Tomás Halík
Schon immer spielten Intellektuelle eine wichtige Rolle im tschechischen öffentlichen Leben. Sie sind oft zu geistigen und politischen Führern ihres Volkes aufgestiegen und waren bei allen wichtigen Weichenstellungen in der tschechischen Geschichte dabei - egal, ob es um die Gründung der Tschechoslowakei nach der ersten Weltkrieg, oder um die Wiedererlangung der politischen Freiheit nach 1989 ging, Schriftsteller, Philosophen und Künstler standen stets an vorderster Front. Der Stellung der Intellektuellen in der tschechischen Gesellschaft ist auch unser heutiger Schauplatz gewidmet, zu dem Sie Robert Schuster recht herzlich begrüßt.
Heute, fast auf den Tag genau zwei Jahre später, beteiligen sich führende Vertreter des "Impuls 99" an der Gründung einer neuen politischen Partei. Ist das nicht der Beweis dafür, dass man in Tschechien Politik nicht ohne Parteien machen kann, lautet deshalb unsere erste Frage an Professor Halik:
"Man muss unterscheiden zwischen Politik im breiten Sinne als öffentliches Leben und als eine Pflege um den öffentlichen Raum und die professionelle Politik, also die Parteipolitik. Ohne Parteien kann man Politik nicht wirklich machen, aber ich bin fest davon überzeugt, dass zu dem öffentlichen Raum nicht nur politische Parteien gehören, sondern Bürgerinitiativen, Bewegungen, Klubs von Intellektuellen. Zudem muss man zwischen politischer Macht und Einfluss unterscheiden. Die Bürgerinitiative Impuls 99 wollte den Impuls zu einer öffentlichen Debatte über die wichtigen Fragen der tschechischen Politik und des gesamten öffentlichen Lebens initiieren. Aber die politischen Parteien waren insgesamt nicht bereit zu einer Diskussion und jetzt müssen auch einige Leute aus diesen Initiativen eine neue politische Kraft bilden, aber andere - wie ich selbst - bleiben auf der Ebene eines Brain-Trust, also wir werden weiterhin eine kritische Korrektur zur Politik anbieten."
Eines der Mittel, mit dessen Hilfe das öffentliche Leben in Tschechien belebt werden können und die Bürgerinnen und Bürger stärkeren Einfluss auf das öffentliche Leben bekommen sollen, ist die direkte Demokratie. Schon seit Jahren ertönt deshalb der Ruf nach Einführung von Volksabstimmungen und einer Direktwahl des Staatsoberhaupts gerade aus der Reihe der Intellektuellen besonders stark. Tschechien ist nämlich unter den früheren sozialistischen Ländern Europas das einzige, wo seit der politischen Wende des Jahres 1989 noch kein einziges Referendum stattfand. Der Grund dafür liegt im mangelnden Willen der Politiker die tschechische Verfassung so zu ändern, dass Volksabstimmungen künftig möglich sind. Doch ausländische Erfahrungen zeigen, dass auch ein Mehr an direkter Demokratie kein Allheilmittel gegen wachsende Politikverdrossenheit ist. Zudem bergen Direktwahlen die Gefahr in sich, dass nicht etwa die Bewerber mit den besten Ideen gewinnen und gewählt werden, sondern diejenigen, die den besseren Wahlkampf führen - sprich, die über das meiste Geld verfügen. Von diesen Gefahren weiß auch Tomas Halik, dennoch ist er nach wie vor von der Richtigkeit direktdemokratischer Mittel überzeugt:
"Also viele Gefahren sind mit der direkten Demokratie immer verbunden. Aber solche Initiativen, wie die direkte Wahl von Präsidenten ist eine Korrektur gegen die Herrschaft der Parteien, gegen den großen Einfluss der politischen Parteien. Wichtig ist das ganzheitliche Klima in einer Demokratie. Ich bin überzeugt, dass zur Demokratie auch eine gewisse Biosphäre der Demokratie gehört. Dazu gehört die Respektierung der Werte, des Rechts, eine Rechtskultur in der politischen Kultur und das ist das bedeutendste."
Persönlichkeiten wie Professor Halik mussten in den letzten Jahren zahlreiche Anfeindungen über sich ergehen lassen. Sie kommen dabei oft aus Kreisen, von denen man es vielleicht auf den ersten Blick nicht erwartet hätte. Im konkreten Fall Haliks bedeutet das insbesondere aus dem Umkreis seiner eigenen, der katholischen Kirche. Dem Professor wird vorgeworfen, er vernachlässige seine pastoralen Aufgaben und laufe dem vergänglichen weltlichen Ruhm hinterher. Andere stoßen sich vor allem daran, dass Halik vom gegenwärtigen tschechischen Präsidenten Vaclav Havel als einer seiner möglichen Nachfolger im höchsten Staatsamt genannt wurde. Ein katholischer Geistlicher und Theologieprofessor als Präsident? Das wäre wahrscheinlich für viele Tschechen eine glatte Provokation. Halik selbst meint zu seinem öffentlichen Wirken:
"Wenn ich nur ein Pfarrer wäre und nichts anders als Pfarrer, dann könnte ich mehr Messen zelebrieren, mehr Leute trauen, aber das ist nach meiner festen Überzeugung nicht meine Berufung. Ich bin überzeugt, dass meine Aufgabe es ist verschiedene Lebensbereiche in gegenseitige Beziehung zu bringen. Wenn ich in meiner pastoralen Arbeit den Studenten in der Universitäts-St.Salvator-Kirche predige und wenn ich diese Leute auf dem geistlichen Weg begleite, dann kann ich auch meine Erfahrungen aus meiner Arbeit als Professor, aus dem öffentlichen Leben im Engagement als Bürger auch verwerten, und benutzen."
Die Reaktionen auf die öffentliche Tätigkeit von Tomas Halik hängen jedoch auch mit dem verzerrten Bild der Kirchen zusammen, so wie sie in der kommunistischen Zeit dargestellt wurden. Insbesondere der katholischen Geistlichkeit wurde von den kommunistischen Machthabern umstürzlerische Absichten gegen das Regime vorgeworfen. Auch wenn seit dem Ende des real existierenden Sozialismus fast 12 Jahre vergangen sind, zeigt sich noch oft, das manche von diesen systematisch geschürten Vorurteilen immer noch im öffentlichen Bewusstsein vieler Tschechen vorhanden sind. Das ist wahrscheinlich auch einer der Gründe dafür, warum Tschechien das einzige Land im früheren Ostblock ist, in welchem die Beziehungen zwischen Staat und Kirche immer noch nicht gelöst werden konnten. Kürzlich konnten zwar diesbezügliche Verhandlungen mit dem Vatikan abgeschlossen, aber der entsprechende Vertrag konnte bis jetzt noch nicht umgesetzt werden. Professor Tomas Halik bemängelt deshalb vor allem den Umstand, dass in den vergangen 10 Jahren die Frage des Verhältnisses zwischen Kirchen und Staat fast ausschließlich unter dem Gesichtspunkt der Rückgabe des von den Kommunisten enteigneten kirchlichen Eigentums stand. Seiner Meinung nach war es deshalb unausweichlich, dass da alte Stereotype und Neidkomplexe hervorgerufen wurden. Halik setzt deshalb auf ein stärkeres Hineinwirken der Christen auf die Gesellschaft:
"Ich meine, dass bevor diese Beziehungen zwischen Kirche und Staat gelöst werden, muss man die gesellschaftliche Atmosphäre beeinflussen. Das ist sehr wichtig, dass die Kirchen sagen, was die Christen dieser Gesellschaft anbieten können. Erst dann kann man über die rechtlichen und wirtschaftlichen Forderungen, die Restitution, sprechen. Die Kirche war in der kommunistischen Zeit aus dem öffentlichen Leben völlig ausgeschlossen worden und die Gesellschaft als solche hat sich an diese Reduktion der Kirche gewöhnt. Das gilt aber auch für die Gläubigen und die Priester - die sich an dieses "invalide" Modell gewöhnt haben. D.h. nur die Messe feiern, die Sakramente spenden, ohne jegliche Ausstrahlung der Kirche in das öffentliche und kulturelle Leben und eine soziale Arbeit usw. Wir müssen jetzt Erfahrungen sammeln und Schritt für Schritt diesen Dienst der Kirche an der Gesellschaft vertiefen."
Professor Halik verhehlt dabei nicht, dass er das deutsche Modell, wo die christlichen Kirchen in der Gesellschaft sehr aktiv und präsent sind, auch für Tschechien verfolgenswert finden würde. Dabei gebe es jedoch ein großes und scheinbar unüberbrückbares Problem: Einen latenten Mangel an jungen Priestern. Halik verweist dabei auf den Umstand, dass viele Priester bereits sehr alt seien, dennoch aus Mangel an geeignetem Ersatz ihren Dienst fortsetzen müssen. Es müssen deshalb neue zeitgemäßere Wege gefunden werden, um eine Verbindung zwischen Kirchen und der Gesellschaft herzustellen. Diese Aufgabe könnten laut Halik Vereinigungen wahrnehmen, wie z.B. die Tschechische Christliche Akademie, deren Präsident er ist:
"Meine Hoffnung liegt in den Institutionen, die sich darum bemühen eine Brücke zu bilden zwischen der geistlichen und der säkularen Gesellschaft. Dazu gehört unsere Tschechische Christliche Akademie, die bereits in mehr als 40 Städten ihre Zweigstellen hat. Dort organisieren wir öffentliche Vorlesungen, Debatten, Begegnungen mit Politikern. Wir machen auch Kolloquien für Kirchenvertreter, das alles ökumenisch. Wir diskutieren z. B. über Bioethik, das Klonen von Menschen oder soziale Fragen. Und die CKA hat auch ein Dokument vorbereitet, das mit den Pastoralbriefen in Österreich oder Deutschland zu vergleichen ist. Dieses 60 Seiten lange Dokument ist sehr kritisch und viele - auch die Kritiker sagen: "Ja das ist das einzige Dokument in der Tschechischen Republik , welches alle Bereiche des gesellschaftlichen Lebens reflektiert - Politik, Wirtschaft, Kultur, aber auch geistiges Leben. Das ist vielleicht auch ein wichtiger Schritt für ein Engagement der Christen in der tschechischen Gesellschaft von heute."