Usti/ Tschechische Republik: Realistische Einblicke für SPD-Abgeordnete des Europäischen Parlamentes
Der deutsche Bundeskanzler hat nach den jüngsten Irritationen im deutsch-tschechischen Verhältnis seinen Prag-Besuch bis auf weiteres verschoben. Die Fraktion der Sozialdemokratischen Partei im Europäischen Parlament hingegen veranstaltete am vergangenen Donnerstag/Freitag eine Konferenz in Usti n.L./ Aussig. Thema: Die EU-Erweiterung und Tschechien: Realistische Einblicke. Silja Schultheis berichtet.
Mit der tschechischen Bevölkerung ins Gespräch zu kommen und auf diese Weise Einsichten in den Alltag des Kandidatenlandes Tschechien zu gewinnen - so das Ziel, das sich die veranstaltenden SPD-Abgeordneten im Europäischen Parlament mit der Tagung gesetzt hatten.
Entscheidender Vermittler zwischen den sozialdemokratischen Politikern und dem tschechischen Alltag war die Studenten-Vereinigung JANUA, die bei der Organisation vor Ort die Federführung übernahm und mittels vier verschiedener Foren die Möglichkeit bot, sich mit ausgewählten Bereichen des Alltags aus der - tschechischen - Perspektive der unmittelbar Betroffenen auseinander zu setzen. Welche "realistischen Einblicke" die Studenten den SPE-Politikern vermitteln wollten, dazu Heda Jungmannova, JANUA-Vorsitzende und Haupt-Organisatorin der Veranstaltung auf tschechischer Seite.
"Wir haben die sog. ,heißen' Fragen in Tschechien als workshop angeboten, und zwar: Wirtschaft in Tschechien, die Roma-Frage, Umweltschutz und Wissenschaft+Kultur. Letzteres ist eigentlich keine ,heiße' Frage, aber ich dachte, es interessiert die deutschen Teilnehmer, was es für Kultur- und Wissenschaftseinrichtungen hier gibt und vor allem auch, wie die Universitäten finanziert werden."
Das Echo der Teilnehmer auf die angebotenen Gespräche und Exkursionen war eindeutig positiv. Zu erwähnen seien hier beispielsweise die Ausflüge in einen Kohletagebau bei Most und in die inzwischen legendäre Maticni Straße, wo die Stadtregierung von Usti 1999 eine Mauer zwischen den Wohnhäusern der dort lebenden Roma und denen der tschechischen Bevölkerung errichten ließ (die nach 2 Wochen und großem Medienecho wieder abgerissen wurde).
Alles andere als zufriedenstellend war hingegen der erste Tag der Veranstaltung, für den eine tschechisch-deutsche Podiumsdiskussion zum Thema "Die EU-Osterweiterung und Tschechien" angesetzt war. Das Problem fiel bereits beim Betrachten der Namensschilder ins Auge: auf dem Podium waren mit einer einzigen Ausnahme keine tschechischen Teilnehmer ausfindig zu machen. Und das, obwohl mehrere tschechische Politiker unterschiedlicher Ebenen eingeladen worden waren.
Holger Haugk, mittel-und osteuropapolitischer Berater der SPD-Sachsen und Hauptorganisator der Veranstaltung auf deutscher Seite erklärte dieses Missverhältnis gegenüber Radio Prag:
"Es gibt mehrere Andeutungen darauf, dass hier eine gewisse Reaktion stattfand auf die Absage des Kanzlers, nach Tschechien zu kommen. Bis auf Herrn Neubauer, einen Vertreter des Bezirksparlaments Usti, hatten wir nur Absagen erhalten. Wir hatten angefragt den tschechischen Innenminister Gross, da gab es gar keine Reaktionen. Es war schon komisch, dass auch keinerlei Vertreter geschickt wurde."
Immerhin begleiten zwei der deutschen Abgeordneten der SPD-Europafraktion - als Mitglieder des Ausschusses EU-Tschechien unmittelbar die tschechischen Beitrittsgespräche mit der Europäischen Union. Statt des erwünschten Entgegenkommens auf ihr Gesprächsangebot ernteten die Politiker um Sachsens SPD-Chefin Constanze Krehl und den Vize-Präsidenten des Europäischen Parlaments, Gerhard Schmid, hingegen von der tschechischen Seite eine kalte Dusche. Mit dem Verlauf der Veranstaltung zeigten sich die sozialdemokratischen Europa-Abgeordneten jedoch insgesamt dennoch äußerst zufrieden. Holger Haugk:
"Vielleicht auch eine gewisse Ironie: Dadurch dass es nicht so sehr parteipolitisch geprägt war, kam viel stärker das eigentliche Ziel der Veranstaltung rüber, realistische Einblicke über Tschechien zu vermitteln. Die SPE-Europa-Abgeordneten waren begeistert und werden sich in ihrer Arbeit im Ausschuss EU-Tschechien jetzt stärker dieser Problematik widmen."