„Unser Vorbild ist Wien“ – Ministerin Marksová zum sozialen Wohnungsbau in Tschechien

Michaela Marksová (Foto: ČT24)

In Tschechien gibt es keinen sozialen Wohnungsbau. Seit Jahren wird über ein entsprechendes Gesetz diskutiert. Jetzt hat die Ministerin für Arbeit und Soziales, Michaela Marksová, einen Gesetzentwurf vorgelegt. Er soll die Gemeinden dazu verpflichten, einen bestimmten Anteil ihrer Wohnungen zu Sozialwohnungen umzugestalten. Dadurch soll dem zunehmenden Mietwucher auf dem privaten Wohnungsmarkt ein Riegel vorgeschoben werden. Denn das vom Staat an sozial Schwache ausgezahlte Wohngeld landet zunehmend in der Hand von Spekulanten. Dazu ein Gespräch mit Ministerin Michaela Marksová.

Michaela Marksová  (Foto: ČT24)
Frau Ministerin, was ist der Hintergrund Ihrer neuen Strategie für sozialen Wohnungsbau?

„Erstens muss man wissen, dass wir in Tschechien schon sehr lange über ein Gesetz zum sozialen Wohnungsbau diskutieren, etwa seit 15 Jahren. Und bislang gibt es kein solches Gesetz. Ob Gemeinden Sozialwohnungen haben oder nicht, liegt wirklich nur in der Hand dieser Gemeinden. Man sollte auch wissen, dass tschechische Gemeinden schon fast keine Wohnungen mehr in ihrem Eigentum haben. Nach der Wende von 1989 wurden zwar die staatlichen Wohnungen an die Städte und Gemeinden übergeben, doch die haben 90 Prozent dieser Wohnungen privatisiert. Das heißt, es gibt heute Städte, die fast keine Wohnungen in ihrem Besitz haben. Das bringt natürlich große Schwierigkeiten mit sich – vor allem für Menschen, die Unterstützung brauchen: alleinerziehende Mütter und Väter, Großfamilien und ältere Menschen. Diese Gruppen haben heute wirklich enorme Schwierigkeiten, eine bezahlbare Wohnung zu finden.“

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Nach Informationen der Regierung gibt es in Tschechien gegenwärtig rund 30.000 Obdachlose, und nach einer neuen Studie, die Ihr Ministerium in Auftrag gegeben hat, über 600 Armenghettos, in denen überwiegend Roma leben. Zählen sie auch zu den Hauptzielgruppen des geplanten Gesetzes?

„Sie zählen auch zu den Zielgruppen. Aber die Hauptzielgruppe sind Senioren. Sie haben heute große Schwierigkeiten, bezahlbare Wohnungen zu finden. In Prag zum Beispiel sind auch sehr kleine Wohnungen ziemlich teuer. Ältere Menschen sind also die größte Gruppe, und danach Alleinerziehende und sozial schwache Familien. Dazu gehören auch Roma. Aber in den Ghettos herrscht eine spezielle Situation. Man muss wissen: Wir zahlen als Staat jährlich riesengroße Summen an Wohngeld. Und meistens landet dieses Wohngeld bei privaten Besitzern, denn diese kaufen heute Wohnungen und Häuser und siedeln dort sozial Schwache an. Die Gemeinden haben damit nichts zu tun. Aber wir als Staat zahlen den Leuten das Wohngeld, damit sie in diesen Wohnungen wohnen können. In Zukunft möchten wir das daher so regeln, dass die öffentlichen Gelder über die Gemeinden gehen. Und diese sollen einen Überblick haben, wo diese Gelder letztlich landen.“

Foto: Stuart Miles,  FreeDigitalPhotos.net
Sie wollen den Wohnungsspekulanten – das ist ja fast schon eine Mafia heute in Tschechien – einen Riegel vorschieben und die sozial Schwachen nicht diesem privaten Wohnungsmarkt aussetzen...

„Ja. Ich denke, wenn der Staat das Geld zahlt, dann sollten Staat und Gemeinden wirklich aufpassen. Der Gesetzentwurf sieht vor, dass die Gemeinden entscheiden, welche Wohnungen als Sozialwohnungen gebraucht werden. Und dafür wird dann Wohngeld gezahlt. Das Wohngeld soll viel stärker reguliert werden und in Kooperation zwischen Staat und Gemeinden ausgezahlt werden. Es soll nicht wie heute vom Staat direkt an die Wohnungsbesitzer gehen.“

Sozialwohnung  (Foto: Michal Malý,  Archiv des Tschechischen Rundfunks)
Wie soll die Finanzierung aussehen, wenn die Gemeinden fünf Prozent aller Wohnungen zu Sozialwohnungen umbauen sollen?

„Die fünf Prozent waren ein Vorschlag. Sie sind letztlich nicht in dem Gesetzentwurf geblieben. Einige Gemeinden fanden das zu viel, obwohl dieser Anteil in westeuropäischen Ländern und sogar in den Vereinigten Staaten ganz normal ist. Aber wie gesagt, tschechische Gemeinden haben heute kaum noch Wohnungen in ihrem Besitz. Wir rechnen damit, dass die Gemeinden auch Verträge mit privaten Anbietern, mit NGOs oder der Kirche abschließen werden. Und so könnte dann ein Netzwerk von Sozialwohnungen entstehen, allerdings nur, wenn die jeweilige Gemeinde das selbst so entscheidet.“

Foto: Filip Jandourek,  Archiv des Tschechischen Rundfunks
Von den Städten und Gemeinden kommt Kritik gegen Ihr Vorhaben: Die Zahl von fünf Prozent sei nicht realistisch, die Gemeinden müssten dann selbst teure Unterkünfte von privaten Anbietern anmieten...

„Es gibt auch die Möglichkeit, neue Wohnungen mit europäischen Geldern zu bauen. Dafür besteht ein spezielles Förderprogramm. Die Angst vor zu hohen Ausgaben ist in meinen Augen nicht gerechtfertigt. Ohnehin trägt der Staat den Löwenanteil, nicht die Gemeinden.“

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Kritiker aus der Opposition wenden ein, die staatliche Verordnung von Wohnungsquoten bedeute eine Rückkehr in die Zeit des Sozialismus...

„Eine konkrete Quote wird es in dem Gesetz wahrscheinlich letztlich nicht geben. Meine Antwort auf diese Kritik ist: Wir möchten auf demselben Niveau wie die entwickelten EU-Länder sein. Punkt.“ (lacht)

Haben Sie ausländische Vorbilder für Ihr Konzept? In Deutschland geht die Zahl an Sozialwohnungen seit Jahren rapide zurück. Es gibt eine große Schere zwischen Angebot und Nachfrage...

Sozialwohnungen in Wien  (Foto: Dreizung,  Wikimedia CC BY-SA 3.0)
„Unser Vorbild ist zum Beispiel die Stadt Wien, aber es sind auch viele Städte in Großbritannien zum Beispiel. Die meisten entwickelten westeuropäischen Länder haben Sozialwohnungen. Ihr Anteil liegt dort bei 10, 15 oder 20 Prozent des Wohnungsmarktes. Und in Wien dürfte er noch höher sein...“

Was hat die staatliche Wohnungspolitik in Tschechien bislang versäumt, warum gibt es hier noch keine Sozialwohnungen?

„Nach der Wende von 1989 setzte sich eine neue Weltanschauung durch, die besagte: Alles, was der Staat besitzt, sei schlecht. Das einzig gute Eigentum sei Privateigentum. Deshalb wurden fast alle Wohnungen privatisiert. Mittlerweile stellt man fest, dass das ein Fehler war und viele Schwierigkeiten mit sich bringt, vor allem in strukturschwachen Regionen. Ein Beispiel: die Plattenbausiedlung Janov im nordböhmischen Litvínov. Die dortigen Plattenbauten gehören einer privaten Firma, die dort viele sozial Schwache angesiedelt hat. Das bringt große Probleme mit sich. Die Politiker vor Ort sind sehr unglücklich über diese Situation und fordern die Regierung in Briefen auf, etwas dagegen zu unternehmen.“

Litvínov  (Foto: Hadonos,  Wikimedia CC BY-SA 3.0)
In der Stadt Litvínov ist die erwähnte Wohnungsmafia besonders stark....

„Ja. Aber wenn man fragt, wie es dazu kam, erfährt man, dass die Stadt Litvinov diese Häuser vor fünf Jahren an diese Wohnungsfirma verkauft hat. Trotzdem beklagen sich die Stadträte nun, dass die Wohnungen dort zu billig seien und normale Menschen dort nicht mehr wohnen wollten. Ich habe ihnen gesagt: Wenn die Wohnungen so billig sind, dann kaufen Sie sie doch zurück. Da haben sie mich ganz überrascht angesehen.“

Nennen Sie uns noch ein konkretes Beispiel für die heutige Praxis: Eine Familie bekommt Wohngeld und bezahlt davon eine überteuerte Miete bei einem Wohnungsspekulanten...

Mietvertrag
„Genau. Sie unterzeichnet zum Beispiel einen Mietvertrag, in dem eine überteuerte Miete festgelegt ist. Und den Anteil, den die Familie nicht zahlen kann, übernimmt der Staat. Der Staat hat keine Möglichkeit, den Mietpreis zu regulieren. In dem heute gültigen Gesetz gibt es zwar eine Tabelle. Aber die dort angeführten Mietpreise sind sehr hoch, und die Tabelle insgesamt ist in meinen Augen zu grobrastig.“

Wächst in Tschechien die Zahl derjenigen, die auf Sozialwohnungen angewiesen sind?

„Ja. Die Schere zwischen Arm und Reich geht immer weiter auseinander. Wir haben hier viele Jahre lang diese Schere geöffnet. Und jetzt wird es mehrere Jahre dauern, bis sie sich wieder etwas schließt.“