Überfüllte Wohnungen oder gar kein Dach über dem Kopf: 270.000 Menschen in Tschechien in Wohnungsnot

270.000 Menschen in Tschechien leiden an Wohnungsnot. Zu diesem Ergebnis ist eine Studie gekommen, die das tschechische Ministerium für Arbeit und Soziales in Auftrag gegeben hat. Helfen soll ein Gesetz zur Unterstützung der Wohnsituation, das hierzulande im kommenden Jahr auf den Weg gebracht werden soll.

Foto: ČT24

Wohnungsnot bedeutet in der Studie, dass die Menschen etwa in einer stark überfüllten Wohnung leben. Auch Personen, in deren Zuhause es kein fließend Wasser oder keinen Stromanschluss gibt oder deren Häuser stark von Schimmel befallen sind, zählen dazu – ebenso wie der Extremfall, nämlich gar kein Dach über dem Kopf zu haben.

„Seit Januar lebe ich auf der Straße, in einem Zelt“, erzählt Herr Veverka einer Rundfunkreportern in Prag. Seit einiger Zeit lebt er in einer Obdachlosenunterkunft. Veverkas Schicksal teilen auch viele weitere Menschen in Tschechien. 12.000 haben hierzulande kein Dach über dem Kopf oder leben in Notunterkünften. Diese Zahl hat die Studie zur Wohnungsnot erhoben. Sie wurde im Frühjahr von der Agentur SocioFaktor im Auftrag des Ministeriums für Arbeit und Soziales durchgeführt, und ihre Ergebnisse wurden nun veröffentlicht.

„Die Anzahl der Menschen in Wohnungsnot hierzulande hat sich im Vergleich zu den früheren Untersuchungen nicht drastisch verändert. Es gibt auch nicht wesentlich mehr Menschen ohne Dach über dem Kopf“, sagt Eva Davidová, Sprecherin von SocioFaktor. Sie betont jedoch auch: „Die Daten wurden im Frühling dieses Jahres gesammelt. Von daher spiegeln sie nicht den Einfluss der aktuellen Energiekrise wider.“

Daniel Svoboda | Foto: NADĚJE

Daniel Svoboda leitet die Organisation Naděje (Hoffnung), die in Tschechien unter anderem Menschen ohne Obdach hilft. In den Inlandssendungen des Tschechischen Rundfunks äußert auch er die Vermutung, dass die Folgen der Krise erst im kommenden Jahr in Gänze deutlich werden. Doch bereits jetzt verzeichne man steigende Klientenzahlen, so Svoboda:

„Pro Monat kommen ungefähr 60 neue Menschen ohne Obdach zu uns. Das sind auch diejenigen, die in der Vergangenheit in einer ‚ubytovna‘, also einem Billigwohnheim gelebt oder sich eine Wohnung geteilt haben. Nun können sie sich diese Art der Unterbringung aber nicht mehr leisten. Denn auch die Kosten in den Billigwohnheimen steigen. Momentan handelt es sich zumeist noch um Einzelfälle. Sollte die Krise aber weiter andauern, rechnen wir damit, dass im kommenden Jahr deutlich mehr dieser Klienten kommen werden.“

Doch bereits jetzt melden einige der öffentlichen Notunterkünfte in Tschechien Vollbelegung. So werden der letzten Erhebung zufolge fast 6000 Menschen in den Obdachlosenunterkünften gezählt. Über 12.000 Bedürftige würden zudem in einer bereits genannten „ubytovna“, also in einfachsten Pensionen, leben. In diesen Einrichtungen werden seit der letzten Zählung vor drei Jahren nun mehr Senioren verzeichnet. Familien hingegen leben mittlerweile seltener dort. Dem Analytiker Jan Klusáček von der Initiative Za bydlení (Für das Wohnen) zufolge könnte dies damit zusammenhängen, dass die Eltern und ihre Kinder oftmals in überfüllte Privatwohnungen umziehen würden…

Jan Klusáček | Foto: Kateřina Cibulka,  Český rozhlas

„In extrem überfüllten Wohnungen stehen weniger als acht Quadratmeter Wohnfläche pro Person zur Verfügung. Es gibt etwa 8000 solcher Haushalte in Tschechien. In ihnen leben circa 17.000 Kinder. Dabei dürfte es sich vor allem um jene Familien handeln, die die Wohnheime verlassen mussten.“

Menschen in Wohnungsnot will das Ministerium für Arbeit und Soziales durch ein neues Gesetz zur Unterstützung der Wohnsituation helfen. Ausgearbeitet wird es derzeit in Zusammenarbeit mit dem Ministerium für Regionalentwicklung. Dessen Sprecherin, Veronika Hešíková, umreißt die Pläne der Regierung:

„Menschen, die in Wohnungsnot sind und zu einer priorisierten Gruppe gehören, also etwa Familien mit Kindern oder Opfer häuslicher Gewalt, sollen durch das Gesetz leichteren Zugang zu Wohnungen bekommen, für die der Staat eine Gewähr übernimmt. Diese Mietsicherheit ist für private Vermieter gedacht, aber auch für öffentliche. Die Städte und Gemeinden könnten so motiviert werden, ihre Wohnungen Menschen in Not anzubieten.“

Das Gesetz zur Unterstützung der Wohnsituation will die Regierung in der zweiten Hälfte des kommenden Jahres auf den Weg bringen.

Autoren: Ferdinand Hauser , Iva Vokurková
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