Vatschlav und die Beharrlichkeit der Ignoranz

Wo gearbeitet wird, passieren Fehler. Gerade dort, wo es schnell gehen muss. Also auch im Journalismus. Also auch bei Radio Prag. Schöne Grüße aus dem Glashaus. Ich will aber gar nicht mit Steinen auf einzelne Fehlleistungen werfen. Gegenstand meines Interesses sind vielmehr Grundmuster beharrlicher Ignoranz, die sich mit schöner Regelmäßigkeit wiederholen, und zwar auf beiden Seiten der deutsch-tschechischen Sprachgrenze.

Liberec im Winter 2009
So scheint sich etwa in Deutschland und Österreich die Überzeugung verfestigt zu haben, dass Tschechisch besonders exotisch klingen muss. Auf jeden Fall ganz anders, als man es schreibt. Viele etwa sprechen ein tschechisches „c“ prinzipiell als „tsch“ aus, manchmal auch als „k“. Ein „c“ ist aber einfach immer nur ein „c“. Als „k“ spricht man es niemals aus, und als „tsch“ nur dann, wenn es oben ein Häkchen hat, also ein „č“ ist. Václav Havel heißt demnach einfach nur Václav Havel, und nicht Vatschlav oder gar Vacklav, wie sogar Journalisten und Politiker oft meinen. Genauso wird die nordböhmische Stadt Liberec, zu Deutsch Reichenberg, auf Tschechisch wie Liberetz ausgesprochen, und nicht wie Liberetsch oder gar Libereck. Wie gesagt: Ich rede nicht von einzelnen phonetischen Fehleinschätzungen. Aber wenn in einer Stadt, wie 2009 in Liberec, zwei Wochen lang Nordische Skiweltmeisterschaften ausgetragen werden, dann könnten sich die Sportreporter vor Ort ja irgendwann mal erkundigen, wie diese Stadt eigentlich heißt.

Zug mit Reservierungspflicht
Bei vielen Tschechen wiederum scheint sich die Überzeugung verfestigt zu haben, dass Tschechisch extrem schwer, und Deutsch entsprechend leicht ist, und dass daher nur Dichter und Feiglinge einen deutschen Muttersprachler bitten würden, einen Blick auf ihre deutschsprachigen literarischen Ergüsse zu werfen. Das führt dann etwa dazu, dass die Tschechische Bahn eine Unzahl kleiner Zettelchen drucken lässt, die in die kleinen Leisten über den Sitzen geschoben werden und sich dort gleich dreier typischer Fehler rühmen können. Die Aufschrift lautet nämlich: „Der Zug mit pflichtiger Reservation.“ Neuerdings kann man die Zettel allerdings auch in der fehlerfreien Variante „Zug mit Reservierungspflicht“ finden. Ich gebe zu, das wirkt fast ein wenig langweilig.

Kleine Synchronrolle in einem Spielfilm
Wirklich haarsträubend sind allerdings Versuche, Korrekturen von Muttersprachlern aktiv zu verhindern. So ist es etwa nichts ungewöhnliches, wenn Radioleute abends in ein privates Tonstudio gehen, um dort in ihrer Muttersprache gegen Entgelt den Text zu Tourismusvideos oder Firmenpräsentationen einzusprechen. Manchmal gibt es sogar kleine Synchronrollen in Spielfilmen, manchmal aber auch Gebrauchsanweisungen zur Installation von Hochofenbestandteilen. Dabei ist es schon vorgekommen, dass sich Menschen mit Händen und Füßen gegen das freundliche Angebot wehren, einen vermutlich vom Computer übersetzten Text vor der Aufnahme noch schnell in einen richtigen Text zu verwandeln. Der Text sei vom Auftraggeber autorisiert, heißt es dann. Und zwar so wie er sei.

Illustrationsfoto
Vielleicht sollte man in so einem Fall tatsächlich einmal klein beigeben und dadaistische Gebrauchsanweisungen oder Experimentaltourismusvideos aufnehmen. Aber das wäre Sabotage. Daher lieber der Appell: Hin und wieder einen Gang runterschalten, innehalten, durchatmen und in aller Ruhe ein Wörterbuch befragen. Oder einen Muttersprachler. Und dafür Toleranz zeigen gegenüber Einzelfehlleistungen, die nicht der Überzeugung entspringen, dass man ohnehin alles weiß.