Tschechien will bei EU-Vorsitz Österreichs hospitieren und mit dem Nachbarn gemeinsame Verkehrswege erschließen

Foto: Europäische Kommission
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Erst vor zwei Tagen, in unserer Sendereihe "Heute am Mikrofon" haben wir ein Interview mit Christoph Leitl, dem Präsidenten der österreichischen Wirtschaftskammer, ausgestrahlt. In diesem Gespräch hat sich Leitl im Wesentlichen zur vielschichtigen Zusammenarbeit Österreichs mit der Tschechischen Republik geäußert. Wirtschaftliche Kooperationen stehen hierbei im Vordergrund. Und diese sollen, vor allem im Bereich der Infrastruktur, weiter ausgebaut werden. Darüber, aber auch über einen immer noch nicht zur Zufriedenheit beider Seiten gelösten Streitpunkt, berichtet Lothar Martin im heutigen Wirtschaftsmagazin.

Die Republik Österreich wird im ersten Halbjahr des bevorstehenden Jahres 2006 den EU-Vorsitz innehaben. Und sie will, stärker als je zuvor, in dieser Verantwortung auch ihre neuen EU-Nachbarländer mit ins Boot nehmen. Allen voran die Tschechische Republik, die sich unter der österreichischen Obhut schon einmal auf ihren EU-Vorsitz im Jahr 2008 vorbereiten kann und will. Daher erklärte der österreichische Vizekanzler und Verkehrsminister Hubert Gorbach, als er seinem tschechischen Amtskollegen Milan Simonovsky in der vergangenen Woche in Prag einen Arbeitsbesuch abstattete, unter anderem:

"Wie bekannt wird Österreich im ersten Halbjahr 2006 den Vorsitz im EU-Rat innehaben, und es ist mir wichtig, schon im Vorfeld die tschechischen Anliegen und Positionen zu den in den nächsten Monaten zu behandelnden Dossiers in Erfahrung zu bringen. Der direkte Kontakt zu Minister Simonovsky ist mir dabei sehr wichtig."

Gleich darauf machte Gorbach deutlich, dass die Republik Österreich während ihres EU-Vorsitzes insbesondere auf dem Sektor Verkehr neue Impulse geben will und hier vor allem auf Maßnahmen und Innovationen, die zur Erhöhung der Verkehrssicherheit beitragen, großen Wert lege.

Foto: Europäische Kommission
"Der Hauptschwerpunkt im Bereich Verkehr wird die Sicherheit im Straßenverkehr sein. Zu diesem Thema wird es einen eigenen informellen Verkehrsministerrat im westösterreichischen Bregenz geben. Ich freue mich darüber, dass Milan Simonovsky und ich gemeinsam auf europäischer Ebene sehr bemüht sind, die Halbierung der Anzahl der Verkehrstoten bis zum Jahr 2010 auch wirklich zu erreichen. Und die Sicherheit zieht sich in allen Bereichen wie ein roter Faden durch unsere Präsidentschaft. Auch im Seeverkehrsbereich wird ein Dossier, nämlich das Sicherheitspaket während unserer Präsidentschaft präsentiert und diskutiert werden."

Um wirtschaftliche und andere Kooperationen weiter voranzubringen, wollen sich Tschechen und Österreicher in Zukunft noch schneller und zuverlässiger begegnen können als bisher. Das vor allem mit Hilfe einer neuen Schnellstraßenverbindung zwischen Brno / Brünn und Wien, bei der die tschechische R52 und die österreichische A5 bei Mikulov zusammengeführt werden sollen. Ihre Willenserklärung zur Durchsetzung dieser Trasse bekräftigten beide Minister in einem gemeinsamen Memorandum, das sie am 9. November in Prag unterzeichnet haben. Vor den anwesenden Journalisten erläuterte Gorbach auch, wie man dieses Projekt mitfinanzieren will:

"EU-Mittel werden auf jeden Fall verwendet. Sie werden von uns beantragt werden, und weil es ein TEN-Projekt (TEN: Transeuropäische Netze) ist, wird eine Förderung von 20 Prozent oder mehr Co-Finanzierung beantragt. Was den Zeitplan betrifft, so wird das Projekt in Paketen abgearbeitet. Es sind drei Pakete mit unterschiedlichem Zeitvolumen, die Endfertigstellung ist für das Jahr 2009 vorgesehen."

Der tschechische Verkehrsminister Milan Simonovsky hält diesen Zeitpunkt allerdings für sehr optimistisch:

"Wir gehen davon aus, dass wir diese Straßenverbindung im Jahr 2010 fertig gestellt haben werden. Auf der österreichischen Seite ist man sicher zurzeit im Vorteil, dass man von Wien aus bereits mit dem Bau der A5 begonnen hat, aber ist erachte das Jahr 2009 als Termin der Inbetriebnahme für sehr optimistisch."

Der tschechische Verkehrsminister Milan Simonovsky
In Tschechien hat das zuständige Verkehrsministerium gerade erst vor kurzem vom Umweltministerium die notwendige Zustimmung zum Ausbau der bereits vorhandenen Staatsstraße zwischen Brünn und Mikulov bekommen. Der Beginn für den vierspurigen Ausbau der Strecke zwischen Pohorelice und Mikulov ist für das Jahr 2007 vorgesehen. Darüber hinaus sollen die tschechische R3 und die österreichische S10 zwischen Ceske Budejovice/Budweis und Linz zu einer Schnellstraßenverbindung ausgebaut werden. Deren Fertigstellung ist für den Zeitraum zwischen 2012 und 2014 geplant.

Zum Abschluss ihrer gemeinsamen Verhandlungen wusste Milan Simonovsky die Zusammenarbeit mit seinem österreichischen Amtskollegen noch einmal besonders zu würdigen:

"Ich erachte den EU-Vorsitz Österreichs als eine Chance für die Tschechische Republik als auch für mich, um in enger Zusammenarbeit mit Vizekanzler Gorbach einige unserer gemeinsamen Vorstellungen zu realisieren. Ich denke, dass unsere Zusammenarbeit auf einer wirklich freundschaftlichen Basis beruht, was sich letztendlich auch im gemeinsamen Vorgehen von uns beiden auf den Tagungen der Verkehrsminister der Europäischen Länder niederschlägt. Insbesondere im Bereich Verkehr ist es völlig eindeutig, dass wir sowohl gemeinsame Probleme als auch gemeinsame Hoffnungen haben. Daher hat mich die positive Reaktion von Vizekanzler Gorbach über unseren Vorschlag gefreut, den österreichischen EU-Vorsitz zum Hospitieren und zum Sammeln von konkreten Erfahrungen nutzen zu dürfen. Unsere jungen Kader werden so die Möglichkeit erhalten, sich gut auf unseren EU-Vorsitz im Jahr 2008 vorzubereiten. Und auch ich bin erfreut darüber, in Wien und in Bregenz wertvolle Erfahrungen sammeln zu dürfen, die wir für das Jahr 2008 gut gebrauchen können."

Belastet wurden die tschechisch-österreichischen Beziehungen in der jüngsten Vergangenheit aber immer wieder von einem Streitthema: dem südböhmischen Atomkraftwerk Temelin. Nach dem im Jahr 2000 zwischen beiden Seiten unterzeichneten so genanntem Melker Abkommen schien dieses Thema jedoch weitestgehend vom Tisch. Wie sich aber inzwischen herausstellte, hat die tschechische Seite bis zum Beginn der kommerziellen Nutzung des Atomkraftwerks im Oktober 2004 wohl nicht alle Vorgaben, die in dem Abkommen gemacht wurden, auch entsprechend umgesetzt. Das behauptet jedenfalls das Mitglied der Regierung des Landes Oberösterreich, Landesrat Rudolf Anschober:

"Aus unserer Sicht, der Sicht des Landes Oberösterreich, ist fünf Jahre nach dem Abschluss das Melker Übereinkommen nicht erfüllt. Und zwar deshalb, weil nach unserem Informationsstand bislang die notwendigen Sicherheitsnachrüstungen nicht verwirklicht wurden und sich für uns immer die Frage gestellt hat: Wie wird der Beginn eines kommerziellen Betriebs rechtlich definiert? Das heißt, die Sicherheitsnachrüstungen hätten nach Sinn und Geist des Melker Übereinkommens bis zum Oktober 2004 durchgeführt werden müssen. Daher sind wir in einer problematischen Situation, und ich erwarte mir, dass es auf Basis des von uns in Auftrag gegebenen Völkerrechtsgutachtens rasch Gespräche zwischen Tschechien und Österreich in dieser Frage geben wird."

Wie der Anti-Atom-Beauftragte des Landes Oberösterreich Radko Pavlovec formulierte, geht es um folgende zwei noch nicht realisierte Sicherheitsnachrüstungen:

"Die zwei Probleme, um die es geht, das sind die Problematik der so genannten 28,8-Meter-Bühne sowie die Qualifikation der Sicherheits- und Abblasventile auch in diesem Bereich der 28,8-Meter-Bühne."

Bei den sichtlich besser gewordenen tschechisch-österreichischen Beziehungen sollten aber auch die noch offenen Fragen bezüglich des vereinbarten Sicherheitsstandes endlich gelöst werden. Zumal auch Oberösterreich, und das kam durch das Auftreten von Landesrat Anschober in Prag zum Ausdruck, das Atomkraftwerk Temelin längst nicht mehr nur isoliert als Risikofaktor in der Kernenergiewirtschaft sieht. In dieser Hinsicht will Österreich vielmehr ein gesamteuropäisches Energiekonzept vorantreiben. Und auch dazu sollte der bevorstehende EU-Vorsitz der Alpenrepublik alsbald neue Zeichen setzen.