Österreichs Bundeskanzler in Prag: Energiesicherheit und EU-Integration Westbalkans
Sechs Wochen vor dem Beginn der tschechischen EU-Ratspräsidentschaft hat der österreichische Bundeskanzler Karl Nehammer Prag besucht. Beim Treffen mit dem tschechischen Premier Petr Fiala (Bürgerdemokraten) am Dienstag wurden europäische Fragen, die Folgen des Ukraine-Krieges und die Sanktionen gegen Russland sowie bilaterale Themen besprochen.
Die Energiesicherheit war eines der Hauptthemen des Gesprächs der beiden Regierungschefs. Sie erörterten Möglichkeiten zur Verringerung der Abhängigkeit von russischem Gas. In Tschechien werden laut Fiala über 95 Prozent des Erdgases aus Russland geliefert, in Österreich sind es etwa 80 Prozent. Ein Gasembargo sei derzeit weder für Österreich noch für Tschechien möglich, betonte Nehammer auf einer gemeinsamen Pressekonferenz:
„Wir beide bemühen uns, unabhängig zu werden vom russischen Gas, das geht aber nicht von heute auf morgen. Das braucht Zeit, es ist ein Prozess. Genauso ist es bei der Frage nach dem Erdöl. Man muss hier mit Augenmaß und Hausverstand vorgehen, damit die Mitgliedsstaaten nicht überfordert werden.“
Der tschechische Premier sagte dazu:
„Wir sind uns einig, dass wir mit jenen Ländern zusammenarbeiten müssen, die neue LNG-Terminals bauen und so die Kapazitäten erweitern können. Österreich befindet sich in einer besonderen Lage, da es über eine der größten Gasspeicherkapazitäten in Europa verfügt. Wir haben auch darüber gesprochen, wie die Tschechische Republik diese Kapazitäten nutzen könnte.“
Sollten die russischen Gaslieferungen nach Europa unterbrochen werden, bevor alternative Kapazitäten aufgebaut sind, sei die Solidarität anderer europäischer Länder notwendig, betonte Fiala. Er sprach auch die starke Abhängigkeit Tschechiens von russischem Erdöl an:
„Die Frage eines Ölembargos ist für Tschechien sehr wichtig. Wir sind ein Land, das aus Kapazitätsgründen nicht imstande ist, russisches Öl in kurzer Zeit zu ersetzen. Der Tschechischen Republik wurde von Anfang an eine zweijährige Übergangsfrist zugesprochen.“
Fiala bedankte sich bei Nehammer für dessen Bereitschaft, den Ausbau der transalpinen Ölleitung TAL zu unterstützen. Über diese fließt Öl aus der italienischen Hafenstadt Triest in Richtung Norden.
Einig zeigten sich die Ministerpräsidenten darin, dass sich der tschechische EU-Ratsvorsitz, der am 1. Juli beginnt, stärker auf die westlichen Balkanstaaten und deren Integration in die Europäische Union konzentrieren sollte. Der österreichische Bundeskanzler mahnte:
„Der Westbalkan ist momentan ein Raum, der weniger im Augenmerk der Weltöffentlichkeit liegt. Alle fokussieren sich natürlich auf den Kriegsschauplatz in der Ukraine, es braucht auch die volle Solidarität mit der Ukraine. Gleichzeitig braucht der Westbalkan aber auch unsere Solidarität.“
Die Integration des Westbalkans sei im Interesse beider Staaten, betonte Fiala. Der tschechische Premier unterstützt zugleich aber die Idee, der Ukraine möglichst bald den Kandidatenstatus zu erteilen. Zudem forderte er dazu auf, schon jetzt über die Hilfe der EU für den Wiederaufbau der Ukraine zu sprechen:
„Ich wünsche mir sehr, dass so etwas wie ein Marshall-Plan für die Ukraine ein Thema des EU-Gipfels unter dem Vorsitz Tschechiens wird. Dafür besteht allerdings eine Voraussetzung, die wir nicht beeinflussen können – und zwar dass sich die Lage in der Ukraine vom Krieg zum Frieden verändert. Ich halte die Rolle der europäischen Länder, auch der mittelgroßen wie Österreich und Tschechien, bei einem Wiederaufbau nach dem Krieg für sehr groß.“