Außenminister Zaorálek: „Zuletzt haben wir uns immer nur rausgehalten“
Zum ersten Mal seit seinem Amtsantritt hat der neue tschechische Außenminister Lubomír Zaorálek am Donnerstag Wien besucht. In der österreichischen Hauptstadt traf der Sozialdemokrat mit Bundespräsident Heinz Fischer, mit seinem Amtskollegen Sebastian Kurz und mit mehreren Abgeordneten zusammen – wir haben bereits berichtet. Schon im Vorfeld hatte Prag signalisiert, dass die neue Regierung eine nachhaltige Verbesserung der Beziehungen zu Österreich anstrebt. Unmittelbar nach dem Besuch erläuterte Zaorálek gegenüber Radio Prag noch einmal, wo er im bilateralen Verhältnis die größten Zukunftschancen sieht, und welche Position Tschechien künftig in der Europäischen Union einnehmen möchte.
„Auch wenn in der Vergangenheit ziemlich oft erklärt wurde, dass man die Verkehrsinfrastruktur verbessern müsse, ist in Wirklichkeit nicht viel passiert. Die Verbindungen zwischen Budweis und Linz sowie zwischen Brünn und Wien sind immer noch nicht fertig. Hier müssen wir eingestehen, dass der Fehler auf der tschechischen Seite lag. Wir waren nicht fähig, diese Schlüsselprojekte zu Ende zu bringen, und das ist beschämend. Wir können ja nur schwer von den österreichischen Partnern verlangen, die Bauarbeiten abzuschließen, wenn klar ist, dass wir selbst dazu nicht in der Lage sind, und wenn wir statt zu handeln über Probleme diskutieren, die uns daran hindern.“
Bereits am Dienstag will der neue tschechische Verkehrsminister Antonín Prachař in Wien Gespräche über den Ausbau der Straßenverbindungen führen.Auch im Bereich der Energieversorgung gibt es Anknüpfungspunkte, die weit über das häufig kontrovers diskutierte Thema Kernkraft hinausgehen. Vor allem der Gasmarkt biete eine Möglichkeit, gemeinsame Strategien für die Zukunft zu entwickeln, sagt Zaorálek:
„Auf dem Energiesektor hat heute die Vernetzung der Gasversorgung eine enorme strategische Bedeutung. Wenn wir hier Fortschritte machen, dann wäre das auch sicherheitspolitisch von großer Bedeutung. Österreich ist eines der Länder, mit denen wir auf dem Energiemarkt zusammenarbeiten können – auch um Kosten zu senken. Einige Investitionen sind sogar bereits geplant. Nun geht es darum, diese Projekte auch tatsächlich zu Ende zu führen, damit die österreichische Seite sieht, dass auf uns Verlass ist.“
Das Fazit des neuen Außenministers: Es gibt genügend Herausforderungen, die gemeinsam bewältigt werden können – und damit auch viel mehr Themen als diejenigen, die in den vergangenen Jahren den Takt der Beziehungen vorgegeben haben:„Über gegenwärtige Aktivitäten, über eine neue Agenda und über die Fähigkeit, sie auch umzusetzen, wird sich meiner Meinung nach eine neue Form der österreichisch-tschechischen Beziehungen entwickeln. Wir werden genug zu besprechen haben und müssen nicht dauernd zu den alten Debatten zurückkehren, von denen ich glaube, dass sie zum Teil schon auf den Müll gehören. Die Debatten über die Energiepolitik oder über die Vergangenheit wurden zuletzt so geführt, als ob man die Gespräche beenden wollte, und nicht um gemeinsam etwas Neues zu initiieren. Das muss überwunden werden, und beide Seiten haben darauf nun Lust. Das war auch bei meinem Treffen mit den österreichischen Abgeordneten zu sehen. Auch die haben kein Interesse daran, die bilateralen Beziehungen mit diversen Prager Fensterstürzen zu belasten.“
Aus der Nähe betrachtet hätten beide Länder eine ganze Reihe von gemeinsamen Positionen und Interessen, gleichzeitig könne man aber auch voneinander lernen:„So können etwa wir Tschechen von den Österreichern lernen, wie man die Jugendarbeitslosigkeit bekämpft und mit anderen sozialen Fragen umgeht. Österreich kann hier in einigen Dingen ein Modell sein – auch für viele andere europäische Staaten. Die niedrige Arbeitslosigkeit und die hohe Beschäftigungsquote gerade bei jungen Menschen sind beneidenswert, und wir sollten uns nicht schämen, hier von den österreichischen Erfahrungen zu profitieren. Es wäre gut, wenn es uns gelänge, einige Dinge zu übernehmen, die in Österreich heute schon erfolgreich praktiziert werden – zum Beispiel das duale Ausbildungssystem. Auch deshalb sind diese Kontakte für uns von Bedeutung.“
Österreich sei, gemessen an seiner Größe, ein enorm wichtiger Handelspartner Tschechiens, meint Zaorálek. Und es könne auch ein sehr guter Partner im politischen Leben Europas werden:„Ich glaube, dass derzeit auch bei den politischen Repräsentanten Österreichs der Mut und der Wille vorhanden sind, die österreichisch-tschechischen Beziehungen positiv zu verändern.“
Geht es nach Zaorálek, dann sollten auch im Hinblick auf die geopolitische Bedeutung Mittel- und Osteuropas beide Länder künftig vermehrt an einem Strang ziehen:„Europa nimmt eine neue Gestalt an, und die große Frage ist, welche Rolle dabei Mittel- und Osteuropa spielen werden. Wir dürfen also nicht wegen dem, was einmal war, vergessen, was auf uns zukommt. Als Länder, die sich in vielen Bereichen kulturell sehr nahestehen, sollten wir darüber reden und Wege suchen, um unsere Kräfte zu bündeln.“
Tschechien hingegen habe zuletzt nur wenig Loyalität gegenüber der EU gezeigt, ist Zaorálek überzeugt:„Manche mögen sagen, dass doch jeder nur an sich selbst denkt, und dass es jedem nur ums Geld geht. Aber das ist eine furchtbar vereinfachte Sichtweise. Wenn einen lediglich der unmittelbare Vorteil interessiert, wenn man dem gemeinsamen Projekt gegenüber nicht loyal ist, aber gleichzeitig Nutzen aus ihm ziehen will, dann schadet man sich letztlich. Natürlich gibt es tschechische Interessen, und die wollen wir auch verteidigen. Das ist ja ganz normal. Aber gleichzeitig geht es uns um das große Ganze. Wenn das europäische Projekt als Ganzes nicht funktioniert, wenn die europäische Währung und die europäische Wirtschaft nicht funktionieren, dann können auch die einzelnen Staaten davon nicht profitieren. Tschechien lebt geradezu vom Kontakt zu den anderen, 70 Prozent unseres Lebensunterhalts hängen vom Export ab. Wir sollten also mehr die gemeinsamen Interessen Europas wahrnehmen und uns nicht nur für den eigenen, kurzfristigen Vorteil interessieren. Europa ist unsere langfristige Perspektive, zu der es keine Alternative gibt. Wir aber haben uns an den Diskussionen über diese langfristige Perspektive zuletzt überhaupt nicht beteiligt. Wir haben uns lieber rausgehalten – etwa aus dem Fiskalpakt oder aus der Bankenunion. Jedes Mal haben wir gesagt, wir halten uns lieber raus. Das ergibt doch keinen Sinn.“