Tschechien unter Anklage: Immer mehr Bürger fordern ihr Recht in Straßburg ein

Europäischen Gerichtshof, foto: www.echr.coe.int
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Immer mehr Tschechen vertrauen nicht mehr auf die Justiz im eigenen Land, sondern wenden sich an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte. Justizminister Pavel Nemec legte am Mittwoch der Regierung den Bericht über die Klagen gegen die Tschechische Republik vor dem Straßburger Tribunal für das erste Halbjahr 2005 vor. Mehr dazu von Thomas Kirschner.

Unzufriedene tschechische Bürger wenden sich immer häufiger an den Europäischen Gerichtshof. Das belegt der Bericht, den Justizminister Pavel Nemec jetzt dem Kabinett vorlegte. Während 2003 insgesamt 17 Klagen gegen die Tschechische Republik in Straßburg eingereicht wurden, waren es im laufenden Jahr allein in den ersten sechs Monaten bereits mehr als 100. Vit Sorm, der Regierungsbeauftragte für die Vertretung der Tschechischen Republik vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte, kann den Grund für die überwiegende Mehrzahl der Beschwerden knapp zusammenfassen:

"Es lässt sich sagen, dass es meistens um die Dauer von Gerichtsverfahren in der Tschechischen Republik geht."

Die Bilanz der Verfahren fällt für die Regierung wenig erfreulich aus: Von 59 Fällen, die von Anfang 1993 bis Ende Juni des laufenden Jahres entschieden worden sind, hat die Tschechische Republik 57 verloren. Vit Sorm möchte diese Zahlen aber so nicht stehen lassen:

"Es ist wahr, dass nur zwei Urteile des Europäischen Gerichtshofes zu Gunsten der Tschechischen Republik ausfielen, aber in der fraglichen Zeit wurden auch 42 Klagen als unannehmbar abgewiesen, nachdem die Regierung eine angeforderte Stellungnahme dazu abgegeben hat - und die Klagen, die der Straßburger Gerichtshof ohne Rückfrage bei der Regierung sofort abgewiesen hat, sind dabei noch gar nicht berücksichtigt."

Inzwischen hat die Klagewelle aber bereits legislative Maßnahmen hervorgerufen. Bei übermäßiger Verzögerung eines Gerichtsverfahrens soll in Zukunft Anspruch auf Entschädigung bestehen. Eine entsprechende Gesetzesnovelle hat die Regierung in der vergangenen Woche verabschiedet. Bisher musste gerade diese Entschädigung am Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte eingeklagt werden. Bittere Ironie dabei: schnell sind auch die Verfahren in Straßburg nicht. Das betont jedenfalls der Regierungsbeauftragte Vit Sorm:

"Oft dauert es vier oder fünf Jahre - es ist also eher eine Frage von Jahren als von Monaten."