Visionen für die Entwicklung der Tschechischen Republik bis zum Jahr 2015
Uvidime - auf deutsch etwa: muss man mal sehen - so lautet ein beliebter Ausspruch in Tschechien, der sich als Reaktion auf die unterschiedlichsten Situationen anbietet. Dass die abwartend-passive Haltung, die sich darin widerspiegelt, nicht nur im privaten Alltag vieler Tschechen zum Tragen kommt, sondern auch dann, wenn es um die Zukunft ihres Landes geht, dieser Tendenz möchte eine jüngst erschienene Studie entgegenwirken. Unter dem verheißungsvollen Titel "Visionen für die Entwicklung der Tschechischen Republik bis zum Jahr 2015" verbergen sich drei mögliche Szenarien, mit denen die Autoren eine breite öffentlichen Diskussion über die Zukunft des Landes zu entfachen hoffen. Als neue Plattform für den gesellschaftlichen Dialog über die eigene Identität - allerdings in einem weiteren, mitteleuropäischen Kontext - versteht sich auch die Vierteljahresschrift "Kafka", deren erste Ausgabe vergangenen Monat im Prager Goethe-Institut vorgestellt wurde. Zu beiden Publikationen und ihrer Resonanz bei der Bevölkerung erfahren Sie mehr im heutigen Themenkaleidoskop, zu dem Sie am Mikrofon Silja Schultheis begrüßt.
Das Buch "Visionen für die Entwicklung der Tschechischen Republik" stammt von einem Autorenteam des "Zentrums für soziale und ökonomische Strategien", das im letzten Jahr an der Prager Karls-Universität gegründet wurde. Über die Motivation, sich mit möglichen Zukunftsszenarien zu beschäftigen, äußerte Prof. Martin Potucek, Leiter des Zentrums und Mitautor des Buches:
"Die Hauptinspiration war wahrscheinlich das Gefühl, dass die Tschechische Republik solche Visionen wirklich braucht. Das ist die Voraussetzung dafür, dass die Menschen, die hier leben, die Repräsentanten verschiedener Institutionen des öffentlichen, politischen, wirtschaftlichen Lebens sich besser in den Gefahren der Zukunft orientieren können "
Die Szenarien, die in den "Visionen" skizziert werden, stellen eine jeweils andere Kombination der drei Faktoren Markt, Staat und Bürgergesellschaft dar, die darüber hinaus in Beziehung zu europäischen und weltweiten Entwicklungstrends gesetzt werden. Im einzelnen sehen die Szenarien so aus:
"Im ersten Szenario wird die Europäische Union - der wir dieser Variante zufolge beitreten werden - nur eine Art Vermittler sein für den Einfluss des globalen Marktes und seines Übergreifens auf die Tschechische Republik. Nach dem zweiten Szenario, das wir 'institutionelle Anpassung' genannt haben, kommt es zu einem gewissen Ausgleich und einem gleichmäßigen Wirken der drei Sektoren Staat, Markt und Bürgergesellschaft. Die Tschechische Republik nutzt hier die bewährten Institutionen der Europäischen Union und profitiert maximal von der Mitgliedschaft. Das dritte Szenario geht davon aus, dass es hier wieder - wie bereits wiederholt in der Vergangenheit - zu vielen Kleinkriegen kommen wird und die verantwortlichen Politiker nicht in der Lage sind, sich auf Prioritäten für dieses Land zu einigen."
Bemerkenswert an den vorgestellten "Visionen für die Entwicklung der Tschechischen Republik" ist die Tatsache, dass es sich dabei nicht nur - und auch nicht in erster Linie - um eine wissenschaftliche Studie handelt. Vielmehr wollen die Autoren ihren Text ausdrücklich als Aufforderung an die breite Öffentlichkeit verstanden wissen, gemeinsam über die Zukunft ihres Landes zu diskutieren. Dementsprechend handelt es sich bei den "Visionen", so Potucek, auch nicht um eine abgeschlossene Arbeit, sondern vielmehr um einen ersten Schritt auf einem weiten Weg. Denn welche Entwicklung letztlich tatsächlich eintrete, hänge maßgeblich von dem Engagement der gesellschaftlichen Kräfte im Lande ab. Zumindest mit den ersten Reaktionen der Öffentlichkeit, die im Rahmen einer Internet-Konferenz bereits die Möglichkeit nutzte, mit den Autoren in Dialog zu treten, zeigte sich Potucek durchaus zufrieden.