„Ungeduldig auf die Wende gewartet“
In diesen Tagen wird an den Beginn der Samtenen Revolution vor 30 Jahren in der Tschechoslowakei erinnert. Viele tschechoslowakische Exilanten durften erst nach der Wende von 1989 wieder ihre Heimat besuchen. Zu ihnen gehört auch Peter Barton, der das Sudetendeutsche Büro in Prag leitet.
„Das war 1983. Damals ist es mir gelungen, nach Jugoslawien auszureisen, und von dort bin ich als ,illegaler Migrant‘ über Österreich nach Deutschland gekommen. Dort habe ich studiert, was in der damaligen Tschechoslowakei nicht möglich war. Zudem hatte ich Probleme mit dem Regime. Meine Geschichte ist im Institut für das Studium totalitärer Regime – ÚSTR – archiviert. Das war der Hauptgrund. Ich wollte studieren und eine neues Leben in Deutschland anfangen. Ich dachte damals, dass das kommunistische Regime noch mindestens eine Generation lang Bestand haben werde.“
In wie weit haben Sie das Geschehen in der Tschechoslowakei verfolgt?„Ich lebte und studierte in München. Das ist eine Stadt, in der es schon immer Kontakte in die Tschechoslowakei gab. In München hatte damals der Sender Radio Free Europa seinen Sitz, aber es gab auch noch weitere Institutionen, die Beziehungen zur Tschechoslowakei pflegten. Natürlich habe ich die letzten Monate des Jahres 1989 mit Interesse verfolgt. Ich muss ehrlich sagen, dass ich nicht damit rechnete, wie relativ schnell alles gehen wird. Noch im Frühjahr 1989 dachte ich: ,Das wird wieder nichts.‘ Denn Gorbatschow konnte man auch nicht vertrauen. Aber es ging alles relativ schnell. Man darf nicht vergessen, wer mich damals schon unterstützte: die Sudetendeutschen. Sie waren immer die echten Brückenbauer zwischen Tschechen und Deutschen. Für sie waren die Geschehnisse in der Tschechoslowakei besonders interessant.“
Hatten Ihr Studium und später die Arbeit in Deutschland etwas mit der Tschechoslowakei zu tun?„Ja, immer. Ich habe Politik und Geschichte Osteuropas sowie Slawistik an der Ludwig-Maximilian-Universität studiert. Zudem habe ich in der Bibliothek im Sudetendeutschen Haus gearbeitet. Dies ist vermutlich die beste Bibliothek außerhalb Tschechiens, die sich mit der tschechischen Geschichte beschäftigt. Ich hatte darum mit der Tschechoslowakei immer viel zu tun. Im Rahmen meines Studiums und meiner Arbeit ging es hauptsächlich um die Böhmischen Länder, auch in der Politik. Ich war damals bei der Hanns-Seidel-Stiftung tätig, deren Stipendiat ich war. Ich bin sehr oft auch mit Exiltschechen in Kontakt gekommen, die in München gelebt haben, einige sind dann nach Tschechin zurückgekehrt. Mit der alten Heimat war ich also ständig in Kontakt.“
Können Sie sich daran erinnern, wie Sie vom Zusammenbruch des kommunistischen Regimes in der Tschechoslowakei erfahren haben?„Bereits vorher begann das kommunistische Regime auch in anderen Ländern zusammenzubrechen. Man konnte erwarten, dass sich auch etwas in der Tschechoslowakei tun wird. Wir haben ungeduldig darauf gewartet. Ich erinnere mich daran, dass sich alle Menschen in München dafür interessierten, was in Prag los ist.“
Haben Sie dann nach der Wende bald schon die Tschechoslowakei besucht?
„Das war 1990. Damals arbeitete ich bei der Hanns-Seidel-Stiftung. Kurz nach der Samtenen Revolution habe ich gemeinsam mit dem bayerischen Arbeitsminister Fritz Pirkl dann Prag besucht. Wir haben die alten Kontakte wieder angeknüpft oder ganz neue Kontakte hergestellt. Vor allem hatten wir Kontakte zu den Christdemokraten.“
Sie leiten das Sudetendeutsche Büro in Prag. Wie haben sich die tschechisch-sudetendeutsche Beziehungen seit der Wende geändert? Haben sie sich überhaupt geändert?„Kontakte zwischen den Sudetendeutschen und Tschechen gab es schon vor 1989. Ich wollte immer zur Entwicklung dieser Kontakte beitragen, da ich die Geschichte der Böhmischen Länder studiert und mich mit sudetendeutschen Themen beschäftigt habe. Es war relativ einfach, Beziehungen zwischen Menschen, die sich schon gekannt haben, zu vertiefen. Dadurch sind engere bilaterale Beziehungen entstanden. Es gibt alte Freunde wie der bekannte Dissident Petr Uhl oder der verstorbene frühere Außenminister Jiří Dienstbier. Sie sind oft nach München gekommen, sie hatten Kontakte zum Sprecher der Sudetendeutschen Landsmannschaft, Bernd Posselt. Im Sudetendeutschen Büro in Prag geht es uns darum, die Kontakte zwischen den früheren und den neuen Bewohner des früheren Sudetengebiets zu knüpfen und weiter auszubauen. Das Interesse ist groß, vor allem bei der jüngeren Generation. Natürlich gibt es hierzulande auch Menschen, die nicht überzeugt werden wollen. Unser Büro wird aber von vielen Studenten besucht, die Fragen stellen unter anderem wie: Wer sind die Sudetendeutschen? Was für Vorstellungen haben sie?“
Sie sind mit einigen ehemaligen Dissidenten oft in Kontakt. Meinen Sie, dass sich ihre Vorstellungen von 1989 erfüllt haben?„Ich würde sagen, teilweise schon. Wir leben in einem demokratischen System in der Tschechischen Republik. Es ist natürlich nicht alles gelungen. Viele Menschen haben nach 30 Jahren vergessen, wie es früher war, sie halten die Demokratie für eine Selbstverständlichkeit. Es ist notwendig, daran zu denken, dass die Freiheit Gefahren ausgesetzt ist. Dazu gehören Einflüsse aus dem Ausland – aus Russland, China und von anderen zum Teil undemokratischen Regimes. Zudem gibt es auch in Tschechien sozusagen alte Strukturen, die immer noch tätig sind und die versuchen, das Land in eine antieuropäische Richtung zu lenken. Dies macht uns manchmal Sorgen. Aber ich denke, dass die Mitgliedschaft in der EU zu den besten Errungenschaften nach 1989 gehört und dass sie Tschechien Sicherheit garantiert.“