwurf zur Moldauphilharmonie zum Beispiel hat zwar auch Kritik geerntet, wurde aber ohne größere Emotionswellen akzeptiert.“

Foto: Henning Larsen Architects

Da die Philharmonie aber auf einem Brownfield entstehe, könnten die Menschen ihr vermutlich mehr architektonische und innovative Freiheiten zugestehen, als beim Hauptbahnhof mitten im historischen Stadtzentrum, räumt Podrázský ein. Petr Hlaváček hingegen gibt sich eher desillusioniert, was die öffentliche Debatte angeht:

„Prag hat objektiv gesehen ein Problem mit Gegenwartsarchitektur. Das ist auch in der derzeitigen Diskussion erkennbar. Ich erinnere mich noch gut, wie ablehnend die Öffentlichkeit zum geplanten Tanzenden Haus stand. Und heute ist es fast eine Ikone. Dies ist zwar ein ernstes Thema, aber derart lassen sich solche Projekte nicht vorantreiben.“

Und deswegen läuft der Planungsprozess zur Umgestaltung des Prager Hauptbahnhofs jetzt auch erst einmal so weiter, wie es der sogenannte Wettbewerbsdialog vorsieht. Das heißt, dass nach der Präsentation des Siegerentwurfs nun eine Machbarkeitsstudie erstellt wird, die die Hinweise von außen sowie weitere Anforderungen einbezieht. Erst dann wird die Projektdokumentation ausgearbeitet. Und bevor der erste Hammerschlag getan wird, steht unter anderem eben eine Genehmigung des Denkmalschutzamtes an – sowohl auf nationaler als auch auf Prager Ebene.

Sollte alles nach Plan verlaufen, beginnen die Bauarbeiten 2028. Die Kosten werden auf zwei Milliarden Kronen (81 Millionen Euro) geschätzt. Selbst für Petr Hlaváček könnte es dann noch eine Überraschung geben:

„Projektieren ist in Prag eine recht schwierige Sache. Es lässt sich nie vorhersagen, wie es am Ende ausgeht.“

Autoren: Daniela Honigmann , Anna Jadrná , Tomáš Pancíř , Jan Bumba | Quellen: Český rozhlas Plus , Radiožurnál
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