Tschechien und die Schweiz – Beide liegen nicht am Meer
Gemeinsame historische Bindungen und Windungen pflanzen sich gerne in die Gegenwart fort. Auch das ist einer der Gründe, warum man in Tschechien so viele kulturelle Veranstaltungen mit deutschem oder österreichischem Hintergrund besuchen kann. Die Kulturinstitute der beiden deutschsprachigen Länder sind seit langem schon in Tschechien aktiv. Eine Tatsache, von der Sie sich immer wieder im Programm von Radio Prag überzeugen können. Doch wir wissen, dass wir auch viele Hörer in der Schweiz haben. Schweizer Kulturarbeit wird auf Radio Prag – wir geben es zu – oft stiefmütterlich behandelt. Nicht mit böser Absicht! Aber warum dann? Wir erklären es Ihnen in einer neuen Ausgabe unserer Sendereihe Begegnungen.
„Geboren 1980. Für Jürg Halter. Spatenstich, Ohne dich.“
Der junge Mann, der sich da gerade mit einem seiner Gedichte selbst vorgestellt hat - er hat es sich nämlich selbst gewidmet - ist Schweizer. Ein Schweizer auf Radio Prag ist - zugegeben - eine Seltenheit. Doch es gibt diesmal einen aktuellen Anlass. Jürg Halter hat in der vergangenen Woche nämlich eine Lesung in Prag gehalten. Jürg Halter ist Dichter, lebt in Bern, und hat in Prag aus seinem neuesten Buch „Nichts, das mich hält“ vorgetragen. War er zufrieden mit dem Auftritt?
„Grundsätzlich schon. Klar, es hätten ein paar mehr Leute kommen können. Aber was kann ich schon erwarten? Mich kennt hier ja niemand. Von daher bin ich schon zufrieden, weil die meisten Leute die hier waren, waren eigentlich sehr aufmerksam.“
In der Tat hätten mehr Leute kommen können. Der kleine Raum im Gebäude des Österreichischen Kulturforums, in dem die Lesung stattfand, war gerade einmal zur Hälfte gefüllt. Moment? Im Österreichischen Kulturforum? Jürg Halter ist doch Schweizer. Ganz genau! Und genau hier zeigt sich das Dilemma der schweizerischen Kulturarbeit in Tschechien. Die Schweizer Botschaftsrätin Dominique Petter erläutert, warum die Veranstaltung im Österreichischen Kulturforum stattfand.
„Wir sind hier zu Gast, weil wir keine eigenen Räumlichkeiten haben. Man muss aber auch sehen, dass die Schweiz ein kleines Land ist. Wir sind kein direktes Nachbarland. Wir haben sehr viel weniger Mittel für die Kulturarbeit hier zur Verfügung als die deutschen und die österreichischen Kollegen, die ganz andere Infrastrukturen und Mitarbeiter und Kulturinstitute und auch viel mehr Geld haben.“
Die Lesung von Jürg Halter war der Anlass, zu dem das Österreichische Kulturforum erstmals seine Räume für die schweizerische Kulturarbeit in der Tschechischen Republik zur Verfügung stellte. Und auf solche Zusammenarbeit ist man auf schweizerischer Seite auch angewiesen, wie Dominique Petter betont:„Es gibt kein eigenes Schweizer Kulturinstitut hier in Tschechien, das heißt die Kulturarbeit wird von der Schweizer Botschaft aus gemacht. Aber unsere Partner im deutschsprachigen Bereich sind eben das Österreichische Kulturforum und das Goethe-Institut.“
Die schweizerisch-österreichisch-deutsche Zusammenarbeit auf tschechischem Boden ist also mal mehr, mal weniger eine erzwungene Begegnung, zumindest aus schweizerischer Sicht. Dabei gibt es durchaus interessante Zusammenhänge, die das kleine Land Schweiz mit dem kleinen Land Tschechien verbinden. Und die reichen weit zurück bis in die Anfänge des 20. Jahrhunderts. Der tschechoslowakische Staatsgründer und bis 1935 Präsident der ersten tschechoslowakischen Republik, Tomáš Garrigue Masaryk, verbrachte bei den Eidgenossen während des Ersten Weltkriegs einige Zeit im Exil. Und auch während der ersten tschechoslowakischen Republik von 1918 bis 1938 schaute man aus Prag aufmerksam nach Bern. Denn für den damaligen tschechoslowakischen Außenminister Edvard Beneš galt die Schweiz als Vorbild. Das friedliche Zusammenleben der vier verschiedenen Volksgruppen, Deutsche, Franzosen, Italiener und Rätoromanen stellte Beneš sich auch für die damals von Nationalitätenkonflikten geplagte Tschechoslowakei vor. Aber dass sich hierzulande vor dem Zweiten Weltkrieg Tschechen, Deutsche, Slowaken und Ungarn nicht einig wurden ist eine hinlänglich bekannte – andere – Geschichte.
Die Schweiz blieb aber auch nach der ersten Republik im Fokus vieler Tschechen, wenn auch aus zunächst meist unerfreulichen Gründen. Mehrmals im 20. Jahrhundert ist die Schweiz zu einem Refugium für tschechoslowakische Exilanten geworden. Nach 1938, 1948 und 1968 fanden dort viele politische Flüchtlinge aus Tschechien Unterschlupf, manche sogar eine neue Heimat. Der Schweizer Staat würdigt diese Emigranten auf seinen Internetseiten und hebt dabei hervor, dass sie einen wertvollen Beitrag zur wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung der Schweiz leisteten. Doch nicht nur das. Botschaftsrätin Petter verweist darauf, dass die Emigrantinnen und Emigranten aus der Tschechoslowakei besonders nach 1968 zu echten Bindegliedern zwischen beiden Ländern geworden sind.
„Wir haben zwar keine gemeinsame Geschichte mit Tschechien, aber wir haben eine ganz interessante bilaterale Verbindung dadurch, dass 1968 sehr viele Tschechoslowaken in die Schweiz ausgewandert sind. Von denen sind einige jetzt auch wieder nach Tschechien zurückgekommen, oder deren Kinder sind zurückgekommen. Es ist sehr spannend zu sehen wie die Beziehungen zwischen unseren Ländern sehr stark durch diese Migrationsbewegungen geprägt werden. Das gibt Gelegenheit für sehr viel Austausch und Gelegenheit sich besser zu verstehen, denn die Emigranten, die zurückgekehrt sind fungieren auch als eine Art Übersetzer zwischen den Kulturen.“
Einer von ihnen ist der tschechisch-schweizerische Filmemacher Bernhard Šafařík, der für das Tschechische Fernsehen unlängst einen Dokumentarfilm über die tschechoslowakische Emigration in die Schweiz nach dem August 1968 gedreht hat. Nach der Besetzung der Tschechoslowakei durch die Truppen der Warschauer Pakt Staaten fand bekanntlich der Prager Frühling ein jähes Ende. 15.000 Tschechoslowaken fanden in der Schweiz politisches Asyl. Bernhard Šafařík konnte für seinen Film „My a Matterhorn, Matterhorn a my“, zu Deutsch „Wir und das Matterhorn, das Matterhorn und wir“ also auf ganz persönliche Erfahrungen zurückgreifen.
„Die Schweizer brachten uns sehr viel Sympathie entgegen. Die Welle der Solidarität war riesengroß. Und genau darüber geht es in meinem Film.“
Die so oft kritisierte, weil angeblich fehlende, Schweizer Gastfreundschaft entlarvt Šafařík also als Gerücht. Amüsiert berichtet er von ganz anderen Problemen, die er und seine Landsleute nach 1968 in der Schweiz hatten.
„Damals war das Problem eher den Schweizern zu erklären, wo überhaupt die Tschechoslowakei liegt, beziehungsweise, dass Prag nicht am Meer liegt und nicht Dubrovnik ist, dass es dort keine Strände gibt und solche Dinge.“
Das muss den Schweizern heutzutage wohl heute niemand mehr erklären. Auch dank der tschechoslowakischen Emigranten in der Schweiz, die Dominique Petter „Übersetzer zwischen den Kulturen“ nennt.
„Andererseits muss man aber auch sagen, dass wir kulturell nicht so verschieden sind. Wir sind sprachlich sehr verschieden, aber was wir schätzen in der Schweiz, das schätzen auch die Tschechen. Wir sind eigentlich ähnlicher als man glaubt.“
Auch die Schweiz liegt nicht am Meer.