Total burn-out of Lidice: Umstrittenes Spiel mit der Geschichte

'Total burn-out of Lidice'

Ein Computerspiel erhitzte in den vergangenen Wochen die tschechischen Gemüter. Und nicht nur diese: Wer ein wenig im Internet nachforscht, der kann sich schnell davon überzeugen, dass die Diskussion über "Total burn-out" - also etwa "Totales Niederbrennen" - längst auch in internationalen, englischsprachigen Foren geführt wird. Dabei aber handelt es sich bei "Total burn-out" eigentlich um gar kein richtiges Computerspiel, sondern um eine provokativ angelegte Werbeaktion der Gedenkstätte von Lidice. Jener mittelböhmischen Gemeinde also, die 1942 von den Nazis dem Erdboden gleichgemacht wurde. Mittlerweile haben die Verantwortlichen der Kritik nachgegeben und "Total burn-out" wieder vom Netz genommen. Die Diskussion über die Grenze zwischen billiger Effekthascherei und effektiver Präsentation historischer Zusammenhänge ist damit aber nicht verstummt.

"Der Schock, der hier ausgelöst wird, ist wirklich groß. Vor allem die ältere Generation erträgt ihn nur schwer", sagt Milous Cervencl, der Direktor der Gedenkstätte Lidice, über das Projekt "Total burn-out". "Aber ich bekomme Unmengen von E-Mails aus der ganzen Republik, meistens von jungen Leuten, also von Angehörigen unserer 'Zielgruppe'. Sie alle gratulieren uns, singen wahre Lobeshymnen, oder beraten uns sogar, wie wir einige Sequenzen verlängern oder noch ausdrucksvoller gestalten könnten. Sie sagen: 'Ja, das ist es! Sonst sind diese Dinge langweilig, und Lidice zum Beispiel kannten wir überhaupt nicht.' Oder sie schreiben: 'Wir werden jetzt kommen und uns die Gedenkstätte ansehen. Wir wussten ja bis jetzt gar nichts über Lidice, darüber, was dort passiert ist oder wo es überhaupt liegt. Uns hat das niemand gesagt! Von Theresienstadt haben wir gehört. Aber Lidice?'"

Was hat nun die jungen Leute so in ihren Bann gezogen? Die Internetseite www.totalburnout.cz bot ein vermeintliches Computerspiel zum Download an. "Total burn-out of Lidice" heißt es. Zuerst erfährt der Besucher, wie viele Punkte er für einen getöteten Menschen bekommt, und wie viele für ein zerstörtes Haus. Danach darf er seine Waffen wählen. Erst dann kommt der Bruch. Auf dem Bildschirm erscheint der Text:

"Was denkst du, was du hier spielst? Lidice war kein Spiel, sondern Realität!"

Die Realität von Lidice: Als willkürliche Rache für den Mord am stellvertretenden Reichsprotektor Reinhard Heydrich fielen die Nazis am 10. Juni 1942 über die kleine Gemeinde nordwestlich von Prag her. Die 173 Männer des Dorfes wurden sofort erschossen. Die Frauen wurden ins Konzentrationslager Ravensbrück deportiert. Die Kinder wurden in zwei Gruppen aufgeteilt: Einige durften am Leben bleiben, um "eingedeutscht" zu werden, die anderen wurden mit Auspuffgasen erstickt. Insgesamt fielen dem Wüten der Besatzer gegen die Bewohner von Lidice 340 Menschen zum Opfer, sämtliche Gebäude wurden niedergebrannt.

Dass nun versucht wurde, mithilfe eines vermeintlichen Computerspiels an die Gräuel von damals zu erinnern, stieß auf zum Teil heftige Kritik. Bedenken hat auch die Psychologin Ilona Gillernova:

"Wenn man auf diese Art Kinder mit diesen Informationen konfrontieren will, dann finde ich das nicht gut. Ich würde da eine andere Form wählen. Es hängt natürlich vom Alter ab. Ab einem gewissen Alter haben Kinder die Möglichkeit, sich mit diesen Dingen vertraut zu machen, und ich glaube, sie sollten auch alle Informationen bekommen. Aber ein Kind zuerst mit einem Spiel anzulocken und ihm die Sache dann auf diese doch sehr harte Weise zu servieren, das ist kein guter Weg, um diese Informationen zu vermitteln."

Scharfe Kritik kam auch vom Tschechischen Verband der Freiheitskämpfer, einer Organisation ehemaliger Widerstandskämpfer gegen das Nazi-Regime, und vom Tschechischen Rat für die Opfer des Nazismus. Milous Cervencl, der Direktor der Gedenkstätte Lidice, verteidigt die Idee dennoch. Und das, obwohl er anfangs selbst lange gezweifelt hat, wie er sagt:

"Ob diese Kampagne die geeignetste Form ist, das sollen Fachleute beurteilen, Soziologen, Psychologen, Pädagogen. Ich glaube jedenfalls, dass der Bekanntheitsgrad der Gedenkstätte Lidice jetzt sehr viel höher ist als vorher. Die 20.000 Leute, die allein innerhalb der ersten dreißig Stunden die Website besucht haben, wissen jetzt, dass Lidice existiert, dass hier unschuldige Menschen ermordet wurden, dass Lidice in Mittelböhmen liegt, und dass die ganze Sache etwas mit dem Zweiten Weltkrieg zu tun hat. Viele Kinder wissen ja heute gar nicht, dass es überhaupt zwei Weltkriege gegeben hat, und dass ihnen auch Tschechen zum Opfer fielen", so Cervencl noch vorige Woche.

Mittlerweile aber wurde der Druck auf Cervencl und sein Team doch zu groß. Selbst die Gemeinde Lidice, die nach dem Krieg gleich neben der ursprünglichen Ortschaft aus dem Boden gestampft worden war, legte Protest ein. Wer am Wochenende die Website www.totalburnout.czöffnete, der konnte auf dem Bildschirm seines Computers nur noch folgenden Text lesen:

"Die Leitung der Gedenkstätte Lidice respektiert die Entscheidung der Gemeindevertretung Lidice vom 14. 9. 2006 und hat sich entschieden, die Internet-Kampagne für die Gedenkstätte vorzeitig zu beenden. Der Direktor der Gedenkstätte Lidice entschuldigt sich bei allen, die sich von dieser Kampagne verletzt fühlten, insbesondere bei den Hinterbliebenen der Tragödie von Lidice. Die Gedenkstätte tat und tut alles dafür, das Andenken an diese Tragödie im Gedächtnis der Öffentlichkeit zu wahren, als Appell gegen Nazismus und Totalitarismus, gegen Hass und Gewalt."


In den diversen Internetforen, in denen üblicherweise Tipps zu Computerspielen ausgetauscht werden, geht die Diskussion aber unvermindert weiter. Hier ein Ausschnitt eines ursprünglich auf Englisch verfassten Eintrags:

"Ich kam einmal auf die Seite, sah worum es in dem Spiel gehen soll, und dachte: Das ist krank, da will ich mich nicht beteiligen. Und ich stieg aus. Dann las ich aber in den Foren, was es in Wirklichkeit damit auf sich hat. Ich öffnete die Seite noch einmal, und tat so, als ob ich spielen wollte. Es war unangenehm, und ich fühlte mich immer noch ein wenig schuldig, als der Trick verraten wurde und die Frage kam: 'Was denkst du, was du hier spielst?' Ich hoffe nur, dass mein Besuch bei der Seite nun nicht dazu verwendet wird, um zu zeigen, wie viele kranke und rechtsextreme Spieler sich im Internet herumtreiben."

In einem anderen, tschechischsprachigen Forum schreibt jemand:

"Diese Idee ist hervorragend und ganz sicher geeignet für eine Marketingkampagne! Ehrlich gesagt: Ich habe mich ein bisschen geschämt, nachdem ich mich durchgeklickt hatte."

Die lapidare Antwort eines anderen Users gibt der angeregten Diskussion über "Total burn-out" jedoch einen überaus bitteren Beigeschmack: "Das schlimmste daran ist", schreibt er oder sie, "dass es jetzt dazu bereits ein richtiges Spiel gibt."

Offenbar also haben sich Provokateure von der Marketing-Idee aus Lidice inspirieren lassen - wenn auch in gänzlich anderem Sinne.