Tschechische Territorium Karpaten
Nun hören Sie, liebe Hörerinnen und Hörer, eine weitere Ausgabe des Regionaljournals. Bei dem Wort Karpaten denkt man weniger an die Tschechische Republik als vielmehr an weiter östlich gelegene Teile Europas. Dabei gibt es auch auf tschechischem Territorium Karpaten. Der winzigste Teil des Karpatenmassivs liegt in Österreich, der zweitkleinste im östlichsten Osten der Tschechischen Republik. Nahe der tschechisch-slowakischen Grenze in einer verhältnismäßig gut erhaltenen Landschaft lebt das freundliche Hirtenvolk der Wallachen. Die alte Tradition, die Verbundenheit des Hirtenvolks mit der Natur, den Bergen, war der Ausgangspunkt dafür, dass sich die Einheimischen über die Wichtigkeit bewusst wurden, die Natur zu wahren. Über konkrete Projekte dieser Bewegung in den Weißen Karpaten wollen Ihnen jetzt Silja Schultheis und Dagmar Keberlova erzählen.
Wenn man die Landschaft in den Weißen Karpaten charakterisieren möchte, so fällt mir das Wort "leer" ein. Grüne bewaldete Berge, nicht allzu hoch, blühende Wiesen und Ruhe. Bebaut ist die Gegend glücklicherweise weniger und so braucht man beim Anblick eines beliebigen Tals in den Weißen Karpaten keine große Fantasie haben, um sich vorzustellen, wie hier Jahrhunderte lang die Hirten friedlich gelebt haben. Diese lange Tradition bewegte zwei Landwirte dazu, auf die hiesigen Berge wieder Schafe zu bringen. Einer von ihnen sagte: "Schafe waren schon immer da. Als man mit ihrer Zucht aufgehört hatte, sind die Menschen gleichgültig geworden. Wir dachten uns, das wir mit der Tradition der Schafszucht weiter machen müssen." Durchgeführt wird das Projekt zusammen mit dem Verband Kosenka, der mit der Zucht der Schafe die wertvollen Wiesen in den Weißen Karpaten retten will. Kosenka haben wir in Valasske Klobouky besucht, wo der Verband seinen Sitz hat, um Näheres über seine Tätigkeit aus erster Hand zu erfahren. In einem alten Hirtenhaus wurden wir bestens empfangen mit einem Glas hervorragenden Mostes aus eigenem biologischen Anbau und einem starken Obstbrand für die Mutigen. Den Vorsitzenden des Verbandes Kosenka, Mirek Janik, fragte ich, warum die Wiesen denn so wichtig seien:
"Das ist eine einfache biologische Frage. Die Wiesen sind durch die Tätigkeit des Menschen entstanden, der die umliegenden Wälder gefällt hat, weil er mehr Platz für seine Zucht gebraucht hat. Auf den neuentstandenen Wiesen sind hier vier biologische Systeme aufeinandergestoßen, die in ihrer Kombination absolut einmalig sind. Durch diese vier verschiedenen Systeme finden wir heute ebenfalls eine einzigartige Fauna und Flora vor. Auch die Wirkung des Menschen war wichtig, weil durch die Migration der Hirten innerhalb der Karpaten, aus Rumänien beispielweise, sich die Arten auch durchgemischt haben."
So gibt es heute auf den 715 Quadratkilometern der Weißen Karpaten so viele verschiedene Arten wie in den Beneluxländern zusammen, fügt Herr Janik hinzu. Der Einfluss des Menschen auf das Ökosystem in den Karpaten scheint eine große Rolle gespielt zu haben. Warum ist seine Tätigkeit aber jetzt noch so wichtig? Miroslav Janik erklärt:
"Gerade weil es durch Einwirkung des Menschen entstanden ist, muss der Mensch auch das System erhalten. Wenn der Mensch die Wiesen nicht mähen und erhalten würde, würde die Natur sie wieder bewalden. Aus den Baumsamen beginnen kleine Bäume zu wachsen, Sträucher und mit der Zeit haben wir überall wieder das Waldbiotop."
Und damit würden selbstverständlich alle Pflanzen- und Tierarten, die hier in hoher Artenanzahl leben, verschwinden. Und wenn wir so mit Herrn Janik über die Wiesen spazieren, denken wir, was für ein Schaden dies wäre. Jetzt ist gerade die Zeit, wo verschiedene Orchideenarten blühen, Herr Janik nennt uns einen Namen nach dem anderen -wir haben sie selbstverständlich vorher nie gehört - und wir kommen vor der Schönheit der Blumen aus dem Staunen nicht heraus. Die Orchideenwiesen wollten die Mitarbeiter von Kosenka zuerst retten, aber man nannte sie kytickari, was zu Deutsch etwas abwertend Blumenschützer heißt, man maß ihrer Aktivität also keine größere Bedeutung bei. Dann haben die Mitglieder von Kosenka verstanden, dass sie ihre Aktivität neben Orchideen auch auf andere Bereiche ausdehnen müssen. Heute ist es vor allem der komplexe Naturschutz in dem gesamten Kontext der Region.
Und damit kommen wir wieder zum zweiten Grund der Tätigkeit (von Kosenka) und zu Mirek Janik:
"Der zweite Grund unserer Tätigkeit ist der Schutz des Charakters der Natur, denn die Karpaten beweisen, dass ein Gleichgewicht zwischen Mensch und Natur existieren kann. Wissen Sie, ich glaube, dass es relativ einfach ist, ein Gebiet zum Naturpark zu erklären, den Menschen den Eingang zu verbieten und es der Natur zu überlassen, sich dort frei zu entwickeln. Wenn es uns aber gelingt, hier anhand des Beispiels der Weißen Karpaten zu beweisen, dass der Mensch im Einklang mit der Natur leben und ihre Schätze wahren und erhalten kann, dann ist dies ein geniales Beispiel für die nächsten Generationen."
Das Bewusstsein der Menschen um den hohen Wert ihrer Natur und die Einzigartigkeit der Welt, die sie umgibt, ist in den Weißen Karpaten extrem ausgeprägt. So sind die Aktivitäten des Verbandes Kosenka in Valasske Klobouky bei weitem nicht die einzigen, die in dieser Region unternommen werden. Unweit von dort liegt ein Dorf, das vielleicht als ein Modelldorf für das 21. Jahrhundert bezeichnet werden könnte.
In Hostetin schlägt die Uhr immer etwas früher als in den anderen herkömmlichen Gemeinden Tschechiens. Sehr früh begann man hier nach der Wende, sich mit alternativen, umweltverträglichen Lösungen für das Leben im Dorf auseinander zu setzen. So findet man heute in Hostetin mehrere Häuser, die als Wärmequelle Solarenergie haben. Andere wiederum, bei denen man keine Solarkollektoren auf den Dächern sieht, bekommen ihre Wärme aus der Heizanlage der Gemeinde, die mit Holzabfall funktioniert und somit die Umwelt nicht belastet. Ein weiteres Projekt ist die Rettung der alten Obstbäume und die anschließende Produktion von Biomost.
Hier wird in gläsernen Mehrwegflaschen literweise hervorragender Most produziert, mit dem nicht nur die umliegende Gegend beliefert wird. Radim Machu leitet hier die Produktion und so baten wir ihn ans Mikrophon, um die Entstehungsgeschichte dieser Ökoanlage zu erläutern:
"Die Idee entstand Anfang der 90er Jahre, als die Naturschützer von Veseli nad Moravou begonnen haben, hier in den Weißen Karpaten alte Fruchtarten zu sammeln und zu retten, also Äpfel, Kirschen, Pflaumen und Birnen. Mit der Zeit wurde uns bewusst, dass wir das auch wirtschaftlich nutzen müssen. Deshalb haben wir hier Ende des letzten Jahres eine Mostanlage in Betrieb gesetzt. Im Herbst hat man die ersten 200 Tonen Äpfel aus der umliegenden Gegend verarbeitet. Es ist uns sogar gelungen, ein Drittel der Produktion in Bioqualität zu liefern."
Es gibt tatsächlich zwei verschiedene Flaschenetiketten, wobei nur auf der einen Bio darauf steht. Aber glauben Sie mir, ich habe mir von beiden gekauft und gekostet und den Unterschied merkt man überhaupt nicht. Und das bestätigte mir auch Herr Machu, der sagte, dass eigentlich alle Äpfel hier Bio sind, weil die Frucht aus den alten Obstbäumen der Karpaten stammt, die nie chemisch behandelt wurden. Und wenn Sie, liebe Hörerinnen und Hörer, einmal so ein Most aus quasi eigener Produktion gekostet haben, dann wissen Sie, wovon ich spreche. Schmeckt wie aus dem eigenen Garten, wenn der Vater Fallobst noch am selben Tag zu Most verarbeitet. Aber wie verkauft sich eigentlich so ein Biomost in einem Land, in dem die Tradition der Bioproduktion erst sehr jung ist? Hierzu befragte ich noch einmal Radim Machu:
"Allgemein ist die ökologische Landwirtschaft sowie ihre Produkte eine modische Angelegenheit, die sich aus den westlichen Ländern Europas zu uns verbreitet. Natürlich bedarf es einer gewissen Zeit, bis die Produkte ihre Kunden gefunden haben. In den letzten 3 Jahren wurde die Bioproduktion in Tschechien sehr populär gemacht und ich hoffe, dass unsere Produkte einen fixen Platz auf dem Markt und ihre ständigen Kunden finden werden."
Dann wird es hoffentlich auch kein Problem mehr, diese Produkte in den hiesigen Geschäften zu finden.