Tschechien und die Erweiterung der NATO

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Die Neuordnung Europas, die mit dem Fall des Eisernen Vorhanges vor nunmehr fast fünfzehn Jahren ihren Anfang nahm, wird gegenwärtig meist mit der bevorstehenden EU-Erweiterung in Verbindung gebracht. Ohne allzu großes Aufsehen zu erregen, vollzieht sich daneben jedoch noch eine andere Erweiterung, nämlich die der NATO. Tschechien ist bereits seit 1999 dabei, am vergangenen Montag wurden nun wieder sieben neue Mitglieder aufgenommen. Welche Bedeutung hat die NATO-Mitgliedschaft für Tschechien, und inwiefern wirkt sich die jüngste Erweiterung der Allianz auf das Land aus? Im nun folgenden Magazin "Schauplatz" geht Gerald Schubert diesen Fragen nach:

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"Das hier ist nicht Business as usual", verkündete im November 2002 der damalige NATO-Generalsekretär George Robertson auf dem Prager Gipfel der Nordatlantischen Verteidigungsallianz:

"Heute Morgen haben die NATO-Staats- und Regierungschefs sieben europäische Staaten eingeladen, Beitrittsgespräche mit der Allianz zu beginnen. Bulgarien, Estland, Lettland, Litauen, Rumänien, die Slowakei und Slowenien transformieren sich nun, um den hohen Ansprüchen der NATO gerecht zu werden. Sie haben noch einiges zu tun. Aber ich bin froh, dass sie heute eingeladen wurden, sich unserer transatlantischen Familie anzuschließen."

Jener Prager NATO-Gipfel vor eineinhalb Jahren ging als Erweiterungsgipfel in die Geschichte der Allianz ein. Gastgeber war damals Vaclav Havel, dem nur noch wenige Wochen im Amt des tschechischen Staatspräsidenten bevorstanden. Tschechien selbst war ja bereits 1999 gemeinsam mit Ungarn und Polen in die NATO aufgenommen worden. Als ehemaliger Dissident im gewaltlosen Kampf gegen das kommunistische Regime seines Landes meinte Havel angesichts der Einladung an die sieben Neuen:

"Der letzte noch überlebende Rest des Eisernen Vorhanges, nämlich die seltsame psychologische Wand, die die alten Demokratien noch von den postkommunistischen trennte, bricht nun endlich nieder."

Vaclav Havel war jedoch nicht nur ein Befürworter des NATO-Beitritts gewesen, sondern erwies sich später, bereits nach Ablauf seiner Amtszeit, als ebenso entschiedener Europäer: Vor dem tschechischen EU-Referendum warb er aktiv für ein Ja seiner Landsleute. Dass die seltsame psychologische Wand, von der er auf dem Gipfel gesprochen hatte, durch die damals beschlossene NATO-Erweiterung nicht von einem Tag auf den anderen niedergerissen wurde, das weiß natürlich auch Havel ganz genau. Für viele im Land, und nicht nur für ihn, bedeutet die NATO aber vor allem eines: Stabilität und eine gewisse Garantie für die erst spät erkämpften demokratischen Strukturen. Der Politologe Jan Bures von der Prager Hochschule für Öffentliche Verwaltung und Internationale Beziehungen:

"Die Erfahrung mit der unfreiwilligen Mitgliedschaft im Warschauer Pakt und der Unterordnung unter eine totalitäre Macht im Rahmen militärischer Strukturen ist noch immer sehr präsent. Die NATO hingegen wird als eine wirklich demokratische Institution angesehen, der wir freiwillig beigetreten sind. Es ist aber natürlich klar, dass solche Einschätzungen immer auch Ausdruck der realen Politik sind. Und so wird die NATO-Mitgliedschaft heute nicht nur als militärische, sondern auch als wirtschaftliche Angelegenheit wahrgenommen. Denn natürlich bedeutet diese Mitgliedschaft auch Stabilität für Investoren, und stellt damit auch in ökonomischem Sinn eine gewisse Absicherung dar."


Jaap de Hoop Scheffer  (Foto: CTK)
Eine Stabilitätsgarantie stellt die NATO auch für die sieben neuen Mitglieder dar, die am vergangenen Montag in Washington formell in das Bündnis aufgenommen wurden. Der Abschluss dieses Erweiterungsprozesses, der vor eineinhalb Jahren auf dem Prager NATO-Gipfel seinen offiziellen Anfang genommen hatte, der bedeutet auch, dass Tschechien und die Slowakei abermals in einem Militärpakt vereint sind. Der slowakische Premierminister Mikulas Dzurinda sieht jedoch für die künftige Zusammenarbeit der beiden Länder verschiedene Schwerpunkte, die Verteidigungspolitik stellt da nur einen Sektor von vielen dar:

"Wir werden bei der Bekämpfung der illegalen Migration zusammenarbeiten, und wir werden uns gemeinsamen auf den Beitritt zum Schengener Abkommen vorbereiten. Nach wie vor ist aber auch das Projekt 'Blauer Himmel' aktuell. Das heißt, eine gemeinsame Nutzung unserer Luftstreitkräfte im Rahmen gemeinsamer Einsätze sowohl über der Tschechischen als auch über der Slowakischen Republik."

Eindeutige Worte von Dzurinda also: Die Zusammenarbeit in der NATO wird nicht die einzige Form der Kooperation beider Länder sein. Die Bekämpfung der illegalen Migration und vor allem das Schengener Abkommen - das sind eindeutig Begriffe aus dem Vokabular der Europäischen Union, in der man ab Mai ebenfalls gemeinsam vertreten sein wird. Diesmal sogar mit gleichzeitigem Beitrittsdatum und nicht mit einem Abstand von fünf Jahren, wie im Falle der NATO, wo der ehemalige slowakische Premierminister Vladimir Meciar und sein autokratischer Führungsstil den Alliierten nicht geheuer war. Diese Zeiten sind nun vorbei. Der jetzige slowakische Premier Dzurinda:

"Die Mitgliedschaft in der NATO bringt unseren Ländern einfach die breiteste, größte, und stärkste Sicherheitsgarantie, die derzeit möglich ist. Und das ist das Wesentliche. Nur ein Land, in dem es Sicherheit gibt und das sich in Frieden entwickelt, kann auch prosperieren."


Die Zusammenarbeit der tschechischen und der slowakischen Armee im Rahmen der NATO sollte künftig kein Problem darstellen, meint auch der Prager Politologe Jan Bures:

"Der Unterschied zwischen Tschechien und der Slowakei ist gerade auf militärischem Gebiet nicht besonders groß. Beide Armeen sind sehr ähnlich aufgebaut und bereits seit einigen Jahren in der gemeinsamen tschechisch-slowakischen Einheit im Kosovo vertreten. Der wichtigste Vorteil des jetzigen NATO-Beitritts der Slowakei besteht für uns darin, dass sich die Sicherheitsgrenze sozusagen weiter nach Osten verschiebt. Und das sollten auch die tschechischen Politiker mehr betonen."

In den tschechischen Medien war indes nicht wirklich viel über die Erweiterung der NATO gesprochen worden. Dies mag zum Teil daran liegen dass die Nordatlantische Allianz angesichts der neuen Bedrohungslage in einer nicht mehr bipolaren Welt an strategischer Bedeutung verloren hat. Doch gibt es wohl noch einen anderen Grund: Das dominante Thema in Tschechien ist derzeit natürlich der bevorstehende EU-Beitritt. Denn wie gesagt: Tschechien selbst ist schon seit 1999 bei der NATO, und eine Erweiterung dieses Bündnisses hat hierzulande eben längst nicht so viel Gewicht wie der eigene Schritt in die Europäische Union. Dazu kommt aber laut dem Politologen Jan Bures noch ein anderer Grund:

"Die NATO ist in erster Linie ein Militärpakt. Die Europäische Union ist aber natürlich viel mehr. Sie beeinflusst das Leben der Gesellschaften in allen möglichen Bereichen. Und das ist für die einzelnen Staaten wohl wichtiger als nur die militärische Sicherheit."

Was übrigens die militärische Sicherheit betrifft, so besteht diese natürlich nicht nur aus Nehmen, sondern auch aus Geben. Tschechien hat sich bereits mit seiner internationalen anerkannten Antichemiewaffeneinheit einen Namen gemacht. In einer solchen Spezialisierung der einzelnen Staaten auf bestimmte Bereiche sehen Experten auch die Zukunft der NATO - und längst nicht mehr in der flächendeckenden Stationierung verbündeter Armeen. Die politische Integration nicht hinter der militärischen hinterherhinken zu lassen, das wird eine der Aufgaben der EU sein, nachdem auch sie sich erweitert hat.