Tschechischer Buchautor schrieb über Berlin
Im heutigen Kultursalon stellt Ihnen Martina Zschocke den jungen Prager Literaten Jaroslav Rudis vor. Im letzten Herbst erschien sein Buch "Der Himmel unter Berlin", dessen erste Auflage innerhalb weniger Wochen ausverkauft war. Jaroslav Rudis ist Jiri-Orten-Preisträger. Er lebte ein Jahr in Berlin, wo auch der Anfang seines Buches entstand.
Verschiedenste Berufe hat Jaroslav Rudis in seinem Leben bereits ausgeübt. Als Schriftsteller jedoch scheint er eindeutig am erfolgreichsten zu sein. Sein Debüt "U-Bahn. Der Himmel unter Berlin" wurde zum sofortigen Erfolg - nicht nur bei den Lesern, auch bei der Kritik. Die erste Auflage des Buches war innerhalb von drei Wochen ausverkauft. Gleichzeitig mit dessen Erscheinen erhielt Jaroslav Rudis für sein Buch den Jiri Orten-Preis, einen Preis für Autoren bis 30 Jahre. Worum es in seinem Buch geht, erzählt Jaroslav Rudis:
"Ein 30-jähriger Typ flüchtet aus Prag nach Berlin, weil seine Freundin schwanger ist. Und er hat sehr viele Probleme damit in sich und er denkt, dass wenn er flüchtet, wird sich alles von selbst irgendwie lösen. Natürlich klappt das nicht. Er flüchtet nach Berlin und in der U-Bahn trifft er einen Kumpel. Mit dem gründet er eine Band, es ist also ein Musiker, und die Band heißt U-Bahn. Und mein Buch spielt - also 90% meines Buches spielen in der Berliner U-Bahn, weil ich einfach diese Unterwelt unheimlich interessant finde."
Was fasziniert Jaroslav Rudis an der Berliner U-Bahn?
"Und für mich, ich habe ein Jahr in Berlin gelebt und für mich war das wirklich eine ganz spezielle Welt, wo jeder von uns irgendwann reingehen muss. Und wie schnell sich die Stadt oben verwandelt und man, man ist nicht sicher, was auf dieser Ecke jetzt ist, also die Stadt wächst unheimlich schnell, vielleicht schneller als wir. Und ich glaube in der U-Bahn hat sich nicht so viel verändert, dass man einfach dort auf den alten Kanten und in den Zügen und auf den Gleisen eben noch ... dass das irgendwie ganz speziell stinkt dort. Und auch, dass dort etwas mehr geblieben ist und das sind so Geschichten. Und die habe ich versucht dort zu entdecken. Und die Helden des Buches sind z.B. Lokführer der Berliner U-Bahn, die sich nach der Schicht immer in einem Buffet auf dem Bahnhof Friedrichstrasse treffen. Und dort reden die über das Leben und das Leben nach dem Leben und über die Stadt, weil ich behaupte, dass die auch mehr wissen über Berlin als irgendwelche Intellektuellen. Ich habe auch einfach versucht, die Stadt von unten zu beschreiben, weil diese Poetik mir irgendwie spannend vorkommt."
Das Buch ist auch ein wenig sein persönlicher Protest gegen Wim Wenders. Es ist in gewisser Weise ein kleines anarchistisches Augenzwinkern - kein Widerspruch, sondern eine Ergänzung von Wenders Sichtweise. Der Text handelt im räumlichen und musikalischen Untergrund.
"Ich habe den Film der Himmel über Berlin sehr gut gefunden und ich meine, es gibt nicht viele Filme, die Berlin so gut charakterisieren oder beschreiben. Trotzdem fand ich das ein bisschen zum Teil langweilig, diese Engel, die die Stadt von oben messen. Ich hab halt versucht, dass in schnellerem Rhythmus zu beschreiben und deshalb habe ich auch versucht, dass die Kapitel des Buches etwas wie Punksongs sind - also die Band spielt Punk, Punkrock - und dass sie, diese Kapitel auch als Songs, als Lieder funktionieren."
Musik ist überhaupt eines der zentralen Themen des Buches. Jaroslav Rudis mag insbesondere intellektuellen Punkrock oder Bands, die davon beeinflusst wurden. Als Beispiel nennt er David Bowie.
"Also dieser Song "Heroes", "Helden", das könnte so eine Art Hymne zu meinem Buch sein."
Hat sich Jaroslav Rudis mit diesem Buch den Wunsch erfüllt Rockstar zu sein? Inzwischen gibt es U-Bahn-T-Shirts - und Aufkleber von U-Bahn findet man an den verschiedensten Orten.
"Ich wollte immer Musiker werden. Aber ich bin ja unfähig Gitarre zu spielen - und deshalb aus diesem gewissen Komplex - und ich musste mich damit irgendwie auseinandersetzen und das Buch hat mir als so psychotherapeutisch zum Teil ein bisschen geholfen."
Im Buch bricht er den Wunsch Star zu sein auf angenehm ironische Weise. Die Band ist klein und eigentlich auch nicht erfolgreich.
"Und wenn das kommt, dass sie eine Platte aufnehmen sollen, dann gehen die auseinander. Genau die zerfallen. Das ist mehr so als Spaß ein bisschen."
Doch obwohl die Band im Buch nicht als erfolgreich bezeichnet werden kann, ist sie das bei ihren Lesern sehr wohl. Viele halten das Buch für völlig autobiographisch. Oft erhält Jaroslav Rudis deshalb Angebote mit U-Bahn irgendwo zu spielen. Nach verschiedensten Ausreden hat er inzwischen eine Lösung gefunden.
"Tatsächlich versuchen wir jetzt mit Freunden von mir etwas damit zu unternehmen. Also einige Songs, die U-Bahn im Buch spielt und singt zu verwirklichen."
Sie hörten Ajn Cvaj von Drobný za bura. Jaroslav Rudis ist diplomierter Lehrer für Deutsch und Geschichte und studierte im nordböhmischen Liberec/Reichenberg, in Prag und Zürich. Er arbeitete als Werbeagent einer tschechischen Brauerei in Deutschland, als Bäcker in den Schweizer Alpen, als Hotelportier, DJ, Manager einer Punkband, Lehrer und Verkäufer in einem Milchladen. Heute ist er Kulturredakteur der Tageszeitung Právo. Die Vielzahl seiner Tätigkeiten ist besonders bemerkenswert, da Jaroslav Rudis erst Anfang 30 ist. Wie es dazu kam, erklärt er ganz einfach:
"Also als Kind schon wollte ich Lokführer sein, aber ich hab dann eine Brille bekommen und dann hat das nicht geklappt. Dann bin ich Lehrer geworden. Aber das hat auch nicht geklappt, dann bin ich Journalist geworden und versuche so Geschichten zu schreiben."
Lokführer ist er nicht geworden, aber dieser Welt ist er treu geblieben, indem er alte Fahrpläne und Eisenbahnkarten sammelt. Den Schienen nähert er sich in seinem Buch wieder an.
Sie hörten einen Ausschnitt aus dem 3. Kapitel des Buches "Der Himmel unter Berlin". Das Buch liest sich, wie ein rasant geschnittenes Filmscript, dessen Hauptlocations in Ostberlin, besonders in Mitte, im Prenzlauer Berg und in der U-Bahn angesiedelt sind. Jaroslav Rudis kennt diese Stadt gut. Verbrachte er doch ein Jahr als Journalismus-Stipendiat in Berlin. Was ist für ihn der Unterschied zwischen Prag und Berlin im Lebensgefühl?
"Also ich finde irgendwie Berlin lebendiger als Prag. Auf den ersten Blick ist das eine hässliche, zerstörte Stadt, architektonisch, aber auch von der Mentalität her, aber es ist auch unheimlich spannend. Es ist wirklich die einzige Metropole für Mitteleuropa. Prag finde ich schöner, zum Teil melancholischer auch, aber irgendwie ganz ruhig. Aber nur auf einer gewissen Ebene."
Die Geschichte wie das Buch entstand, ist fast ebenso interessant wie das Buch selbst. Einen Großteil des Buches hat Rudis in Berlin geschrieben. Ursprünglich waren es Emails an seine Freunde. Dann hat er einen Teil der Geschichten in der Tageszeitung Pravo veröffentlicht, wodurch der Verleger des Labyrinth-Verlages auf ihn aufmerksam wurde. Dieser fragte ihn, ob er nicht ein Buch daraus machen wolle. Jaroslav Rudis wollte. Dass er mit seinem Verleger auch sonst durchaus gut harmoniert, beweist folgender Ausschnitt aus einer Lesung in Prag.
Den eben gehörten Punk improvisierten Jaroslav Rudis und sein Verleger im Literaturcafé Obratník in Prag. Stilistisch gesehen könnte man Jaroslav Rudis als tschechischen Popliteraten bezeichnen, in seinem Fall vielleicht eher als Rock- oder Punkliteraten. Im Herbst soll sein neues Buch erscheinen. Ein Comic, der auf einem kleinen Bahnhof in der Nähe des nordmährischen Jesenik/Freiwaldau handelt spielt und dessen Held ein schizophrener Fahrdienstleiter ist. Gleichzeitig bereitet er eine Anthologie gegenwärtiger deutscher Literatur nach 1989 vor. Hören Sie zum Abschluss noch einen kurzen Auszug aus dem Buch.
Sie hörten eine Sendung über Jaroslav Rudis, Autor des Buches "U-Bahn. Der Himmel über Berlin". Das war´s für heute im Kultursalon. Am Mikrofon verabschiedet sich Martina Zschocke. Die Ausschnitte aus dem Buch Der Himmel unter Berlin las Michael Kuhlmann.