„Tschechien tut alles, damit keine Flüchtlinge bleiben“ – Martin Rozumek, Leiter der Hilfsorganisation OPU

Foto: Radek Duchoň, Archiv des Tschechischen Rundfunks

Schon das Wort klingt abschreckend: detenční zařízení. Übersetzt heißt das so viel wie Internierungseinrichtung. Flüchtlinge, die illegal die Grenze zu Tschechien übertreten, aber dann keinen Asylantrag hierzulande stellen, kommen in diese Lager. Drei dieser Einrichtungen gibt es bisher, eine vierte soll demnächst entstehen. Die meisten der Flüchtlinge kommen aus Syrien, Pakistan, Afghanistan und Bangladesch. Derzeit bleiben sie im Schnitt etwa 50 Tage in den Lagern. Der Justizminister und Hilfsorganisationen kritisieren jedoch, dass dort menschenunwürdige Zustände herrscht würden. Dazu nun ein Gespräch mit Martin Rozumek, Leiter der gemeinnützigen „Organizace pro pomoc uprchlíkům“ (Hilfsorganisation für Flüchtlinge, OPU).

Flüchtlinge in Bělá pod Bezdězem  (Foto: Radek Duchoň,  Archiv des Tschechischen Rundfunks)
Herr Rozumek, im Sommer kam es im Lager in Bělá pod Bezdězem sogar zu einem Aufstand von Flüchtlingen. Innenminister Milan Chovanec bezeichnet aber den Umgang mit Flüchtlingen hierzulande als den europäischen Standards entsprechend, und das auch in Reaktion auf jüngste Kritik. Wie bewerten Sie die Lage für die Flüchtlinge in den hiesigen Internierungseinrichtungen?

„Die Lage dort ist unerträglich, damit meine ich die Einrichtungen in Bělá pod Bezdězem und in Vyšní Lhoty. Den Flüchtlingen werden die Handys abgenommen. Sie können nicht einmal ihre Verwandten anrufen, weil ihnen nicht erlaubt wird, sich wenigstens die Nummern vorher aufzuschreiben. Ihnen wird das Geld abgenommen, weil sie die Unterbringung und das Essen in den Internierungseinrichtungen bezahlen müssen. Vor allem Bělá pod Bezdězem ist zudem überfüllt. Laut unseren Informationen sind dort derzeit 500 Menschen. Zuvor waren es sogar 700, die dort unter unwürdigen Bedingungen untergebracht sind. Wir haben zum Beispiel die Information erhalten, dass die Männer auch in der Turnhalle auf Isomatten schlafen und ohne Polizeibegleitung nicht einmal auf die Toilette gehen können. Wir haben Kinder gesehen, die augenscheinlich nicht genügend zum Anziehen und keine Schuhe hatten. Sie hatten Hunger – wir haben ihnen Essen gebracht, und die Reste haben sie sogar vom Boden aufgelesen. Das war einer der schlimmsten Momente, die wir dort erlebt haben. Auch sonst sind die Bedingungen in Bělá pod Bezdězem sehr unangenehm. Überall sind Polizei, hohe Zäune und Stacheldraht. Bei den Polizisten handelt es sich um Einsatzkräfte in Kampfanzügen mit Hunden, was einfach ein unwürdiger Umgang mit Menschen ist, die aus muslimischen Ländern vor dem Krieg geflohen sind. Wir halten das für eine Schande für Tschechien.“

Milan Chovanec  (Foto: Filip Jandourek,  Archiv des Tschechischen Rundfunks)
Ich gehe davon aus, dass Sie sich bereits an die Behörden oder direkt an das Innenministerium gewandt haben. Was ist Ihnen von offizieller Seite mitgeteilt worden? Wurde beispielsweise versprochen, die Bedingungen zu verbessern?

„Ich bin überzeugt, dass diese Zustände von Seiten des Innenministeriums so gewollt sind. Die Flüchtlinge sollen unter möglichst schweren, möglichst schlechten Bedingungen untergebracht sein, damit keine weiteren kommen. Meiner Meinung nach handelt es sich um eine durchdachte Politik von Innenminister Chovanec. Wir hatten ein Treffen mit einem der Staatssekretäre im Innenministerium, wir haben die Behörden informiert. Als wir gemerkt haben, dass dies nirgendwo hinführt, haben wir vor 14 Tagen eine Pressekonferenz abgehalten, damit die Medien darüber berichten und sich die Öffentlichkeit zu interessieren beginnt. Ich bin überzeugt, dass beim Innenministerium aber einfach der gute Wille fehlt und man dort gar nichts verbessern will.“

Eliška Wagnerová  (Foto: Filip Jandourek,  Archiv des Tschechischen Rundfunks)
Wie sieht es mit der Möglichkeit aus, vor Gericht zu ziehen? Die frühere Verfassungsrichterin Eliška Wagnerová zum Beispiel hat am Sonntag in einer politischen Talkshow von einem Gang vor den Europäischen Menschengerichtshof gesprochen…

„Das werden wir sicher probieren. Das Problem ist jedoch, dass wir zuerst alle Rechtsmittel hier in Tschechien ausschöpfen müssen. Das heißt, wir leisten natürlich Rechtsbeihilfe für die Flüchtlinge und reichen Klagen bei den Kreisgerichten ein. Die nächsthöhere Instanz ist dann der Oberste Verwaltungsgerichtshof, der Europäische Menschengerichtshof in Straßburg ist nur die letzte Möglichkeit. Derzeit liegen uns mehrere Urteile von Kreisgerichten vor und die sagen, dass die Internierung der Flüchtlinge illegal ist. Bereits 2014 hat die tschechische Ombudsfrau Anna Šabatová auf die Bedingungen in den Lagern hingewiesen, damals war die Lage aber noch weitaus erträglicher angesichts von nur einem Zehntel der jetzigen Flüchtlingszahlen. Zudem haben einige Kontrollausschüsse der Uno und des Europarates bemängelt, dass die Bedingungen in den Einrichtungen schlecht sind. Wir versuchen also derzeit, uns durch das tschechische Gerichtswesen zu kämpfen, und erst dann wenden wir uns an Straßburg.“

Foto: Vojtěch Berger,  Archiv des Tschechischen Rundfunks
Gibt es eigentlich irgendwo anders so etwas wie ein Musterlager zur Aufnahme von Flüchtlingen, die nicht bleiben wollen, aber schon zuvor in einem anderen EU-Land um Asyl gebeten haben müssten?

„Ich glaube, in keinem anderen Land besteht eine Mustereinrichtung dieser Art. Es gilt europäisches Recht, konkret für Asylbewerber die sogenannte Aufnahme-Richtlinie. Dort ist beschrieben, welche Mindestrechte die Aufgegriffenen haben. Doch die Tschechische Republik missachtet diese Richtlinie in vielen Aspekten, und es fehlen in der EU die rechtlichen Mittel, um die Regeln durchzusetzen. Wir haben sogar die Europäische Kommission informiert. Zwar machen sich die Ausschüsse der Uno und des Europarats hier jeweils ein Bild von der Lage, aber die Kommission müsste ein Verfahren gegen Tschechien einleiten.“

Martin Rozumek  (Foto: ČT24)
Eines der Argumente für die Internierung, das Innenminister Chovanec – aber auch weitere Politiker – immer wieder vortragen, lautet: Die Flüchtlinge würden ansonsten abhauen. Was sagen die tschechischen Gesetze dazu?

„Die tschechischen Gesetze ermöglichen die Internierung. Aber laut Artikel 1, Absatz 2 der tschechischen Verfassung gilt, dass internationale Verträge und Verpflichtungen über tschechischen Gesetzen stehen. Gemäß Artikel 5f der Menschenrechtskonvention dürfen Ausländer nicht interniert werden, um sie mit Verweis auf den Vertrag von Dublin zurückzubringen, wenn diese Rücküberführung wie im Fall Ungarn überhaupt nicht stattfindet. Zudem haben einige Gerichte bereits gesagt: Solange die tschechischen Gesetze ernste Gründe für eine Fluchtgefahr nicht gesetzlich definieren, darf keine Internierung nach Artikel 28 des Vertrags von Dublin erfolgen. Das heißt, die Internierung ist zwar den tschechischen Gesetzen nach möglich, aber nicht im Licht internationalen Rechts. Deswegen haben unsere Klagen vor den Gerichten mehrfach Erfolg gehabt. Leider ändert dies aber nichts an der Praxis. Das Innenministerium behauptet, dass sich jedes Urteil nur auf den konkreten Fall beziehe. Aber die Fälle sind alle haargenau gleich. Nur ganz langsam kommt es dazu, dass Syrer allmählich freigelassen werden. Auf der anderen Seite wird die Rücküberführung gemäß Dublin dann nicht nach Ungarn, aber in die Slowakei und nach Österreich verwirklicht. Dennoch glauben wir, dass die Internierung aus den genannten Gründen gegen internationales Recht verstößt. Dazu kommt, dass in den Einrichtungen auch Frauen mit Kindern, Familien mit Kindern und sogar minderjährige Kinder ohne Eltern untergebracht sind. Das widerspricht Artikel drei der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte, der den unmenschlichen und erniedrigenden Umgang mit Menschen verbietet. Die Bedingungen in den Internierungseinrichtungen sind so schlecht, dass ich mich nicht scheue, sie eben als unmenschlich und erniedrigend zu bezeichnen.“

Foto: Mstyslav Tschernov,  CC BY-SA 4.0
Eine weitere Sache: Tschechien lehnt ja Quoten zur Verteilung von Flüchtlingen ab. Die Politiker nicht nur der Regierung argumentieren damit, dass die Quoten ja ohnehin nicht funktionieren würden, weil die Flüchtlinge eh anderswohin abhauen würden. Verstehen Sie dieses Argument, und was halten Sie allgemein von der geplanten Quotenregelung?

„Die Tschechische Republik beziehungsweise das Innenministerium unternimmt alles, damit die Flüchtlinge nicht hierbleiben. Es wird mit aller Kraft versucht, dass die Flüchtlinge von selbst weiterziehen und gar nicht erst hierherkommen. Und unter diesem Gesichtspunkt müssen auch alle Schritte des Innenministeriums betrachtet werden. Das heißt, die Quoten funktionieren dann nicht, wenn sich unsere Behörden weiterhin so schlecht gegenüber den Ankommenden verhalten, wie sie es derzeit tun. Ich bin überzeugt: Gäbe es eine Infokampagne in den Ländern, aus denen die Menschen zu uns kommen sollen, also in Griechenland und Italien, und würde sich unser Verhalten ändern, dann würden die Quoten auch funktionieren. Ich denke zudem, dass die Idee gut ist, Hotspots möglichst nah an den Konfliktherden aufzubauen und sich im Folgenden auf die Verteilung der Lasten zu einigen. Das könnte auch ein Rezept für die Zukunft sein. Leider unternimmt aber unser Innenministerium ein Maximum, um die Menschen abzuschrecken. Auch die Auswahl der Flüchtlinge in Italien und Griechenland wird mit dem Ziel vonstattengehen, dass die Menschen nicht hierbleiben und die Last auf die Länder weiter westlich fällt. Die tschechische Politik muss geändert werden, dann klappt das auch mit den Quoten.“