Villa Tugendhat: Ein künstlerisches Phänomen
Über das Bauwerk war in den letzten Jahren in mehreren Zusammenhängen die Rede: Anfang 2007 wollte es die Stadt Brünn zuerst den Nachkommen der ursprünglichen Besitzer zurückgeben, schließlich hat dies der Stadtrat jedoch abgelehnt. Die hinausgeschobene Renovierung des Hauses, das auf der Weltkulturerbeliste der Unesco steht, wurde noch vor kurzem in den Medien diskutiert. Die tugendhat Rede von der Villa Tugendhat, das bewunderte Werk von Mies van der Rohe, das heutzutage vom Brünner Stadtmuseum verwaltet wird. Über die Geschichte des Hauses sowie das Schicksal der Familie Tugendhat haben wir in den vergangenen Ausgaben der Sendereihe „Reiseland Tschechien“ berichtet. In den folgenden Minuten laden wir Sie zu einer Führung durch das Baudenkmal im Brünner Stadtteil Schwarzenfeld ein.
„Das Haus ist sehr klug auf ein System von insgesamt 29 Stahlpfeilern gestützt. Diese Methode hat Ludwig Mies van der Rohe auch beim Bau des Pavillons des Deutschen Werkbunds in Barcelona benutzt. Die Konstruktion ist in der oberen Eingangsetage nicht sichtbar. Denn sie ist Bestandteil der Trennwände. Sie öffnet den Raum in der Wohnetage, die unter der Straßenebene liegt.“
In der oberen Etage lagen die Schlafzimmer der Eltern und die Zimmer der Kinder. Das letzte Zimmer, das keinen Ausgang auf die Kinderterrasse hatte, bewohnte die Gouvernante Irene Kalkofen. Alle Zimmer sind sonst durch die Balkontür mit der Kinderterrasse verbunden. Diese hat eine Pergola aus Stahl, die früher mit wildem Wein bewachsen war, sodass sie auch in heißer Sommerzeit Schatten bot, sagt Iveta Černá:
„Historische Fotografien beweisen, dass die Terrasse damals wirklich von den Kindern genutzt wurde. Es gab dort sogar einen Sandkasten und ein kleines Schwimmbecken. Wir haben auch Fotos, auf denen die kleinen Söhne Tugendhats auf Dreirädern auf der Terrasse fahren.“
Geht man die die Treppe hinunter, kommt man von den privaten Räumen mit der Terrasse in den „offiziellen“ Teil der Villa Tugendhat. Der Wohnraum hier umfasst genau 223 Quadratmeter. Trotz der enorm großen Fläche macht er keinen Halleneindruck. Denn er besteht aus vier selbständigen Einheiten, sagt die Architektin, die auf die ursprüngliche wertvolle Einrichtung aufmerksam macht:„Gleich hinter dem Eingang sieht man eine Möbelgarnitur, die aus einem runden Glastisch und vier so genannten Brno-Stühlen besteht. Hinter der Musikecke kann man ins Arbeitszimmer von Herrn Tugendhat reinschauen, wo ein Tisch aus Makassar-Holz steht. Auch der Bücherschrank ist aus Makassar-Holz und in der Ecke befindet sich ein kleiner Bridgetisch mit drei so genannten ´Brno-Stühlen´. Eine weitere Sitzmöbelgarnitur, die noch von Mies van der Rohe in Zusammenarbeit mit Lilly Reich entworfen wurde, besteht aus Stühlen, die MR20 oder Stuttgarter Stühle genannt wurden, weiter aus Stühlen Tugendhat und Barcelona. Alles ist in Naturfarben ausgeführt – benutzt wurden ockergelbe, grünliche und braune Töne. Dominierend ist hier der rote Akzent des Frühlingsstuhls – des spring chair – im Wintergarten.“
An der Villa ist zu sehen, dass die Tugendhats das Grün liebten und dass die Verbindung des Exterieurs mit dem Interieur für sie bedeutend war. Architektin Černá:„Wir wissen, dass Tugendhats auch im Spätherbst noch bei offenen Fenstern saßen. Eine der Fenstertafeln misst 5,5 mal 3 Meter, das ist ein unglaubliches Format. Um den Wintergarten kümmerte sich Herr Tugendhat selbst, der exotische Blumen züchtete. Wenn er an seinem Arbeitstisch saß, konnte er im Winter durch Orchideen und Kamelien im Wintergarten den schneebedeckten Abhang beobachten.“
Die Villa Tugendhat ist nicht nur ein künstlerisches Phänomen, was die Raumgestaltung und die Lichtführung betrifft, sondern sie ist auch eine technische Sehenswürdigkeit, was jedoch nicht auf den ersten Blick zu erkennen ist. Den Experten zufolge war das Haus in seiner Zeit aus technischer Sicht weltweit einzigartig.
„Die Villa Tugendhat war das erste Familienhaus, in dem eine selbständige Klimaanlage benutzt wurde. Diese ist bis heute im authentischen Zustand im Souterrain erhalten geblieben und ermöglicht, die Luft anzusaugen, zu mischen und zu reinigen. Die Luft wurde durch eine Kammer mit Seesteinen getrieben, sodass sie schließlich nach Meeressalz duftete.“
„Ein Stahlhaus ist es“, kann man manchmal über Villa Tugendhat lesen. Diese Behauptung stimmt, denn sowohl die Konstruktion, als auch alle Fenster- und Türrahmen sind aus Stahl. Auf der Eingangsebene wurde das Haus 1930 durch einen Lichtschranken geschützt, erzählt die Architektin:„Diese Einzigartigkeit spiegelte sich dann wahrscheinlich auch im Preis der Villa wider, den wir jedoch nicht genau kennen. Wir wissen aber, dass der Architekt von seinen Klienten nicht beschränkt wurde. Er hat so zu sagen freie Hand gehabt und konnte das Haus ganz nach seinen ästhetischen und technischen Vorstellungen bauen. Das Ehepaar Tugendhat hat sich ursprünglich eine kleinere Villa vorgestellt. Der endgültige Entwurf von Mies van der Rohe ging jedoch von der Lage des Grundstücks aus. Denn von der Terrasse sowie aus dem Wohnraum bietet sich ein exklusiver Blick auf den historischen Stadtkern von Brünn, wo die wichtigsten Dominanten der Stadt zu sehen sind, von der St. Peter-Kathedrale bis zur Burg Špilberk.“
Führungen in der Villa Tugendhat finden von Mittwoch bis Sonntag von 10 bis 18 Uhr statt. Mehr erfahren Sie unter www.tugendhat-villa.cz