Tschechen und die EU: Profiteure und Verteidiger
Wie stehen die Tschechen wirklich zur Europäischen Union? Kurz vor den Wahlen zum Europarlament haben sich Soziologen vom Meinungsforschungsinstitut Median diese Frage gestellt. Die Antwort ist jedoch komplexer, als man meinen mag.
„Oft wird nur von Euro-Jublern und Euro-Skeptikern gesprochen, womit aber lediglich zwei Gruppen definiert werden. Wenn man aber genauer nachfragt, also nach der Haltung der Menschen zu einem Austritt aus der EU oder den Vorteilen der Mitgliedschaft, dann ergeben sich auf einmal sieben verschiedene Gruppen.“
Die Umfrage hat der Thinktank „Moje Evropa“, zu Deutsch Mein Europa, in Auftrag gegeben. Gegründet wurde der Verein vom ehemaligen Regierungsbeauftragten für die EU, Tomáš Prouza. Der Sozialdemokrat ist froh, dass die Tschechen einen vielschichtigen Blick auf die Union haben:
„Es hat sich gezeigt, dass die Tschechen doch nicht so europaskeptisch sind. Sie glauben aber vielen Mythen über die EU. Man muss ihnen immer wieder erklären, dass manche Sachen ganz anders sind, als ihnen bestimmte EU-feindliche Politiker suggerieren wollen.“Gefragt wurde nach den persönlichen Vorteilen durch Europa, wie man das Funktionieren der Brüsseler Institutionen bewertet oder welche Vorteile die EU für Tschechien hat. So konnte Median die Befragten in bestimmte Kategorien einteilen. Mit jeweils 18 Prozent sind die sogenannten Profiteure und die skeptischen Reformisten die zwei größten Gruppen unter den Tschechen. Bei ersteren sei klar, dass sie einen eher positiven Standpunkt zur EU hätten, erklärt der Soziologe Prokop:
„Das sind sehr pragmatische und materialistische Wähler. Sie schöpfen zwar aus den Vorteilen der EU und machen sich diese auch bewusst – sie verreisen zum Beispiel viel oder arbeiten zeitweise im Ausland. Man kann aber nicht sagen, dass sie brennend die Werte der EU befürworten.“
Die skeptischen Reformisten wiederum haben laut Prokop eine deutlich kritischere Einstellung zur Politik aus Brüssel. EU-feindlich seien sie aber nicht, ganz anders als die sogenannten Verteidiger, wie der Soziologe eine weitere große Gruppe unter den Tschechen bezeichnet. Immerhin machen die ausgemachten Feinde der EU laut der Studie 17 Prozent der hiesigen Bevölkerung aus:„Sie vertrauen der EU weniger als den nationalen Institutionen. Außerdem haben sie Angst vor der Migration und sind schlicht EU-Gegner. Diese Gruppe rekrutiert sich aber nicht aus der ärmsten Bevölkerungsschicht.“
Noch radikaler sind die antisystemischen Pessimisten, bei denen zudem ein sehr autoritäres Weltbild sowie eine extreme Feindlichkeit gegenüber Migranten vorherrschen. Laut der Umfrage bekennen sich acht Prozent der Befragten zu dieser Gruppe.
Genau das Gegenteil wiederum sind die urbanen Liberalen, die laut der Aufstellung zwölf Prozent der Tschechen ausmachen. Diese sind jung, gut ausgebildet und haben ein äußerst positives Bild von Europa. In dieser Kategorie finden sich außerdem die einzigen Befürworter des Euro hierzulande. Mit elf Prozent ist die Gruppe der Pragmatiker etwas kleiner. Diese vor allem älteren Tschechen seien für die EU, solange Fördergelder nach Tschechien flössen und so Vorteile für das Land entstünden, erklärt Daniel Prokop. In ein paar Jahren, wenn die Geldströme aus Brüssel versiegen, könnte sich ihre Einstellung jedoch ins Negative drehen, glaubt der Soziologe. Laut Tomáš Prouza von „Moje Evropa“ müssten die Tschechen aber lernen, dass es auch in der EU nichts umsonst gebe:„Insgesamt sind die Tschechen sehr pragmatisch. Sie sehen all die Vorteile, die sie von der EU haben. Sie begreifen aber nicht, dass sie dafür auch etwas hergeben und opfern müssen. Ich bewerte die Umfrage so, dass wir hierzulande alle Boni der Union genießen, aber möglichst wenig in die Gemeinschaft investieren wollen.“Die Umfrage von Median hat jedoch noch eine weitere große Gruppe unter den Tschechen ausgemacht. 16 Prozent der Bevölkerung hierzulande gehören zu den sogenannten Ausgeschlossenen. Diese sind sozial benachteiligt, worunter beispielsweise Alleinerziehende oder Menschen in Pfändung zu verstehen sind. Laut dem Soziologen Daniel Prokop haben diese überhaupt kein Bild von der EU, da sie aufgrund ihrer sozialen Lage außen vor bleiben im politischen Prozess.