Tschechien und die neue Terror-Gefahr nach den Anschlägen in London
In der heutigen Ausgabe unserer Sendereihe Schauplatz befassen sich Silja Schultheis und Robert Schuster mit den möglichen Auswirkungen der jüngsten terroristischen Anschläge in London auf die Tschechische Republik.
Nach den Anschlägen in Madrid im März vergangenen Jahres ist also mit London eine weitere westeuropäische Metropole zur Zielscheibe der Terroristen geworden. Spätestens seit den Ereignissen in Madrid stellt der Terrorismus auch eine globale und auf allen Kontinenten lauernde Gefahr dar. Die jüngsten Anschläge bedeuten auch gleichzeitig, dass sich - rein geographisch gesehen - die Gefahr von künftigen Anschlägen immer stärker Mitteleuropa und damit auch Tschechien nähert.
Was diese Anschläge für die Tschechische Republik und die Sicherheit der Bevölkerung bedeuten, fragten wir den Politikwissenschaftler und Terrorismus-Experten Jan Závesický vom Internationalen politologischen Institut der Masaryk-Universtität in Brno/Brünn:
"Die Antwort auf diese Frage mag vielleicht ein wenig lakonisch sein. Vor allem muss man sich dessen bewusst werden, dass die Terror-Gefahr so etwas wie ein Zeichen der Zeit und des Geschehens auf dem internationalen Parkett geworden ist. Die Angriffe von London sollten in erster Linie eine Herausforderung für uns alle sein, und zwar für unser immer noch viel zu passives Verhalten. Das gilt sowohl für die staatlichen Strukturen, wie für die Gesellschaft. Der Druck, den die Terroristen erzeugt haben, zeigt jedoch bereits erste Früchte - insbesondere in einer besseren und engeren internationalen Zusammenarbeit auf dem Feld der Justiz, Polizei, sowie der Geheimdienste. Wichtig sind auch vorbeugende Maßnahmen, vor allem dann, wenn wir es mit einem so schwer erfassbaren Gegner, wie dem Terrorismus zu tun haben."
Erstmals ist die neue Gefahr, die von den gut organisierten und flexiblen Terror-Netzwerken ausgeht vor fast vier Jahren gegenwärtig geworden. Damals kam es zu den bekannten Anschlägen auf das New Yorker World Trade Center und das Pentagon in Washington. Die Ermittlungen dieser beiden Attacken zeigten unter anderem große Mängel bei der Gewährleistung der Flugsicherheit, genauso, dass viele öffentlich zugängliche Stellen, wo es regelmäßig zu einer großen Konzentration von Menschen kommt, oft völlig ungeschützt und somit ein leichtes Ziel für potentielle Anschläge sind. Vor allem hat sich aber laut Jan Záv"ický nach dem 11. September das öffentliche Bewusstsein im Bezug auf die Terrorgefahr geändert. Zur Frage, ob die Risiken nach den Londoner Anschlägen nun anders sind, als nach dem 11. September 2001, meint der Terrorismus-Forscher Závesický:"Wenn wir das Risiko allgemein als eine drohende Gefahr definieren, dann heißt das, dass es zu keiner wesentlichen Veränderung gekommen ist. Was sich verändert hat, sind die Akteure, von denen die Terrorgefahr bislang ausgegangen ist. Früher waren die Terrorgruppen straff aufgebaut und geführt, heute sind sie ungemein flexibel, verfügen über Netzwerke, die für Außenstehende praktisch nicht entzifferbar sind. Eine Änderung gegenüber früher ist zum Beispiel, dass die Wahrscheinlichkeit, dass Terroristen ein Flugzeug kapern und dann gegen einen Wolkenkratzer fliegen, heute wesentlich geringer ist. Das hängt nicht zuletzt mit den neuen Maßnahmen bei der Flugsicherheit zusammen. Aber dennoch sind die Risiken nicht geringer geworden - im Gegenteil - die Anschläge auf die Bahnhöfe in Madrid, oder wie kürzlich auch die Londoner U-Bahn zeigen, auf welche Ziele sich die Terroristen künftig konzentrieren werden. Eben dort, wo eine große Anzahl von Menschen auf einer kleinen Fläche vermutet werden kann, wozu auch Sportstadien oder große Einkaufszentren gehören, wobei letztere heute praktisch ungeschützt und auch schwer zu schützen sind."
London ist nach Madrid die zweite europäische Metropole, die das Ziel von islamistischen Terroristen wurde. Gerade Großbritannien stand ja zusammen mit den USA immer an vorderster Front beim weltweiten Kampf gegen den Terrorismus und war der engste Verbündete Amerikas sowohl im Afghanistan, wie auch im Irak-Krieg. Heißt das, dass das nächste Ziel der Terroristen wieder ein Land aus der so genannten "Koalition der Willigen" sein könnte?
Tschechien war zwar immer eher vorsichtig, wenn es um ein direktes Engagement tschechischer Militäreinheiten im Irak ging, dennoch hatte die politische Führung des Landes stets das Vorgehen der Amerikaner und Briten weitgehend unterstützt. Wie real ist also, dass Tschechien Ziel der Terroristen werden könnte? Dazu Jan Závesický:
"Die Bedrohung ist sicherlich real und kann nicht ausgeschlossen werden. Es lässt sich sogar sagen, dass die Wahrscheinlichkeit solcher Angriffe von Tag zu Tag größer wird. Aber bislang gibt es für die Terroristen noch andere Ziele und zwar jene Länder, die am stärksten die USA bei ihrem Vorgehen im Irak und Afghanistan unterstützt haben, wozu natürlich in erster Linie Großbritannien gehört. Auch Tschechien kann als potentielle Zielscheibe nicht ausgeschlossen werden, wenn auch das Land in der Irak-Frage sehr vorsichtig agierte. Auf jeden Fall gilt aber, dass Tschechien ein wichtiges Transitland für weltweit agieren Terrorgruppen und Netze darstellt. Also wenn ich das zusammenfassen soll: Gegenwärtig scheint für mich ein Anschlag in Tschechien selber immer noch etwas weniger wahrscheinlich zu sein, als in Westeuropa, oder zum Beispiel im Irak, wo die Verbündeten der USA ihre Truppen haben."Kann sich ein Land in der Größenordnung Tschechiens überhaupt effektiv gegen einen fast schon unsichtbaren Feind, wie es die Terroristen sind, wehren? Es ist anzunehmen, dass es nicht ausreichen wird nur die Präsenz der Polizisten auf der Straße zu erhöhen:
"Auf den ersten Blick ist das nicht so einfach, wie es scheint. Natürlich kann die Möglichkeit eines Terroranschlages nie ausgeschlossen werden. Wenn man die Gefahr effizient verringern will, muss man dort hingehen, wo deren Wurzeln liegen, in die Ursprungsländer also. Auch kleine Länder, wie zum Beispiel Tschechien, können aber Maßnahmen treffen, die den Terroristen ihre Tätigkeit maximal erschweren sollte. Es geht um eine bessere Koordinierung des ganzen Hilfs- und Rettungssystems, des Zivilschutzes, wobei jeder Bürger wissen sollte, was im Ernstsfall zu tun ist. Die Attacken von London sollten als eine weitere Warnung verstanden werden, auf welche die ganze Gesellschaft reagieren sollte. Es wurde immer wieder geschrieben, wie vorbildhaft sich die Briten nach den Anschlägen verhalten hätten. Vielleicht hängt das mit deren Erfahrungen aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs zusammen. Es ist aber anzunehmen, dass in ein paar Jahren bei solchen Attacken keine konventionellen Waffen eingesetzt werden. Darauf sollte man schon vorbereitet sein, ebenso auf die andere Dimension dieser Anschläge, die dann nicht mehr Busse als Ziel haben werden."
Untersuchung Vielleicht war es nur Zufall, oder aber von Seiten der Terroristen gezielt geplant, dass nämlich zeitgleich mit den Anschlägen in London einige hundert Kilometer weiter, in Schottland, das Treffen der Staatschefs der G-8-Gruppe stattfand, die über Maßnahmen im Kampf gegen die Armut in der Dritten Welt beriet. Gibt es einen direkten Zusammenhang zwischen dem wachsenden Nord-Süd-Gefälle, der steigenden Armut und dem Terrorismus islamischer Fundamentalisten? Hören Sie dazu abschließend noch einmal den Politikwissenschaftler und Terrorismusexperten Jan Závesický vom Internationalen politologischen Institut der Masaryk-Universität in Brno/Brünn:"Ich kann nicht genau sagen, in wie weit es einen kausalen Zusammenhang zwischen der Armut in weiten Teilen der Welt und den erhöhten Risiken des Terrors gibt. Es gibt aber gewisse Verbindungen, die aber nicht immer gelten, so dass sich keine allgemein geltenden Regeln aufstellten lassen. An den Anschlägen in Madrid vom März vergangenen Jahres waren, um ein Beispiel zu nennen, direkt zwei Marokkaner und ein Tunesier beteiligt. Die meisten von ihnen stammten jedoch nicht aus irgendwelchen Vorstadt-Slums, sondern aus guten sozialen Verhältnissen, hatten sogar einen Hochschulabschluss und gute Berufe. Wir müssen davon ausgehen, dass die Tätigkeit der Terroristen keinem Selbstzweck dient und das muss im Kampf gegen den Terrorismus stets berücksichtigt werden."