„Ve stínu“ – Film Noir im Schatten des tschechoslowakischen Stalinismus

Ein neuer Film ist in Tschechien angelaufen. Er heißt „Ve stínu“, also „Im Schatten“, und ist eine Detektivgeschichte aus der dunklen Zeit der Tschechoslowakei, den stalinistisch geprägten 1950er Jahren. Regisseur des Streifens ist David Ondříček, in den Hauptrollen spielen der Tscheche Ivan Trojan und der Deutsche Sebastian Koch. Vor kurzem hat die Tschechische Film- und Fernsehakademie entschieden, den Film ins Rennen um den Oscar zu schicken. Worum es in diesem „Film Noir“ geht, erfahren Sie in unserer Sendereihe Kultursalon.

Eine regnerische Nacht im heruntergekommenen Prag der 1950er Jahre: Zwei Einbrecher steigen in einen Juwelierladen ein. Während der eine den Tresor aufbricht, räumt sein Kumpane eine Vitrine mit goldenen Leuchtern und Bechern leer.

Am nächsten Morgen erscheint die Polizei vor Ort, in der kommunistischen Tschechoslowakei „Veřejná bezpečnost“, Öffentliche Sicherheit, genannt. Leitender Kriminalpolizist ist Hauptmann Hakl. Sofort findet er Indizien, anhand denen er einen potentiellen Täter identifiziert: den jüdischen Holocaustüberlebenden und ehemaligen Panzerknacker Kirsch. Bei seiner Festnahme findet er in dessen Zimmer in der jüdischen Gemeinde auch Diebesgut aus dem Raubzug. Kirsch protestiert und auch Hakl ist nicht wirklich überzeugt, dass der durch seinen KZ-Aufenthalt traumatisierte und nervöse Kirsch einen solchen Einbruch verübt hat. Als der Polizist aber in sein Büro auf die Wache zurückkehrt, erwartet ihn dort eine Überraschung: ein Agent der Staatssicherheit eröffnet ihm, dass man den Fall Kirsch übernehme. An seinem Schreibtisch sitzt bereits ein anderer Polizist: ein aus der DDR angereister Spezialist, der von Sebastian Koch verkörperte Ermittler Zenke. Nun wird Hakl erst Recht misstrauisch. Regisseur Ondříček charakterisiert seine Hauptfigur Hakl:

„Er ist ein Polizist der alten Schule, der aber sehr erfolgreich in dieser modernen Polizei des Jahres 1953 agiert. Er ist etwas verwirrt davon, das die Staatssicherheit, der STB, auftaucht und den Fall übernimmt. Das waren Leute, die einfach nicht die Qualifikation dafür hatten, wie das damals oft bei der Staatssicherheit der Fall war. Selbstverständlich war dieser Hauptmann Hakl höchstwahrscheinlich auch Kommunist, weil es in seiner Position gar nicht anders gewesen sein konnte. Ivan Trojan und ich waren uns aber einig, dass er ein passiver Kommunist gewesen sein muss, der sich nicht aktiv beteiligt hat. Hakl ist aber in seinem Fach absolut spitze. Er hat eine Familie, ist aber einer dieser Workaholics, die ihre Arbeit mindestens im Kopf mit nach Hause nehmen. Diese Familie droht auseinanderzufallen, und er versucht verzweifelt, sie zu retten.“

Ivan Trojan spielt Hauptmann Hakl
Der Deutsche wird auch noch im Haus untergebracht, in dem Hakl selbst wohnt. Der Kriminalpolizist empfindet dies als Überwachung, während sein Sohn und seine Frau durchaus interessiert an dem neuen Nachbarn sind. Hakl zeigt dagegen deutlich seine Abscheu. Ivan Trojan spielt Hauptmann Hakl:

„In der Schlussphase haben wir uns Mühe gegeben, dass Hakl nicht der Typ wird, mit dem man sofort auf einen Kaffee oder ein Bier gehen würde. Wir sehen ja, dass die Figur am Ende zum Held wird. Wir wollten aber nicht, dass er ein strahlender Held wird, deswegen sollte man ihn zu Beginn nicht zu sehr mögen.“

Aber auch Hakls Gegenspieler Zenke ist nicht gerade der Sympathieträger des Films. Als Hakl in einer Postfiliale ermittelt, in der mehrere Menschen erschossen wurden und ein großer Betrag Geld gestohlen wurde, taucht erneut die Staatssicherheit auf. Auch dort übernimmt sie die Ermittlungen, und auch dort ist der deutsche Polizist Zenke dabei. Hakl kann jedoch eine Kugel und eine Patronenhülse am Tatort sichern. Zenke sieht ihn, verrät ihn aber nicht. Zwischen den beiden Männern entsteht eine spürbare Spannung, die ein Dialog aus dem Film gut wiedergibt:

Hakl: „Warum tun Sie das?“

Zenke: „Wie bitte?“

Hakl: „Warum tun Sie das?“

Zenke: „Ich weiß nicht, wovon Sie reden, Hauptmann.“

Hakl: „Zum Beispiel von Kirsch?“

Das Geld taucht in einem Wagen der jüdischen Gemeinde Prag wieder auf, mit dem zwei Mitglieder der Gemeinde die Grenze nach Deutschland überqueren wollen. Zenke und der tschechische Geheimdienstagent warten bereits an der Grenze und finden die Scheine. Sie lassen daraufhin alle Funktionsträger der Gemeinde in Prag verhaften und verhören. Nun wird klar, dass es um eine Inszenierung geht. Regisseur Ondříček:

„Die kommunistische Partei und der STB versuchten von der geplanten Währungsreform abzulenken. Dazu inszenierten sie politische Prozesse, und vor dem Hintergrund des „Imperialismus“-Vorwurfes begann eine Welle des Antisemitismus. Das bedeutete, irgendeinen Fall zu konstruieren, damit die Gerüchte über die Währungsreform verstummen. Natürlich war der Erfolg dieser medialen Ablenkung nicht so groß.“

Tatsächlich war der Antisemitismus-Plot keine Erfindung von David Ondřiček oder seinem Drehbuchautor Marek Epstein. Material für die Geschichte fanden sie im offiziellen kommunistischen Parteiblatt „Rudé Právo“. Der Film wird als Detektivgeschichte im Stil eines Film Noir beworben, nicht als Politdrama. Tatsächlich wirken die Farben ausgebleicht und nachkoloriert, die Häuser der 1950er Jahre sind verfallen, der Himmel ist ständig wolkenverhangen und es regnet häufig. Sebastian Koch spielt den Ermittler Zenke und ist selber Fan des Film Noir:

Sebastian Koch als Zenke
„Es passt auch für diesen Stoff, wie ich finde. Es spielt ja in einer vergangenen, düsteren Zeit, in einer Zeit der Rezession und des Nichtwissens, wie es weitergeht. Gleichzeitig gibt es die Möglichkeit eines Aufschwungs, aber der nächste Schlag wartet schon. Deswegen finde ich es ganz klug, dieses Thema in das Genre des Film Noir zu verpacken, das ist eine gute Idee.“

Nach der Verhaftung mehrerer Mitglieder der jüdischen Gemeinde und ihren Geständnissen, das Geld zur Unterstützung des „Imperialismus und Zionismus“ nutzen zu wollen, gilt der Fall als aufgeklärt. Nun wird auch klar, welche Rolle der Deutsche Zenke spielt: Er soll bei der Gerichtsverhandlung aussagen und die internationalen Ausmaße der Verschwörung verdeutlichen. Hauptmann Hakl will sich indes damit nicht zufrieden geben. Der Polizist alter Schule macht klar:

„Ich suche einen Mörder, und es ist mir egal, wer das ist.“

Mit dieser Einstellung gerät er langsam in das Visier der Staatssicherheit. Und die setzt Hakl unter Druck. Sein Freund aus der Polizeitechnik, der das Geschoss für ihn untersucht hat, will nichts mehr mit dem Fall zu tun haben. Hakls Frau wird überfallen und seine Wohnung verwüstet. Er wird immer nervöser und fühlt sich verfolgt. In dieser Situation wird ausgerechnet sein Gegenspieler Zenke zu einer Art Komplize. Denn Zenke verheimlicht einiges und arbeitet nicht freiwillig für die Staatssicherheit:

„An der Rolle hat mich begeistert, dass er nur ganz wenig zeigen darf von sich. Sein Innenleben muss komplett verborgen bleiben, weil es ihn ja gefährden würde.“

Zenke versucht, Hauptmann Hakl die Gefahr klarzumachen, in der er sich befindet. Er will ihn überzeugen, nicht weiter zu ermitteln:

Hakl: „Wozu ist ein Vater gut, der kneift?“

Zenke: „Ja, und wozu ist ein Vater gut, der tot ist?“

Sebastian Koch
Sebastian Koch betont, dass beide Männer eine Entscheidung treffen mussten:

„Die beiden Männer sind sich ja vom Charakter sehr ähnlich. Und der eine entscheidet sich für den Verrat, weil der Leidensdruck wahrscheinlich zu groß war, und der andere entscheidet sich für die Wahrheit und will für die Wahrheit wahrscheinlich sogar sterben. Meine Figur sagt: Nein, ich verkaufe mich, ich verkaufe meine Überzeugung, aber ich will zurück zu meiner Familie, die brauchen mich. Beides sind sehr verständliche Haltungen und beide Positionen werden so sensibel aufgezeigt, dass man sie als Zuschauer verstehen kann.“

Trotz der vielen komplizierten historischen Probleme wirkt der Film nicht überladen. Das liegt am Genre des Kriminalfilms. Vieles kann im Dunkeln bleiben und vieles rückt durch das Spiel der beiden Hauptcharaktere in den Hintergrund, spiegelt sich aber in den Motiven der Handelnden. Ondřiček erzählt, wie er ausgerechnet auf diese schwierige Zeit gekommen ist:

„Das Thema kam so: Ich habe mit meinem Vater gesprochen, worüber er einen Film drehen würde. Er sagte mir dann, ihn fasziniere in seinem Leben am meisten das Jahr 1953, die Zeit der Währungsreform, die noch nie in der Filmgeschichte behandelt worden sei.“

David Ondříček mit Marek Epstein
Da Ondřiček Fan von Kriminalgeschichten ist und den Film Noir liebt, hat er das alles gemischt und so mit Drehbuchautor Epstein „Im Schatten“ geschaffen. Allerdings nicht im ersten Anlauf: Epstein hat 17 verschiedene Drehbücher vorgelegt, bis endlich eine Version auch Ondřiček zusagte. Das Ergebnis kann sich sehen lassen, wie auch Sebastian Koch findet:

„Es gibt so Drehbücher, die einfach eine Kraft besitzen und erzählt werden müssen. Die Intention, die dieser Film hat, finde ich so wichtig, dass ich einfach gerne dabei bin, dass ich mich sozusagen zur Verfügung stelle. Ich fand die Geschichte auch wichtig, gerade für die Tschechen. Wenn man das im eigenen Land sieht, in der eigenen Stadt mit der eigenen Straßenbahn, dann ist man emotional viel näher dran, als wenn das irgendwo anders spielt und eine Metapher ist. Das hat mich beeindruckt und ich habe gedacht, das könnte ein wichtiger Film für das Land sein. Und das ist es auch geworden.“

Fotos: www.vestinufilm.cz