„Unglaublich toll, aber wenig bekannt“ - Barbara Maria Willi über Alte Musik aus Mitteleuropa

Barbara Maria Willi (Foto: Arto Tulima, ww.kuhmofestival.fi)

Seit 1991 lebt sie in Tschechien, genauer gesagt im südmährischen Brünn. Für die heimische Presse ist dies offenbar lang genug, um die deutsche Dozentin an der Musikhochschule in Brünn und Begründerin der dortigen Cembalo-Klasse, Barbara Maria Willi, als „unsere führende Expertin“ im Bereich der Alten Musik zu bezeichnen. Selbst nennt sie Südmähren ihre zweite Heimat. Heute wollen wir die musikalischen Projekte der aus Südbaden stammenden Künstlerin näher vorstellen. Barbara Maria Willi entdeckt schließlich wenig erforschte oder in Vergessenheit geratene Gebiete auf der musikalischen Landkarte Ostmitteleuropas – und das mit zum Teil großen Erfolg. Über ihre Aktivitäten, begleitet von musikalischen Hörproben, sprach mit ihr Jitka Mládková.

Sie haben verschiedene Projekte mit herausragenden tschechischen Interpreten und Ensembles gegründet wie zum Beispiel die „Capella Apolinis“ oder das „Visegrad Baroc Orchestra“. Wie schwer oder wie leicht war es, diese Projekte ins Leben zu rufen?

„Capella Appolinis war das erste Ensemble, das ich hier gegründet habe. Es war recht schwer, überhaupt einen Kreis von Mitspielern zu finden, die menschlich und musikalisch so sind, dass wir wirklich zusammenpassen. Es ist inzwischen ein festes Ensemble geworden und wir haben das Glück, dass wir auch mit tollen Solisten zusammenarbeiten wie Sergio Azzolini, Martina Janková, sogar auch einmal mit Magdalena Kožená. Das Visegrad Baroc Orchestra ist ein neues Projekt. Dieses ist noch kühner, denn es ist ein wirkliches Barockorchester, das sich aus Spielern aus den vier Visegrad-Ländern zusammensetzt, also aus Polen, Ungarn, Slowakei und Tschechien. Das große Potential des Ensembles besteht darin, dass wir uns eigentlich nicht so gut kennen. Das bedeutet, wenn wir zusammenkommen, ist es immer eine große Herausforderung. Jede Gruppe möchte im Prinzip die beste sein und das gibt diese gesunde Konkurrenz, die ich inzwischen in der tschechischen Szene ein bisschen vermisst habe.“

Wie würden Sie das musikalische Kulturerbe der genannten vier Länder kurz beschreiben?

„Die Geschichte dieser Länder ist sehr wechselhaft. Was wir heute als Polen, Tschechien, Ungarn und Slowakei nennen, das gab es ganz lange überhaupt nicht, dabei gab es eine enge Zusammenarbeit. Schon im 14. Jahrhundert haben sich der polnische König Kazimierz und der ungarische König und auch ihr Prager Kollege Jan von Luxemburg getroffen. Man sieht, wie schon sehr früh so eine mitteleuropäische Identität da war. Ich finde es spannend zu sehen, wie international diese Länder schon immer waren, man sieht aber auch in der Geschichte, wann diese Länder stark waren. Die starke und wirklich interessante Musik aus Ungarn ist vor allem aus der Renaissance, aus der Zeit also, in der Ungarn eine Militärmacht war. Auch in Polen gibt es das schöne Repertoire aus der Zeit, als Krakau noch die Hauptstadt von Polen war. Also alles, was vor dem 17. Jahrhundert entstand, war unglaublich tolle Musik, die sehr sehr wenig bekannt ist. Hierzulande, in Böhmen, Mähren und Schlesien, ist der Schwerpunkt Ende des 18.Jahrhunderts zu finden. Da gab es eine richtige Explosion von Musikern. Das hat auch Charles Burney beschrieben, der gesagt hat, Böhmen ist das Musikkonservatorium Europas. Auch Mozart hatte ja am liebsten seine tschechischen Kollegen Mysliveček und Benda.“

Haben Sie sich bereits während Ihres Studiums mit der Musikgeschichte Tschechiens vertraut gemacht oder erst richtig als Sie bereits hier waren?

„Ich muss sagen, ich bin ein Mensch der Sinne. Ich muss die Orte selber sehen. Ich muss einfach da sein, um mir ein eigenes Bild machen zu können, wie es einst war, angefangen zum Beispiel von Kroměříž. Ich wusste, dass es dort ein wichtiges Archiv Alter Musik gibt, aber irgendwie ist es etwas, was man mal nur gelesen hat und was einem nichts sagt. Erst wenn man das Schloss sieht, den Schlossgarten und die ganze Atmosphäre vor Ort erlebt, dann brennt sich das in den Kopf und in den Körper ein. In Breslau war das genauso. Ich wusste, dass die Stadt im 16. Jahrhundert ein wichtiges Musikzentrum war, aber erst wenn man in dem barocken Gebäude der Universität ist, sieht man, wie reich und lebendig Breslau war.“

Trotzdem ist westlich von der tschechischen Grenze nicht viel davon bekannt!?

„Es ist recht traurig. Ich muss auch sagen, dass ich sehr interessante Erfahrungen gerade im Bereich der Alten Musik im Kontakt mit holländischen, deutschen oder österreichischen Kollegen gemacht habe. Diejenigen, die ausgezeichnet sind und wirklich sehr erfolgreich, die finden es ganz toll, dass ich hier bin. Sie kommen gerne her und spielen mit, eigentlich zu allen möglichen Bedingungen, nur um überhaupt hier zu sein. Und die, die selbst in Deutschland nicht so sehr erfolgreich sind, die rümpfen die Nasen und sagen: ´Was kann schon im Osten überhaupt in der Alten Musik los sein!´ Das ist immer noch so eine seltsame Barriere. Aber ich glaube und hoffe, dass dies durch den Austausch und auch dadurch, dass die Musikszene immer internationaler wird, abnehmen wird und dann größere Toleranz, Offenheit und Neugier entsteht.“

Frau Willi, Sie sind nicht nur Cembalistin und Hochschulpädagogin. Es gibt noch ein drittes Gebiet, auf dem Sie sich in letzter Zeit engagieren. Ich meine damit das Festival alter Musik „Concentus Moraviae“…

„Ich bin dreimal als Dramaturgin des Festivals ´Concentus Moraviae´ eingeladen worden, eines der wenigen, die wirkliche Programmfestivals sind. Das heißt, jedes Jahr haben sie ein bestimmtes Thema, das auch wirklich eingehalten wird. Die zweite Idee des Festivals ist, Spitzenkultur in kleinere Orte zu bringen. Keines dieser Konzerte findet in einer Großstadt statt. Alle Konzerte werden im Umkreis von Brünn veranstaltet. Ich bin vor sechs Jahren dazu gekommen, weil das Festival jemand gesucht hat, der sich in Alter Musik auskennt. Es wurde wirklich gewagt, ein ganzes Jahr der Alten Musik und historischen Instrumenten zu widmen, und das war so erfolgreich, dass es jetzt jedes Jahr ein solches Festival gibt. Mit 32 Konzerten ist es eines der größten Festivals seiner Art in Europa.“

Welche Resonanz findet dieses Festival, das in der so genannten „Provinz“, in den kleineren und kleinen Städten in der Umgebung von Brünn stattfindet?

„Inzwischen hat sich das Festival soweit etabliert, dass die Hörer auch dann kommen, wenn sie die Interpreten nicht kennen oder die Musik nicht kennen. Sie kommen wirklich, um zu einem Konzert von Concentus Moraviae zu gehen, weil sie diesem Label sozusagen glauben. Es freut mich natürlich, dass wir auch ausländische Besucher haben. Es kommen Hörergruppen vom Sender Freies Berlin, aus Belgien und Österreich kommen Touristengruppen, die bestimmte Konzerte gezielt ansteuern. Wir haben auch individuelle Besucher aus Deutschland und natürlich auch aus der Umgebung und aus Brünn. Die meisten Konzerte sind sehr gut besucht. Manche Hörer interessieren sich auch für die Orte als solches. Es ist zum Beispiel nicht leicht, in die Synagoge von Třebíč zu gelangen oder in verschiedene barocke Säle, die jetzt wieder den ursprünglichen Besitzern gehören. Das gehört auch zum Zauber des Festivals.“

Welche böhmischen und mährischen Komponisten stellen Sie am liebsten dem einheimischen beziehungsweise dem ausländischen Publikum vor?

„Das Festival hatte dieses Mal das Thema ´Musik aus Visegrad´, wobei ein Viertel des Programms auf tschechische Musik konzentriert war. Ich wollte auch Komponisten des 17. Jahrhunderts vorstellen. Dazu gehörte Daniel Georg Speer, der einer der ersten Musikethnografen war. Als die Türken die Slowakei besetzten, ist er herumgereist und hat Tänze gesammelt. Deswegen sind türkische, bulgarische, slowakische oder hannakische Tänze von ihm erhalten geblieben. Er war also einer der großen Stars im Programm. Der zweite ist Samuel Capricornus, der Protestant war und nach Stuttgart auswanderte. Er ist also ein slowakisch-tschechisch-deutscher Komponist, wenn man so will. Ein anderer Brennpunkt des Festivals sind böhmische Komponisten zurzeit von Mozart, namentlich Štěpán, in Wien nannte er sich Stephan. Josef Antonín Stephan, der Lehrer von Maria Antoinette, der Klavierehrer von der kaiserlichen Familie, der ein phantastischer Pianist war und eigentlich vollkommen unterschätzt wird als Komponist. Das ist also eine wirkliche Homage auch an jemanden, der unverdient vergessen worden ist.“