Tschechische Inspiration: Policka

Wie viele von Ihnen, liebe Hörerinnen und Hörer, vielleicht schon wissen, starten wir heute im Rahmen des Regionaljournals eine neue Miniserie, die den Städten der Tschechischen Inspiration - einer Vereinigung von 8 historischen Städten - gewidmet ist. Darüber hinaus haben wir für Sie ein Quiz vorbereitet, und das nicht nur heute, sondern zu all den 8 Städten, über die wir jeweils am ersten Samstag im Monat senden werden. Die erste Stadt, in die wir Sie heute einladen, ist das ostböhmische Policka. Durch die Sendung führen Sie Silja Schultheis und Dagmar Keberlova.

"Es ist der Raum, den ich immer vor meinen Augen habe und den ich, glaube ich, immer in meinen Werken suche," so spricht über Policka der berühmteste Gebürtige, der weltbekannte Komponist Bohuslav Martinu. Und die Region um Policka, ist wirklich wunderschön. Die Region der berühmten tschechischen Komponisten könnte man sagen - und so wird sie oft auch bezeichnet -, da gleich 15 Kilometer weiter nördlich ein weiterer musikalisch berühmter Ort liegt, und zwar Litomysl/Leitomysl, wo Bedrich Smetana geboren wurde. Über die besondere Beziehung von Bohuslav Martinu zu Policka spricht der Leiter des Museums in Policka, David Junek:

"Bohuslav Martinu wurde an einer sehr ungewöhnlichen Stelle geboren, weil sein Vater ein "Feuerwachmann" war, der vom Kirchturm aus die Gegend bewachte - das Geburtszimmer befindet sich in dem Kirchturm von der Sankt -Jacobs-Kirche." Bohuslav Martinu erinnerte sich später immer wieder daran, wie ihn dieser Raum durch die weiten Aussichten in die Umgebung und durch eine gewisse Vogelperspektive beeinflusste, aus der er das normale menschliche Leben beobachtete."

David Junek führt in einigen Beispielen weiter aus, welche Beziehung der Komponist zu seiner Stadt hatte:

"Bohuslav Martinu erwähnt in seinen Erinnerungen gerade den Raum, wo er lebte, die Aussicht, die Wetterveränderungen und sagt, dass er in seinen Werken einen Abstand zum geläufigen Leben suchte. In einem anderen Brief schreibt Martinu, dass er sich aus Policka in die weite Welt eine gewisse moralische Verankerung mitgenommen hat sowie den Sinn für starke zwischenmenschliche Beziehungen, die in dieser kleinen Stadt damals zweifelsohne auf einem sehr guten Niveau waren."

Wenn man oben auf dem Kirchturm steht, versteht man die Erinnerungen von Bohuslav Martinu besonders gut. Nur ist es heute schwer vorstellbar, dass da in dem Turm wirklich eine ganze Familie gelebt hat. Frau Renata vom Informationszentrum begrüßt uns hier oben in dem Vogelnest:

"Hier befinden wir uns in dem Geburtszimmer von Bohuslav Martinu, das wir nach 200 Treppen erreicht haben. Das Zimmer ist, wie sie sehen, sehr klein, aber es lebte hier trotzdem die ganze Familie, also die beiden Eltern, seine zwei Brüder und er wurde im Jahre 1890 geboren. Dieses kleine Vorzimmer diente als Küche und in dem einzigen Zimmer hat die Familie geschlafen, gewohnt und der Vater hat dort auch noch seinen zweiten Beruf ausgeübt, er war auch noch Schuster." Unglaublich, denkt man sich bei der Ansicht des Zimmers, noch merkwürdiger ist der Platz, wo Bohuslav Martinu aufgrund der beengten Räumlichkeiten selbst geschlafen hat. Das war nämlich in einer der drei Schubladen der einzigen Kommode. Im Zimmer steht auch beispielsweise das originelle Spielzeug von Bohuslav Martinu, das Schaukelpferd. Der Grund, warum die Familie in dem Kirchturm wohnte, war der Beruf des Vaters. Frau Renata hierzu:

"Es ist der Hauptgrund, warum die Familie in diesen engen Bedingungen gelebt hat. Das Zimmer wurde gemeinsam mit der Kirche nach dem großen Brand in Policka im Jahre 1845 gebaut. Der Feuerwachtmann sollte von hier aus die Stadt Tag und Nacht beobachten und vor einem möglichen Brand bewahren. Wenn ein Brand ausgebrochen ist, hat Martinus Vater die Glocke läuten lassen oder in der Nacht ein Licht angezündet."

Spannend, denken Sie sich vielleicht, aber gleichzeitig auch anstrengend, wenn man bedenkt, dass alles auf den Kirchturm mitgenommen werden musste, angefangen vom Wasser. Und auch die Toilette befand sich ganz oben.

Wenn Sie nach Policka kommen, müssen Sie unbedingt den Kirchturm besichtigen. Ich kann Ihnen verraten, liebe Hörerinnen und Hörer, seitdem ich oben war, beschwere ich mich nicht mehr, wenn ich jeden Abend 5 Stockwerke zu meiner Wohnung ohne Aufzug laufen muss, denn Martinu hatte es noch höher.

Der Kirchturm ist sicher ein berühmter touristischer Ort, bei weitem aber nicht der einzige interessante. Policka ist aus mehreren Gründen berühmt. Einer sind die am besten erhaltenen Stadtmauern des ganzen Landes, mit 19 Basteien, die zum Teil zugänglich sind. Auch hierher hat uns Frau Renate eingeladen:

"Nun befinden wir uns in einer der Basteien, die in der Stadtmauer eingeschlossen ist. Die Bastei hat eine halbrunde Form und ist in Richtung Stadt offen, damit die Kämpfer einen besseren Zugang hinauf hätten. Früher kletterte man auf einer Leiter hinauf, heute benutzen wir selbstverständlich die Treppen. Die Bastei ist mit 3 Schießscharten versehen und ist 25 Meter hoch und 8 Meter breit. Die Stadtmauer selbst ist eineinhalb Meter breit."

Beeindruckend, dass die Mauer heute noch zur Gänze erhalten geblieben ist. Heute wird sie neben Besuchen auch beispielsweise als kühle Lagerstätte von den anliegenden Restaurants benutzt.

Wie jede Stadt erlebte auch Policka ihre Höhen und Tiefen. Hier noch einmal eine Information für Sie aus erster Hand:

"Das Goldene Zeitalter war für Policka Anfang des 18. Jahrhunderts, wo die wichtigsten Bauten errichtet wurden. Der Stadt ging es gut, die Geschäfte liefen gut und so wurden auch die schönsten Bürgerhäuser gebaut. Aber dies ging mit dem großen Brand von 1845 zu Ende, bei dem vieles zerstört wurde. Das einzig erhaltene ist das barocke Rathaus, das dadurch interessant ist, dass es im inneren des Hauses eine barocke Kappelle hat."

Dieses steht, wo sonst anders, auf dem Hauptplatz, wo auch eine prachtvolle, viel geschmückte 22 Meter hohe Pestsäule zum Himmel ragt. Diese gehört laut unserer geduldigen Führerin zu den schönsten in der Tschechischen Republik. Architekt war Maxmilian Kanka und Steinmetz Jiri Pacak.

Policka es ist eine außerordentlich lebhafte Stadt, wenn man bedenkt, dass es nur knappe 10 000 Einwohner hat. Die vielen stilvollen Kneipen sprechen für sich selbst. Gerade ist ein Jazz-Festival zu Ende gegangen und das nächste steht schon vor den Pforten der Stadtmauer. Das Martinu-Fest werden vielleicht die Liebhaber von Martinu unter Ihnen, liebe Hörerinnen und Hörer, schon in ihren Terminkalender eingetragen haben. Wenn Sie zwischen dem 17. Und 19. Mai nach Policka kommen, werden Sie dem 5. Jahrgang des, dem weltberühmten Komponisten gewidmeten Festivals beiwohnen können und gleichzeitig eine wunderschöne tschechische Kleinstadt in ihrer schönsten Jahreszeit erleben können. In dieser Zeit hat die Stadt für ihre Besucher ein Sonderangebot vorbereitet. Hierzu Herr Matous vom Informationszentrum Policka:

"Wenn die Touristen nach Policka von Mitte April bis Ende Mai und Mitte September bis Ende Oktober kommen und in Policka zwei Nächte bleiben, bekommen Sie eine Besucherkarte, die ihnen vier Gratis Eintritte entweder von Sportanlagen oder kulturellen Einrichtungen gewährt."

Für die Besucher sind auch Informationen auf Deutsch und Englisch vorbereitet.

Und wie sind die Menschen, die in Policka leben? Die Region ist eine der ärmeren Tschechiens, das Durchschnittsgehalt liegt etwas unter dem Landes-Durchschnitt. Die Menschen sind sehr arbeitsam, sagt Herr Matous, da sie auch für weniger Geld lieber arbeiten gehen, als zu Hause mit dem Arbeitslosengeld zu sitzen. Es hat sich für Herrn Matous sehr viel verändert seit 1989:

"Die Gebäude haben sich sehr verändert, Anfang der 90er Jahre unterstützte die Stadt die Renovierung von Häusern. Innerhalb kürzester Zeit hat Policka ihr Antlitz komplett verändert, aus den grauen Häusern sind die wunderschönen Gebäude, die sie hier heute sehen, geworden."

Als einer kleineren Stadt hilft Policka sicher auch die Tatsache, dass sie als ein Gründungsmitglied der Tschechischen Inspiration tätig ist. Die Folgen davon bezeichnet Herr Matous auf jeden als Fall positiv. Ein Anstieg der Besucher ist offensichtlich, auch dank der Werbung im Ausland, die die Tschechische Inspiration betreibt und die sich Policka als eine Kleinstadt alleine nicht leisten könnte.

Soweit, liebe Hörerinnen und Hörer, für heute aus Policka. Nun noch die Quizfrage: An welchem etwas seltsamen Ort in Policka wurde der weltberühmte Komponist Bohuslav Martinu geboren? Ihre Zuschriften richten Sie bitte an Radio Praha. Aus den Antworten werden drei Gewinner ausgelost, die von uns Preise mit Bezug auf die jeweilige Stadt, also diesmal Policka, bekommen werden. Die Namen der Gewinner werden Sie am ersten Samstag im Juni erfahren, wo wir mit unserer Miniserie fortsetzen werden. Vom Mikrophon verabschieden sich Silja Schultheis und Dagmar Keberlova.