Immer schlechtere Wohnsituation für sozial schwache Bevölkerungsgruppen in Tschechien
Fast jeder zehnte Einwohner Tschechiens befindet sich in einer prekären Wohnsituation. Oft betrifft dies junge Familien oder Alleinerziehende. Und das Problem nimmt weiter zu.
Obdachlosigkeit ist die extremste Folge der Wohnungskrise in Tschechien. Die Initiative für zugänglichen Wohnraum schätzt, dass hierzulande mindestens 11.000 Menschen auf der Straße leben. In ihrem Bericht zum Ausschluss von Wohnraum für das Jahr 2021 konstatiert die Organisation, dass sich noch weitere negative Entwicklungstendenzen vertiefen. Tausende von Haushalten mit Kindern befinden sich in einer prekären Wohnsituation. Etwa zehn Prozent der tschechischen Einwohnerschaft haben Probleme, für die Miete aufzukommen.
Viele Menschen gerieten mit dem Renteneinstieg in eine Notsituation, erläuterte Iva Kuchyňková von der Initiative in den Inlandssendungen des Tschechischen Rundfunks. Zudem verschärfte die Epidemie das Problem:
„Man kann auf jeden Fall sagen, dass die Corona-Pandemie viele Menschen in eine prekäre Wohnsituation gebracht hat. Zahlreiche Mütter und Väter wenden sich an unser Beratungstelefon, weil sie ihre Arbeit verloren haben und nun auch noch der Verlust der Wohnung droht.“
Zudem fehlt in Tschechien zunehmend bezahlbarer und würdiger Wohnraum. Das bekommen vor allem junge Familien und Alleinerziehende zu spüren. Aber auch junge Menschen, die sich vom Elternhaus abkoppeln wollen. Selbständigkeit spiele bei der Frage oft eine große Rolle, so Kuchyňková:
„Wir dürfen auch nicht vergessen, dass es kaum etwas Preisgünstiges gibt für Personen, die aus betreuten Wohneinrichtungen kommen. Das sind etwa Menschen mit gesundheitlichen Einschränkungen oder psychischen Problemen. Die Bandbreite der Menschen, die sozialen Wohnraum brauchen, ist groß. Sie haben oft aber keine Möglichkeit, einen Platz zum Wohnen zu finden, wo sie ihr eigenes Leben realisieren können.“
Ihre Initiative kritisiert, dass es in Tschechien keine politische Strategie gibt, um sozial schwache Bevölkerungsschichten mit würdigem Wohnraum zu versorgen:
„Das Problem weitet sich im Gegenteil immer weiter aus. Ausschluss von Wohnraum wird nicht nur deutlich angesichts der Menschen, die auf der Straße leben. Es gibt viele Menschen, deren Wohnung unzulänglich ist. Dort fehlt etwa Strom sowie fließendes oder warmes Wasser, es gibt Schimmelbefall. Dies sind ungeeignete Bedingungen, um Kinder großzuziehen. In diesen Wohnungen leben oft viele Menschen auf kleinem Raum.“
Zwar gibt es eine staatliche Unterstützung für Menschen, die in prekären Wohnverhältnissen leben. Kuchyňková weist allerdings darauf hin, dass viele Betroffene kein Wohngeld beziehen, selbst wenn sie Anspruch darauf hätten. Häufig seien etwa die Vermieter nicht bereit, die nötigen Dokumente auszustellen. Manche Mieter seien andererseits nicht selbständig genug, um den Antrag beim Sozialamt einzureichen.
Bisher liegt es an den Städte- und Gemeindeverwaltungen selbst, Instrumente und Strategien in der Wohnungsfrage zu finden. Für eine komplexe Lösung des Problems fehle in Tschechien immer noch der legislative Rahmen, sagt Kuchyňková. Der Jahresbericht ihrer Organisation ziele genau darauf ab:
„Wir wären froh, wenn Politiker und Experten unseren Bericht als Grundlage dafür nutzen, um in der nächsten Legislaturperiode ein Gesetz zum sozialen Wohnraum und zu dessen Unterstützung umzusetzen. Dies müssen wir in Tschechien endlich angehen. Ein Gesetz würde helfen, das Wohnproblem hierzulande in Zukunft systematisch zu lösen.“