Verblieben statt vertrieben– Deutsche in Tschechien erzählen ihre Geschichte

nemecka_mensina.jpg

Keine echte Deutsche, keine echte Tschechin. Irgendetwas dazwischen vielleicht. So geht es einer ganzen Menge Deutschen, die in Tschechien leben - die bei der Vertreibung nach dem Zweiten Weltkrieg glimpflich davon gekommen sind oder als Arbeitskraft nicht weggelassen wurden. An die 40.000 Deutschstämmige gibt es heute noch in der Tschechischen Republik. Auch die junge Generation hat nicht immer Klarheit über ihre Identität. Die Landesversammlung der Deutschen in Böhmen, Mähren und Schlesien hat nun eine Ausstellung eröffnet, die sich mit einigen dieser Geschichten befasst. Christian Rühmkorf hat sich die Ausstellung „Verblieben in der Heimat – Deutsche in Tschechien erzählen Geschichte“ angesehen.

Inge Efler
„Das weiß ich überhaupt nicht. Ich fühl mich überhaupt nicht tschechisch und auch nicht deutsch… wirklich…ich bin keine echte Deutsche oder echte Tschechin. Das ist so eine Mischung…“ (Inge Eflerová)

„Nein, ich bin Deutscher. Tschechisch hab ich gelernt. Aber hier drinnen bin ich immer ein Deutscher, nicht.“ (Leopold Habermann)

„Na, ich bin… ich bin… eine Person, die in der Tschechischen Republik wohnt mit deutschen Wurzeln.“ (Martin Dzingel)

So kompliziert, aber auch so einfach kann die Antwort ausfallen, bei einer 65-Jährigen, bei einem 78-Jährigen und bei einem 34-Jährigen. Und zwar die Antwort auf die schlichte Frage, ob sie Deutsche oder Tschechen sind. Inge Eflerová, Leopold Habermann und Martin Dzingel gehören zu jenen rund 40.000 Menschen, die – bei allem, was sie sonst noch sind – zur deutschen Minderheit in der Tschechischen Republik gehören. Ihre Geschichten sind drei von zehn Lebensgeschichten, die seit Montag im Prager Haus der Minderheiten zu sehen sind.

Journalistin Susanne Beckmann
Die Idee zur Ausstellung kam von der Kulturmanagerin Anett Browarzik und der Journalistin Susanne Beckmann. Beckmann begab sich dann zusammen mit der Wissenschaftlerin Sandra Kreisslová und dem Fotografen Dirk Plamböck auf Spurensuche unter der deutschen Minderheit in Tschechien. Gemeinsam führten sie unzählige Gespräche.

„Wir wollten gerne herausfinden, welche Identität diese Personen, die heute hier noch leben, haben. Wie haben sie hier gelebt über die ganzen Jahre? Wie haben sie die Tschechoslowakei und den Kommunismus erlebt? Und wie hat das ihre Identität geprägt? Das war unsere Hauptfrage“, erzählt Susanne Beckmann.

Aus der Vielzahl von Gesprächspartnern haben die Ausstellungsmacher Personen ausgewählt, die allein schon von ihrem Alter her völlig unterschiedlich sind. Die Spannbreite reicht von 19 bis 84 Jahren. Auf zehn großformatigen, bebilderten Plakaten erzählen sie ihre Geschichte; erzählen sie, aus welchen deutschen oder deutsch-tschechischen Schattierungen sich ihr Ich zusammensetzt. Für Susanne Beckmann war bei den Gesprächen besonders überraschend…

„…dass eben sehr viele von den jungen Leuten durch die Oma oder den Opa das Deutsche sich erhalten haben. Sie haben Dialekt gesprochen – ganz normal zu Hause bei Oma – und dann eben auch mit den Eltern. Und im Kindergarten und in der Schule Tschechisch. Dass man da diese Zweisprachigkeit auch so als natürlich empfunden hat, das ist für uns, die wir jetzt zugereist sind aus Deutschland, schon eine Überraschung.“

Einige biografische Informationen über die deutsche Minderheit in Tschechien hatten Beckmann und Co. schon zur Verfügung. Es war Ihnen aber wichtig, in der Generationenkette auch gerade die jüngeren Glieder aufzuspüren und zu befragen,

„weil eben dieses Bild ´Die Minderheit ist eigentlich nur 80´ nicht stimmt. Die Minderheit ist auch 30, die Minderheit ist auch 40. Und das war uns ganz wichtig zu zeigen.“


Leopold Habermann
Wie kam es aber, dass doch so viele tausend Deutsche nach dem Zweiten Weltkrieg nicht vertrieben wurden, sie also zu Heimatverbliebenen wurden? Die Schicksale sind unterschiedlich. Leopold Habermann zum Beispiel war 1945 als 14-Jähriger in der Hitler-Jugend gewesen und wurde nach dem Krieg in einem Arbeitslager interniert.

„Wenn ich das gewusst hätt, dass die Vertreibung wird sein…ich habe damals bei Znaim gearbeitet in so einem Lager. Und da haben wir bei einem Bauern gearbeitet. Wenn ich das gewusst hätt…also, auf die linke Seite bin ich gesprungen in die Tschechei, auf die rechte Seite war ich in Österreich. Aber ich wollte dann heim nach Iglau. Dann bin ich zurückgekommen und da haben sie uns gleich geschnappt - und wieder ins Lager. Na und dann sind wir schon dageblieben. Und dann ist kein Transport mehr gegangen.“

Martin Dzingel
Martin Dzingel hingegen ist mit seinem 34 Jahren zu jung. Er kann über die Nachkriegszeit und die Vertreibung nur aus Familienerzählungen berichten:

„Also meine Oma wohnte in Römerstadt, tschechisch Rýmařov. Und da waren die ersten Transporte. Das war die so genannte ´wilde Vertreibung´. Und weil sie das gehört hat, dass es eben so zugeht, da hat sie ihr Vater – also mein Urgroßvater – der in einem benachbarten Ort gewohnt hat, in der Nacht abgeholt, und sie sind dann in diesem Ort gefahren. Und da ist sie schon mal aus diesem ersten Transport herausgefallen. Und dann wieder durch einen anderen Zufall hat sie…sie war Sozialdemokratin. Und mein Urgroßvater war auch verfolgt, weil er nicht in die NSDAP wollte. Und aufgrund dessen hat sie diese Ausnahme bekommen und sie durfte dann bleiben.“

Inge Efler - oder tschechisch Eflerová - wiederum ist ein Jahr vor Kriegsende geboren worden. Ihre Familie durfte bleiben, weil die Arbeitskraft ihres Vaters gebraucht wurde.

„Mein Vater war Bergmann. Und wir haben ja in so einem Gebiet gelebt, wo Schwarzkohle abgebaut wurde. Und da haben ja meistens die Deutschen dort gearbeitet und die konnten sie ja nicht rausschmeißen, weil da hätten sie müssen die Grube zumachen. Und außerdem war ja meine Mutter eine Tschechin. Darauf haben sie ja auch ein bisschen geguckt, so dass wir hier bleiben konnten.“

Inge Eflerová fällt es schwer, sich eindeutig als Deutsche oder Tschechin zu definieren. Das sei so ein Gemisch, sagt sie. Bei der Frage, wie sich das bei ihren inzwischen erwachsenen Töchtern verhält, muss sie überlegen:

„Eigentlich weiß ich nicht, was meine Töchter sagen. Das habe ich noch nicht gefragt. Sie können sie selber fragen. Meine Töchter sind ja hier.“

Wir fragen also die Töchter.

Die Töchter von Inge Efler mit Christian Rühmkorf
„Ach, na, ich bin so wie meine Mutter. Als ich Deutsch unterrichtete als Lehrerin, da war ich mehr deutsch. Seit dem vorigen Jahr bin ich jetzt Schulinspektorin. Aber dann, wenn ich Tschechisch spreche und mit meinen tschechischen Freunden zusammen bin, da bin ich mehr Tschechin,“ erzählt Tochter Renata. Und ihre etwas jüngere Schwester Monika?

„Das ist eine ziemlich schwere Frage. Ich fühle mich tschechisch, aber ich…patřím…gehöre zu den Deutschen. Das ist auch so eine Mischung bei mir.“

Nicht nur die älteren Deutschen, die in der Tschechoslowakei geblieben waren oder bleiben mussten, berichten von einem Leben als Fremder im Heimatland. Auch die jungen Generationen erzählen, für die Tschechen seien und blieben sie einfach ´die Deutschen´.

Und Martin Dzingel spürt manchmal auch, dass da neben Sprache und familiären Wurzeln, doch noch ein bisschen mehr Deutsches in ihm steckt. Zum Beispiel der Sinn für Ordnung, erzählt er schmunzelnd.

„Wenn ich in die Kneipe komme, dann ordne ich schon diese Bierdeckel. Und das ist also ein bisschen verrückt, ja. Das weiß ich und ich sage mir manchmal: ´Lass das liegen!´“

Die Ausstellung „Verblieben in der Heimat – Deutsche in Tschechien erzählen Geschichte“, wird in wenigen Tagen schon auf Reisen durch das Land gehen. Auch in Deutschland wird sie zu sehen sein, unter anderem in München und in Dresden. Und sie kann jederzeit bei der Landesversammlung in Prag angefordert werden. Wäre eine solche Ausstellung schon vor 15 bis 20 Jahren möglich gewesen? Ausstellungsmacherin Susanne Beckmann:

„Das kann ich schwer einschätzen. Aber ich glaube schon, dass es noch nicht so einfach gewesen wäre. Wenn man sieht, dass wir heute im Haus der Minderheiten präsentieren. Also auch das Bewusstsein dafür, dass hier mehrere Nationen in diesem Land leben, ist erst gewachsen. Und das Haus existiert seit vergangenem Jahr und von daher würde ich sagen, die Ausstellung kommt jetzt zur richtigen Zeit. Früher wäre sie schwieriger gewesen.“

Fotos: Gerald Schubert