Tschechien: Alles, aber nur kein Paradies?

Foto: Archiv des Tschechischen Zentrums Warschau

Die Polen mögen ihre Nachbarn im Süden. Auch deshalb haben sie oft ein sehr romantisches Bild von Tschechien. Ein neues Buch bringt dieses aber jetzt ins Wanken.

Foto: Archiv des Tschechischen Zentrums Warschau
„Für die Polen ist Tschechien ein Ort, an dem man angenehm seine Zeit verbringen kann, vor allem bei Bier und Knödeln.“

So wie die Verlegerin Katarzyna Niedurny denken viele Polen über ihre Nachbarn im Süden. Tschechien sei ein fortschrittliches Land mit netten Leuten, die das Leben zu genießen wissen, heißt es oft. Nichtsdestotrotz hat Niedurny nun ein Buch auf den Markt gebracht, das diese Vorstellungen über den Haufen wirft. Es ist der Band „To nie jest raj“ („Das ist kein Paradies“) des Journalisten Michał Zabłocki. Hier ein kleiner Vorgeschmack aus dem Buch:

„Das Leben in Tschechien ist langweilig, monoton und ganz ohne Attraktionen. Genauso eben wie in Polen oder sonst wo in Europa. Und das Paradies, das Josef Kajetán Tyl in der tschechischen Hymne besingt, ist nichts anderes als eine leere Worthülse.“

Foto: Verlag Dokořán
In Tschechien würden außerdem die Armen auf der Strecke bleiben, und die Menschen seien viel zu fett vom schlechten Essen. Das sind die Beobachtungen, die Michał Zabłocki in seiner Zeit als Korrespondent einer polnischen Pressagentur in Prag gemacht hat. In seinen Augen sind die Tschechen durchweg frustriert, und in der Politik werde grob miteinander umgegangen:

„Vielleicht bin ich zu grausam. So habe ich das Land aber ganz einfach gesehen, es sind schlicht meine Erfahrungen.“

Die Polen mögen Tschechien insgesamt sehr gerne. Seinen Anteil daran hatte auch der Publizist Mariusz Szczygieł. 2006 brachte er sein Buch „Gottland“ heraus. Es ist eine Liebeserklärung an das Land von Škoda, Karel Gott und Schuhen der Marke Baťa. In Polen wurde der Band zum Bestseller und Tschechien fast schon zum gelobten Land. Auch Michał Zabłocki war in seinem Tschechien-Bild von dem Buch beeinflusst:

„Ich würde nicht behaupten, dass mein Buch eine Antwort auf das von Szczygieł ist. Mein Werk ist einfach eine Reaktion auf meine eigenen Beobachtungen. Es ist das Ergebnis von Gesprächen mit ganz einfachen Menschen, die sich über dasselbe beschweren wie die einfachen Polen. Für mich selbst war das sehr überraschend, denn ich bin mit Szczygiełs Bildern im Kopf nach Tschechien gefahren: dass Tschechien wirtschaftlich hoch entwickelt ist und dass die Menschen dort glücklich darüber sind, in ihrem Land zu leben. Als ich aber selbst vor Ort war, sah es genau entgegengesetzt aus, einfach ganz anders.“

Auf der Prager Letná-Anhöhe waren rund 250.000 Menschen  (Foto: Michaela Danelová,  Archiv des Tschechischen Rundfunks)
Vor allem will Michał Zabłocki mit Mythen aufräumen, die in seiner Heimat über Tschechien vorherrschen. Das betrifft nicht nur die vermeintliche böhmische Dolce vita, sondern auch die politischen Verhältnisse:

„Der schlimmste Mythos ist wohl der, dass sich die Tschechen für rein gar nichts interessieren. Dass sie in die Kneipe gehen, sich über nichts beschweren und ihr inneres Glück bereits gefunden haben. Wir haben spätestens im Sommer gesehen, dass das nicht wahr ist. Immerhin waren auf der Prager Letná-Anhöhe rund 250.000 Menschen, die ihre Unzufriedenheit darüber ausgedrückt haben, in welche Richtung sich ihr Land bewegt.“

Zugleich zeigt sich Zabłocki skeptisch, dass hinter den Protesten wirklich ein Wille zum Wandel steht. Denn der Autor meint ebenso, dass Tschechien politisch und gesellschaftlich irgendwo in der Wendezeit steckengeblieben sei.

Zabłocki begreift sein Buch aber nicht unbedingt als Abrechnung mit dem Nachbarland. Vielmehr sieht er es als Fingerzeig in Richtung seiner eigenen Landsleute. Denn:

„Alles in allem haben wir in Polen nur sehr wenige Informationen über Tschechien. Aber auch insgesamt wissen wir nur sehr wenig über das Ausland.“