Ukrainische Flüchtlinge in Tschechien: Mehrheit leidet unter Einkommensarmut
Rund 300.000 ukrainische Kriegsflüchtlinge leben aktuell in Tschechien. Immer mehr von ihnen haben aber mit Armut zu kämpfen, wie nun eine Studie zeigt.
Unter den ukrainischen Flüchtlingen in Tschechien hat die Einkommensarmut zugenommen. Im August vergangenen Jahres betraf dies bereits 49 Prozent von ihnen, im Dezember waren es schon 58 Prozent. Das ist ein sehr hoher Anteil, wenn man bedenkt, dass ansonsten in Tschechien nur zehn Prozent der Menschen als einkommensarm gelten.
Diese Zahlen hat das Meinungsforschungsinstitut PAQ Research ermittelt. Die Soziologin Martina Kavanová erläuterte in den Inlandssendungen des Tschechischen Rundfunks:
„Zum Teil ist die Armut gestiegen, weil neue Flüchtlinge kommen, denen es noch schlechter geht. Sie haben auch größere Probleme, eine Unterkunft und Arbeit zu finden. Doch am meisten hat zu der Entwicklung beigetragen, dass die Flüchtlinge aus den Notunterkünften und Mitwohnmöglichkeiten in Mietwohnungen umgezogen sind. Das hat neue Kosten verursacht, wobei die Einnahmen nicht entsprechend gewachsen sind.“
Mittlerweile wohnen 36 Prozent der geflüchteten Ukrainer in Tschechien zur Miete, im Juni waren es nur 22 Prozent. Ungefähr in diesem Umfang sank auch die Zahl jener, die weiterhin eine kostenlose Unterkunft haben. Es ist derzeit rund die Hälfte aller Kriegsflüchtlinge. Doch dieser Anteil dürfte sich ab April noch weiter reduzieren. Denn die tschechische Regierung plant Änderungen in der sogenannten Lex Ukrajina, in der die Leistungen für die geflüchteten Menschen aus der Ukraine geregelt sind. Arbeits- und Sozialminister Marian Jurečka (Christdemokraten):
„In den Notunterkünften können dann nur noch jene Personen bleiben, die zu den sogenannten verletzlichen Gruppen gehören: Das sind Eltern oder ein Elternteil mit kleinen Kindern, Menschen mit gesundheitlichen Einschränkungen oder Senioren.“
Zudem soll die Auszahlung der humanitären Hilfe von maximal sechs Monaten auf etwa fünf Monate gekürzt werden (konkret: 150 Tage). Vollständig entschieden ist dies aber noch nicht. Denn erst muss noch das tschechische Parlament über die neue Lex Ukrajina beraten.
Sollten die kostenlosen Unterkünfte und die humanitären Hilfe wegfallen, würde das nach Expertenmeinungen die Einkommensarmut noch einmal deutlich verschärfen. Laut den Untersuchungen von PAQ Research beträfe sie dann bis zu 80 Prozent der geflüchteten Ukrainer. Dabei hat ein Großteil jener im arbeitsfähigen Alter mittlerweile hierzulande eine Beschäftigung gefunden.
„Von den ökonomisch aktiven Flüchtlingen, die bereits im Frühling vergangenen Jahres nach Tschechien gekommen sind, arbeiten nun 59 Prozent. Im August waren es nur 46 Prozent. Das heißt, deutlich mehr sind jetzt wirtschaftlich aktiv. Auf der anderen Seite kommen immer noch neue Flüchtlinge an, und die haben es schwerer, einen Job zu finden, weil ihr Tschechisch noch nicht ausreichend gut ist.“, so die Soziologin Kavanová.
Immerhin lernen viele Ukrainer relativ schnell Tschechisch, weil es sich wie bei ihrer Muttersprache um ein slawisches Idiom handelt. Das hilft dabei, überhaupt einen Job anzunehmen. Allerdings müssen sie sich auf dem Arbeitsmarkt relativ weit hinten anstellen. Das heißt, sie sind meist auf niedrigeren Positionen beschäftigt als zuvor in ihrer Heimat und bekommen nur niedrige Löhne. Am schwersten hätten es dabei Mütter, die allein mit ihren Kindern geflüchtet sind, sagt Andrea Krchová. Sie leitet das Migrační konsorcium, ein Konsortium tschechischer NGOs zur Betreuung von Migranten:
„Sie müssen die Arbeitszeit mit der Kinderbetreuung abstimmen. Deswegen haben sie meist instabile Beschäftigungsverhältnisse in Form einer gewissen Art von Honorarverträgen (auf Tschechisch: Dohoda o provedení práce, Anm. d. Red.). Das bedeutet häufig Tätigkeiten auf niedrigem Niveau und geringe Entlohnung.“
Dabei sind über ein Drittel der hierzulande untergebrachten geflüchteten Ukrainer Hochschulabsolventen, wie Erhebungen im vergangenen Frühling gezeigt haben. Ihr Anteil liegt damit doppelt so hoch wie in der tschechischen Gesellschaft.
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