Tschechische Kulturtage in Dresden

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Die "Tschechischen Kulturtage Dresden" bieten vom 28. Oktober bis zum 13. November nun bereits zum siebten Mal die Gelegenheit, tschechische Kultur und Lebensart kennen zu lernen. Eine Woche lang war Radio Prag in Dresden vor Ort. Dabei haben wir einige der mehr als 80 Veranstaltungen für Sie besucht. In der heutigen Ausgabe unseres Kultursalons laden wir Sie daher zu einer kleinen Rundreise durch das bunte Programm ein.

Prager Nacht: Lesung im Hörfunkstudio  (Foto: Autor)
"Wir rufen die tschechische Polizei und alle ehemaligen Soldaten, kommt sofort dem Tschechischen Rundfunk zur Hilfe. Die Deutschen ermorden hier unsere Leute. - Der Sprecher wiederholte den Aufruf, ein zweites, ein drittes Mal. Und da begriff er: Sie rufen mich."

Keine Angst, sie sind kein Zeuge eines Überfalls auf unsere Sendeanlagen geworden. Doch vor sechzig Jahren wurde dieser Hilferuf an das tschechische Volk tatsächlich aus unserem Rundfunkgebäude gesendet: Zu Gast beim "Sächsischen Ausbildungsradio" konnten die Besucher der "Shuttle-Lesung Prager Nacht" den Kampf um den Prager Rundfunk in den letzten Tagen des Zweiten Weltkriegs nacherleben. Hinter der Studioglasscheibe lauschten die Besucher nämlich einer Lesung des Krimis "Sternstunde der Mörder" von Pavel Kohout. Ein Serienmörder treibt sein Unwesen, die allgemeinen Kriegswirren und der beginnende Aufstand der unterdrückten Tschechen erschweren die Suche nach dem Straftäter.

Von Mördern, Schurken und Verrückten wimmelte es während der "Shuttle-Lesung" überall. Natürlich nicht im Publikum, sondern in den vorgetragenen Werken tschechischer Autoren. Die "Shuttle-Lesung", erstmals in Augsburg erprobt, feierte 2002 im Rahmen der "Tschechischen Kulturtage" ihre Dresdner Premiere. Das Konzept: Ein spezieller Bus führt an ungewöhnliche Orte der Stadt, die sich für einen Abend in eine Lesebühne verwandeln. Die Lesungen wiederholen sich halbstündlich, der Rundbus fährt im gleichen Takt von Station zu Station. So kann man an jeder Lesehaltestelle nach Belieben Ein- und Aussteigen. In diesem Jahr konnten die Besucher an insgesamt 14 Stationen tschechischer Literatur lauschen, die von Schauspielern der Dresdner Bühnen vorgetragen wurde.

Die nächste Station der "Shuttle-Lesung Prager Nacht": Martin-Luther-Kirche, Abstieg in den verrotteten Heizungskeller der Kirche. Es riecht nach Braunkohle und feuchtem Gemäuer. Ein Schauspieler liest aus Jaroslav Kutaks "Strafe muss sein". Das Buch erzählt von einer tschechischen Kleinstadt und dem Leben seiner grotesken Bewohner. Plötzlich verschwinden Menschen - Treibt sich ein Mörder herum? Das Leben der kleinen Leute gerät aus den Fugen. Doch Kutaks Roman ist mehr als ein unterhaltsamer Krimi. Der kalte Krieg, die kommunistische Diktatur und die tragischen Ereignisse des Jahres '68 prägen das Leben seiner Romanhelden:

Heizungskeller der Martin-Luther-Kirche  (Foto: Autor)
"Er hatte sich schnell orientiert und fand sich dann gut in die neue Situation ein. Er entfernte keine Hausnummern, drehte keine Straßenschilder in unsinnige Richtungen, damit sich die Soldatenkolonnen verirrten, und er beteiligte sich nicht an der Verbreitung von Plakaten und Parolen." Die "Prager Nacht" ist mittlerweile schon etwas fortgeschritten. Es ist kurz vor Mitternacht, die Besucher lassen sich jedoch keine Müdigkeit anmerken. Vielleicht liegt es auch daran, dass viele der ausgewählten Lese-Orte nicht gerade anheimelnd sind und keine wohlige Müdigkeit aufkommt. Eine ganze Nacht im ehemaligen Stasigefängnis von Dresden wünscht man sich sicherlich ebenso wenig, wie einen längeren Aufenthalt im Zulaufbau der Kläranlage Kaditz.

Kalt und düster ist es auch in den Katakomben des im Umbau befindlichen Dresdner Hauptbahnhofes. Franz Kafkas Erzählfragment "Der Bau" ist hier sicherlich richtig aufgehoben:

"Von außen ist eigentlich nur ein großes Loch sichtbar. Dieses führt aber in Wirklichkeit nirgends hin. Schon nach ein paar Schritten stößt man auf natürliches festes Gestein. Es ist gewiss kühn, durch dieses Loch auf die Möglichkeit aufmerksam zu machen, dass hier überhaupt etwas Nachforschungswertes ist. Doch verkennt, wer glaubt, dass ich feige bin und nur aus Feigheit meinen Bau eingerichtet habe."

Nun lassen wir die Prager Nacht und auch Franz Kafkas klaustrophobische Zeilen hinter uns, bleiben aber bei einem jüdischen Literaten aus Prag: Lenka Reinerova wurde 1916 in der Moldaumetropole geboren. Als sie auf die Welt kam, da war Tschechien noch ein Teil der österreichischen K. und k. Monarchie. Lenka Reinerova erlebte als Zeitzeugin das Werden der jungen Tschechslowakei, das Ende der demokratischen Republik beim Einmarsch der deutschen Truppen und den Aufstieg und Fall des kommunistischen Regimes. Ihre Eltern und Geschwister wurden während des Holocaust ermordet, sie selbst konnte fliehen und kehrte nach dem Krieg zurück nach Prag. Ihr wacher und kritischer Geist wurde von den kommunistischen Machthabern nicht gewünscht. Sie musste Demütigungen erleiden und kam mehrfach ins Gefängnis. Aus ihrem wechselvollen Leben erzählt Lenka Reinerova in ihren meist autobiographischen Bücher.

In Dresden stellte die überzeugte Pragerin dem Publikum ihr neues Werk "Närrisches Prag" vor. Die Hommage an ihre Heimatstadt, wie selbst sagt. Zweisprachig wuchs sie auf, Tschechisch und Deutsch beherrscht sie fließend. Warum sie ihre Bücher aber lieber auf Deutsch schreibt, verriet sie den Zuhörern:

Jiri Vsetecka  (Foto: Autor)
"Ohne, dass man sich dessen bewusst ist, perfektioniert man die eigene Sprache. Man denkt anders. Ich denke mir manche Ausdrücke einfach aus, die es gar nicht gibt. Suchen Sie in irgendeinem Wörterbuch ein 'Traumcafe', sie werden es schwierig finden. Die deutsche Sprache ist mein Instrument geworden. Es ist kein Problem für mich, einen Aufsatz oder einen Artikel auf Tschechisch zu schreiben. Aber bei allen größeren Arbeiten, bei meinen Büchern, da bleibe ich schon beim Deutschen. Ganz abgesehen davon: Ich bin sehr beeinflusst worden. Als ich sehr jung war inspirierte mich Rainer Maria Rilke. Da habe ich damals - mit fünfzehn Jahren traut man sich das - Gedichte à la Rilke geschrieben."

Mit einem Lächeln fügt Lenka Reinerova hinzu: "Und mit sechzehn Jahren hört man wieder damit auf. Später, als ich so siebzehn / achtzehn Jahre alt wurde, beeinflusste mich ungeheuer die Lyrik Bertolt Brechts. Das bleibt einem, die deutsche Sprache hat mich geprägt."

Die besondere Atmosphäre Prags, vor allem das jüdische Leben der Stadt, zieht nicht nur Lenka Reinerova, sondern auch viele andere Literaten und Künstler immer wieder in ihren Bann. Auch der tschechische Fotograf Jiri Vsetecka begeisterte sich für das Thema. Im Rahmen der "Tschechischen Kulturtage" zeigt er Bilder des jüdischen Prags. Jiri Vsetecka:

Proudeni - Strömungen
"In mehr als acht Jahren Arbeit habe ich ein großes Buch über das jüdische Prag vorbereitet. Die wechselvolle Geschichte des jüdischen Lebens in der Stadt wird in diesem Buch dargestellt. Ich habe nicht nur Blicke in die unzähligen Prager Synagogen geworfen, sondern auch die Friedhöfe besucht. Übrigens, nur wenige wissen, dass Prag sieben große jüdische Friedhöfe vorweisen kann. Bei allen hier ausgestellten Bildern ging es mir darum, die besondere Atmosphäre des jüdischen Prags aufzufangen und abzubilden."

Seine in Dresden ausgestellten Bilder sind Teil einer Werksschau, die Jiri Vsetecka vor drei Jahren auf der Prager Burg präsentierte. Im "Tschechischen Zentrum Dresden" sind seine Fotografien noch bis zum 8. Dezember zu sehen.

Zum Programm der Kulturtage gehören traditionell viele Ausstellungen. Meist werden Bilder und Objekte gezeigt, die in Tschechien entstanden. Das tschechisch-deutsche Künstlersymposium "Proudeni / Strömungen" geht jedoch einen anderen Weg. Alles, was die Besucher in der am 5. November eröffneten Ausstellung zu sehen bekommen, entstand während der Kulturtage in Dresden. Der Vernissage am 5. November war ein rund einwöchiger Workshop vorangegangen. In dieser Zeit schufen die 15 tschechischen und deutschen Künstler ihre Werke. Brigitte Reichl ist eine der Teilnehmerinnen, die schon mehrmals an "Proudení / Strömungen" mitgewirkt hat. Die enge Zusammenarbeit von Tschechen und Deutschen überzeugt die Künstlerin:

"Es wird bei diesem Symposium wirklich Wert darauf gelegt, dass die Kommunikation zwischen den tschechischen und deutschen Künstlern gefördert wird. So arbeiten wir alle auf relativ engem Raum miteinander, zum Beispiel drei Künstler aus Tschechien und aus Deutschland in einem einzelnen Werkraum. Auf diese Weise kommt es zu einem Dialog, der sonst nicht so einfach entstehen würde."

Und sie fügt hinzu: "Es ist eigentlich ein achttägiger intensiver Austausch zwischen den Künstlern."

Wie dieser "intensive Austausch" zwischen tschechischen und deutschen Künstlern aussieht, erfahren Sie in einer der nächsten Ausgaben unseres Kultursalons. Dann schauen wir nämlich hinter die Kulissen des Künstlersymposiums "Proudeni / Strömungen".

Die "Tschechischen Kulturtage" können Sie noch bis zum 13. November in Dresden und Umgebung besuchen. Mehr Informationen und das detaillierte Programm finden Sie auf der Internetseite: www.tschechische-kulturtage.de

Autor: Bernd Janning
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