Ukrainische Nationalisten und die Tschechoslowakei

Bandera-Truppen (Foto: ČT24)

Im Zweiten Weltkrieg standen nicht nur die Nazis auf der einen Seite und die Alliierten auf der anderen Seite einander gegenüber. In der Ukraine formierten sich schon in den 30er Jahren einige Truppen, die für die Selbständigkeit ihres Landes kämpften. Während des Krieges entwickelten diese „Bandera-Truppen“, wie sie nach dem Namen ihres Anführers bekannt wurden, einen Partisanenkampf gegen Russen, Polen und Deutsche. Die Geschichte dieser Einheiten ist auch stark mit der Tschechoslowakei verbunden.

Bandera-Truppen  (Foto: ČT24)
Die Bandera-Truppen werden im öffentlichen Bewusstsein mit Verbrechern und Nazi-Helfern gleichgesetzt. Und das nicht zu Unrecht: Tatsächlich beging die Legion ukrainischer Nationalisten – so ihr offizieller Name - Terrorakte gegen die Zivilbevölkerung und verübte in zahlreichen Gegenden auch Massaker. Die Zahl ihrer Opfer wird auf 80.000 bis 130.000 Menschen geschätzt. Doch der Kampf der ukrainischen Nationalisten endete nicht mit dem Krieg. Die letzten von ihnen waren noch in den 50er Jahren in der Ukraine aktiv, bis die Sowjetische Armee sie definitiv besiegen konnte. Um den Hintergrund dieser Widerstandsbewegung zu begreifen, muss man aber in der Zwischenkriegszeit beginnen.

Bandera-Truppen  (Foto: Tschechisches Fernsehen)
Das ukrainische Gebiet wurde nach dem Ersten Weltkrieg auf mehrere Staaten aufgeteilt. Den Großteil beherrschten Polen und die Sowjetunion, den Rest Rumänien und die Tschechoslowakei. Nur im zuletzt genannten Staat ging es den Ukrainern aber relativ gut, ansonsten wurden ihre Rechte nicht geachtet. Daher kamen viele ukrainische Nationalisten nach Prag, um hier ihre politische Tätigkeit zu entwickeln, erläutert der Historiker Jaroslav Šebek.

„Prag war eine wichtige Anlaufstation für Emigranten. Das lag am demokratischen Charakter der Tschechoslowakei, der Staat war für ausländische Emigrationswellen relativ offen. Die größte Zahl der Einwanderer kam gerade aus der Ukraine, als Antwort auf die Verfolgung und den Terror des Sowjetregimes. In den 30er Jahren führte Stalins Politik sogar zu einer Hungersnot in der Ukraine, was den nationalen Widerstand noch verstärkte. In Prag entstanden sogar das Museum des ukrainischen Befreiungskampfes und eine ganze Reihe anderer Institutionen wie Schulen oder Kulturverbände. Darüber hinaus gab es in der Tschechoslowakei auch einflussreiche Gruppen, die sich um eine panslawische Zusammenarbeit bemühten. Es war also logisch, dass die ukrainische politische Opposition in Prag ihr Umfeld fand.“

Symbole der ukrainischen Nationalisten  (Foto: Wikimedia Commons Free Domain)
Inzwischen griffen die ukrainischen Kämpfer in Polen und in der Sowjetunion zur Gewalt. Sie begingen Sabotageakte, überfielen Postämter und Eisenbahnstationen und ermordeten Politiker. Die Täter flüchteten auch in die Tschechoslowakei, wo sie Hilfe bei ihren Genossen fanden. Vor allem die polnische Regierung rief die Tschechoslowakei auf, die Täter zu verhaften und zurückzuschicken. Dies blieb aber meist ohne Reaktion.

„Die Regierung und das Innenministerium bemühten sich, dieser Forderung nachzukommen. Tschechoslowakische Politiker verurteilten offiziell die Gewalttaten, die Zahl der illegal eingewanderten Kämpfer war aber so groß, dass es nicht möglich war, sie alle aufzudecken. Ihr konspiratives Netz war sehr gut organisiert, darüber hinaus hatten sie ihre Gewaltakte auch nicht auf tschechoslowakischem Gebiet begangen. Noch bessere Bedingungen fanden sie übrigens in Wien, wo 1927 auch die Organisation ukrainischer Nationalisten gegründet wurde. Ihr Ziel war der Kampf für eine selbständige Ukraine“, sagt Jaroslav Šebek.

Die besondere Beziehung der Ukrainer zur Tschechoslowakei zeigte sich auch im Krisenjahr 1938. Kurz vor dem Münchner Abkommen, das die Tschechoslowakei zur Abtretung der Sudetengebiete an Hitler-Deutschland verpflichtete, wurde im östlichsten Teil des Landes die so genannte Ukrainische Nationalwehr gegründet. Ihre Vertreter forderten von der tschechoslowakischen Regierung Waffen, um für die Tschechoslowakei gegen Ungarn kämpfen zu können. Ungarn und Polen erhoben nämlich neben Deutschland auch Gebietsansprüche an die Tschechoslowakei. Es entstanden Truppen von Freiwilligen, die auch wirklich zusammen mit Armee und Polizei die Grenze überwachten. Insgesamt waren dies rund 5000 Männer. Die Begeisterung der Ukrainer für die Erhaltung der Tschechoslowakischen Republik war nicht erstaunlich, meint Historiker Šebek:

Jaroslav Šebek  (Foto: Vendula Kosíková,  Archiv des Tscheschischen Rundfunks)
„Im östlichsten Teil der Tschechoslowakei waren die Beziehungen der Ukrainer zur politischen Zentralmacht am besten, wenn man das mit den benachbarten Staaten vergleicht. Die tschechoslowakische Ära brachte dem Gebiet einen sichtbaren wirtschaftlichen Aufschwung, die Minderheitenrechte wurden grundsätzlich gewahrt. Die einzige nicht erfüllte Forderung blieb bis 1938 die Gewährung der Autonomie. Dies wurde erst nach dem Münchner Abkommen erfüllt.“

Doch die Existenz der selbständigen Tschechoslowakei näherte sich dem Ende. Als Nazi-Deutschland 1941 die Sowjetunion angriff, kam es in der sowjetischen Ukraine zu erstaunlichen Reaktionen: Die Menschen begrüßten die neue Besatzungsmacht, denn sie glaubten, dass es nicht mehr schlimmer als der Stalin-Terror werden konnte. Auch die tschechoslowakischen Ukrainer meldeten sich zur Wehrmacht. Letztlich zeigte sich aber, dass sich die Nazis nicht im Geringsten für die Rechte der Ukrainer interessierten. Die ukrainischen Aufständischen kämpften von da an gegen alle. Sie gingen dabei wie die SS vor und ermordeten zunächst Juden, dann Polen und schließlich die Tschechen. Ganze Gemeinden wurden durch ihren Terror zerstört. Tschechen lebten traditionell vor allem im Nordosten der Ukraine, in Wolhynien. Der Wolhynien-Tscheche Jan Mlynk zitierte im Jahr 2010 aus einer örtlichen Chronik - die Aufnahme stammt aus dem Dokumentarfilm des Tschechischen Fernsehens „Banderovci“:

Stepan Bandera  (Foto: Wikimedia Commons Free Domain)
„Insgesamt 376 Wolhynien-Tschechen wurden von den Bandera-Truppen niedergemacht. Es gibt hier zum Beispiel den Fall eines Mädchens, das sich weigerte, als Sekretärin für die Truppen zu arbeiten. Sie war Tschechin, die aber auch Ukrainisch sprach. Sie wurde mit den Händen an ein Pferd gebunden und zu Tode geschleift.“

Die Ereignisse während des Zweiten Weltkriegs sind das problematischste Kapitel des ukrainischen Widerstandes. Unter der Führung von Stepan Bandera ermordeten diese Truppen mehrere Tausende Zivilisten. Ihr fanatischer Kampf stoppte nicht einmal mit Ende des Krieges. 1947 erlitten sie dann große Verluste in Polen und versuchten sich durch die Tschechoslowakei nach Bayern durchzuschlagen. Die tschechoslowakische Regierung schuf darauf eine spezielle Militäreinheit, um die Bandera-Truppen zu bekämpfen. Der Grund war vor allem ideologisch, glaubt Jaroslav Šebek:

Bandera-Truppen  (Foto: Tschechisches Fernsehen)
„Im Jahr 1947 versuchte die kommunistische Partei bereits, die Kontrolle über den tschechoslowakischen Staat zu erlangen, vor allem durch die Besetzung von Spitzenpositionen in Armee und Polizei. Die Bandera-Truppen kamen ihr dabei gelegen, denn sie zeigten die Gegner der Sowjetunion im schlechtesten Licht. Die Widerstandskämpfer überfielen auch einige Dörfer hierzulande, um sich Proviant zu besorgen. Nur ein paar Dutzend von ihnen schafften letztlich den Weg bis in die amerikanische Gefangenschaft. Die Mehrheit der Truppen wurde von tschechoslowakischen Einheiten aufgerieben.“

Die kommunistische Machtergreifung beendete auch die Freiheit der Ukrainer in der Tschechoslowakei. 1948 wurden alle Organisationen der Minderheit verboten und ihr Eigentum konfisziert. Viele Ukrainer emigrierten deswegen aus der Tschechoslowakei. Die Wende kam erst mit der Samtenen Revolution 1989.