Verschwundenes Dorf in Westböhmen – Výškovice im Wandel der Geschichte
Das Grenzgebiet in Westböhmen im Umkreis des bekannten Kurortes Mariánské Lázně / Marienbad zeichnet sich durch seine besondere geografische Lage und seine landschaftlichen Reize aus. Bekannt geworden durch die heilenden Quellen, wurde es zum Kurzentrum für angesehene Gäste aus ganz Europa, gehörte seit dem Mittelalter zu den kulturellen Hochburgen und stellte eine wirtschaftlich bedeutende Verbindung zwischen Böhmen und den deutschen Ländern dar. Im Sudetengebiet Westböhmens vollzog sich vor allem im vergangenen Jahrhundert, in Folge des Zweiten Weltkrieges und der Übernahme durch die kommunistische Herrschaft, ein großer Wandel. Wie folgenreich der Wandel für seine Einwohner, das zeigt das Beispiel des verschwundenen Ortes Výškovice.
Nur wenige Kilometer von Marienbad entfernt und unweit des Prämonstratenser-Klosters Teplá, auf Deutsch Tepl, weist ein Verkehrsschild in Richtung der Ortschaft Výškovice. Doch wer das Ortsschild passiert und am Ende einer langen Allee ein Dorf erwartet, wird enttäuscht. Die 690 Meter hoch gelegene Ortschaft ist - bis auf einen Hof und eine Kapelle - verschwunden. Von den ursprünglich acht in Rundform angelegten Fachwerkhäusern und Höfen zeugen heute nur Reste von Kellergewölben und Grundmauern. Der tschechische Ortsname Výškovice weist auf den Ursprung des Dorfes bereits im 13. Jahrhundert hin, berichtet der Regionalhistoriker und Kenner des Gebietes, Richard Švandrlík:
„Das Dorf wird bereits im Jahr 1251 erwähnt, und zwar in der Urkunde der Herrschaften Vyško und Vyšmír von Vyškov, einer unweit gelegenen Burg. Dem Text nach wurde die Ortschaft zweifellos von diesen Herrschaften gegründet. Sie kam jedoch früh in den Besitz des Prämonstratenser-Klosters Tepl. Im Jahr 1273 wird sie dann bereits in einer weiteren Urkunde in einem Verzeichnis als Ortschaft geführt, die dem Prämonstratenser-Kloster Tepl unterstellt ist.“
Die Nähe zum kulturellen Zentrum des Klosters verschaffte den Einwohnern von Výškovice überdurchschnittlich gute Lebensverhältnisse. Sicher auch ein Grund dafür war, dass sich zunehmend Deutsch sprechende Siedler in der Gegend niederließen, wie Richard Švandrlík berichtet:
„Výškovice war selbstverständlich schon während des Dreißigjährigen Krieges deutsch.“
Auf der Steuerrolle aus dem Jahre 1654 werden alle acht Bauern aus „Wischkowitz“ nur mit deutschen Namen genannt, darunter Breuer, Grüner oder Weigl. Das Dorf überlebte die folgenden Jahrhunderte vergleichbar den tschechischen Nachbardörfern in der Region. Die wechselnden Regierungen, Pestnöte und Kriege verringerten zwar die Einwohnerzahl immer wieder, die Existenz des Dorfes selbst war dadurch aber nicht gefährdet. Im Gegenteil: Als im Jahr 1775 die barocke Kapelle ´Dobré rady Panny Marie´ (Maria von Guten Rat) erbaut wurde, verfügte die Ortschaft bereits über 18 Ortsansässige und die Einwohnerzahl stieg in den kommenden Jahrzehnten auf bis zu 190 Dorfbewohnern an.
Ein Höhepunkt der Dorfgeschichte ist der Besuch von Johann Wolfgang von Goethe am 21. August 1821. Möglicherweise auf Anregung des Beamten Josef Sebastian Grüner, der ein Kenner des Gebietes um Marienbad ist und vom Verehrer zum Freund Goethes wird, hielt dieser bei seiner Reise von Marienbad zum Kloster Tepl auch in Výškovice. Goethe notierte in seinen Aufzeichnungen über die Rückreise:
„Der Gipfel des Berges Podhora (Podhorn) blieb uns links; ein sehr schlimmer Waldweg über den ablaufenden Rücken desselben hielt uns auf; doch wurden wir dadurch belohnt, dass wir unvermutet Basalt fanden. Und so haben die beiden Tage, gestern und heut, mehr für die Kenntnis des Landes geleistet als die vergangenen drei Wochen.“
War die Frage der nationalen Zugehörigkeit zu Goethes Zeiten noch wenig interessant, formten sich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zwei Teile der Gesellschaft heraus - die tschechische und die deutsche. Dennoch blieb es etwa bis zum Jahr 1935 im Gebiet um Výškovice beim friedlichen Zusammenleben zwischen der tschechisch- und deutschsprachigen Bevölkerung, wie Richard Švandrlik berichtet:
„Die älteren Zeitzeugen erzählten, dass sie hier, im Gebiet um Marienbad auch in den Dörfern Výškovice oder Pístov / Pistau als Kinder ihren Urlaub verbracht haben. Sie waren dort bei Familien, um zwei Monate nur Deutsch zu sprechen. Die deutschen Kinder fuhren wiederum zu tschechischen Familien.“
Doch mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten in Deutschland wurde der Ruf der Sudetendeutschen, sich dem Deutschen Reich anzuschließen, immer lauter und feindseliger. Die Anbindung kam 1938, die Mehrheit der im Gebiet von Marienbad lebenden Deutsch sprechenden Bevölkerung hatte sie herbeigesehnt. Für das Gebiet hatte dies jedoch verheerende Folgen. Anstelle des friedlichen Zusammenlebens der tschechisch- und deutschsprachigen Bevölkerung verstärkten sich Hass und Feindseligkeit, die von Hitler, den Nationalsozialisten und den Henlein-Anhängern geschürt wurden. Das Ende des Krieges bedeutete daher – auch für die Ortschaft Výškovice – das Ende der deutschsprachigen Bevölkerung im tschechischen Grenzgebiet, wie Richard Švandrlík für den Kreis Marienbad bestätigt:
„Nach dem Jahr 1945 wurde über die Aussiedlung der deutschen Bevölkerung entschieden, ausgenommen wurden Antifaschisten. Allerdings muss man sagen, dass auch die Antifaschisten hier nicht bleiben wollten. Sie gingen gemeinsam mit ihren Nachbarn weg.“
Die Deutsch sprechende Bevölkerung wurde auch in Výškovice schnell durch eine aus verschiedenen ethnischen Gruppen zusammen gemischte Einwohnerschaft ersetzt, darunter Slowaken, Ungarn, Rumänen oder Tschechen von der Wolga. Als 1948 die Grenze von den kommunistischen Machthabern geschlossen und im Jahr 1960 eine Neustrukturierung des Kreises vorgenommen wurde, wirkte sich dies besonders negativ auf Výškovice und andere Nachbardörfer aus. Im Jahre 1965 lebten in dem isolierten Dörfchen nur noch zwölf Menschen. Den Grund für den langsamen Niedergang des Ortes sieht Richard Švandrlík vor allem darin, dass das zusammenhängende Gebiet mit dem Mittelpunkt des Prämonstratenser-Klosters Tepl von den Kommunisten bewusst auseinander gerissen wurde.
„Vor allem wurden die Verkehrsverbindungen zerstört. Das wurde recht drastisch durchgeführt und es ist kein Wunder, dass die Ortschaften bereits zur Zeit des Sozialismus sich schnell entvölkerten und so zum Beispiel im nahen Hostíčkov / Hetschigau nur 15 bis 20 Leute blieben. In Výškovice lebte nur noch bis zum Jahr 1970 jemand, dann war es aus, und im Jahr 1974 wurde die Gemeinde amtlich aufgelöst.“
Der unter Naturschutz gestellte große Lindenbaum, der in der Mitte des ehemaligen Dorfes Výškovice wächst, steht dort bereits seit Jahrhunderten. Er hat den Niedergang des Dorfes überlebt und ist dort der einzige noch lebendige Zeuge der Geschichte.
Fotos: Autorin