Vlasta Pruchova - Portrait der Grande Damme des tschechischen Jazz

Vlasta Pruchova (Foto: CTK)

Am 12. Juli steht in der tschechischen Musikszene ein Jubiläum an: An diesem Tag vor genau 80 Jahren wurde Vlasta Pruchova, oft auch die tschechische "Ella Fitzgerald" genannt, im slowakischen Ruzomberok geboren. Doch anstatt einer Geburtstagsfeier, die vorgesehen war, wird man sich an diesem Tag an die Jazzsängerin nur noch erinnern können: Nur wenige Wochen vor ihrem Lebensjubiläum ist sie kürzlich verstorben. In ihrer Lebensgeschichte widerspiegelt sich auch das Schicksal, das dem Jazz in unserem Land beschieden war. Ein kleines Portrait der Grande Dame des tschechischen Jazz möchte Ihnen Jitka Mladkova in der Sendereihe Panorama CZ anbieten.

Vlasta Pruchova  (Foto: CTK)
Dass man sie hierzulande Grande Dame oder auch First Lady des Jazz nennt, mag für viele einheimische Fans dieses Musikgenres als absolut selbstverständlich klingen. Die Position, die der Sängerin - wie schließlich auch aus der Logik dieses Attributs hervorgeht - ihr Leben lang gebührt hätte, war jedoch eine andere. Vlasta Pruchova hat sich von Beginn an nur und allein dem Jazz verschrieben. In ihrem Repertoire haben sich nur von Zeit zu Zeit ihre Präferenzen bei einzelnen Jazzgattungen gewechselt. Jazz nicht nur singen, sondern Jazz leben, das war ihre Devise.

Für Vlasta Pruchova war ohne Zweifel das Treffen mit ihrem künftigen Mann Jan Hammer im Jahr 1942 von ausschlaggebender Bedeutung. Aus dem slowakischen Trencin, wo sie mit ihren Eltern lebte - der Vater war Armeeoffizier und die Mutter, Absolventin des Wiener Konservatoriums, war Musiklehrerin - reiste die damals 16jährige Vlasta gemeinsam mit ihrer Schwester in das südmährische Zlin, wo Hammer mit einer Prager Jazzkapelle musizierte. Sechs Jahre später haben sie geheiratet, doch schon ein Jahr davor galt Pruchova als Jazzstar im Prager Musikcafe Pygmalion, wo sie mit der Jazzband "Rhythmus 47" auftrat.

Seit Februar 1948 hat sich die politische Lage im Lande und mit ihr auch die gesamte Atmosphäre in der Gesellschaft radikal verändert. Nach der kommunistischen Machtübernahme wurde der Jazz als dekadentes Musikgenre der westlichen Imperialisten eingestuft. Für Vlasta Pruchova bedeutete das eine mehrjährige Unterbrechung ihrer künstlerischen Karriere. Erst 1957 konnte sie sich wieder durchsetzen, nämlich mit "Einem ganz normalen gewöhnlichen Tag".

Das war ein Titel, mit dem Vlasta Pruchova den damals im Tschechoslowakischen Fernsehen laufenden Musikwettbewerb gewann. Mit diesem und einigen weiteren Titeln wurde sie erneut zum Star, diesmal aber landesweit.

Die 60er Jahre brachten in der Tschechoslowakei politisches Tauwetter mit sich. Das Land öffnete sich langsam der Welt, auch im Kulturbereich. 1965 kam Louis Armstrong nach Prag und Vlasta Pruchova konnte natürlich in seinem Konzert nicht fehlen. Sie habe, wie sie später erzählte, die ganze Zeit vor Glück geweint. Glücklich war aber vielleicht auch der famose Satchmo selber, als er von seiner Verehrerin zum Dinner bei ihr zu Hause eingeladen war. Sie kochte für ihn und das halbe Orchester Blumenkohlsuppe, Rinderbraten auf Gemüse und Reis als Beilage, als Dessert gab es Apfelstrudel. Den riesengroßen Blumenstrauß, den die Gastgeberin von Armstrong bekommen hatte, bewahrte sie bis zum Lebensende wie eine heilige Reliquie auf. Nur drei Jahre später haben sich aber die Zeiten schon wieder verändert. Das Land wurde von Warschauer Paktstaaten besetzt:

"Sehr geehrte Radiofreunde, falls Sie mich noch hören können, möchte ich Sie im Namen der Mitarbeiter des Rundfunks bitten, nichts zu tun, was ein unnötiges Blutvergießen auslösen könnte..."

Mit diesem Aufruf wandte sich der Tschechoslowakische Rundfunk wiederholt an die Öffentlichkeit nach dem Einmarsch der Sowjetpanzer im August 1968. In den dramatischen Tagen haben Vlasta Pruchova und ihr Mann die Entscheidung gefasst, sofort in die USA zu reisen. Schließlich ging es um einen geplanten Aufenthalt der ganzen Familie: Jan Hammer senior, der nicht nur hervorragender Jazzmusiker, sondern auch namhafter Kardiologe war, sollte ein Jahr in einer Washingtoner Klinik arbeiten. Der 20-jährige Sohn Jan Hammer, der sich gerade zu dem Zeitpunkt für einen Monat in München aufhielt, hatte ein Stipendium an der berühmten Berkeley School of Music in Boston erworben.

Jan Hammer
Wie Vlasta Pruchova 1999 im Tschechischen Rundfunk erzählte, habe sie damals für jeden - mit dabei war auch die minderjährige Tochter Andrea - nur je zwei Taschen eingepackt und alle drei fuhren mit dem Zug zunächst nach Österreich - mit einem flauen Gefühl um den Magen und in der Hoffnung, dass die Russen sie nicht an der Ausreise hindern werden!

"Wir hatten zwar das Visum, auf unseren Zollerklärungen fehlten jedoch Stempelmarken, die konnte man dort aber nicht kaufen, außerdem hatten wir wenig Geld,"

erinnerte sich später Vlasta Pruchova. Der tschechische Grenzbeamte machte aber eine tolle Geste: Auf das Formular schrieb er: Bezahlen bei der Rückkehr!

Nach dem Auslaufen ihres für ein Jahr anberaumten Visums kehrte die Familie in der Tat aus den USA zurück, jedoch ohne den Sohn Jan, den später international geschätzten Jazzmusiker, Filmmusikkomponisten und Grammy-Preisträger. Er wurde zum Emigranten erklärt und das hatte ernsthafte Konsequenzen für seine Angehörigen. Vlasta Pruchova durfte zwar singen, aber nur in kleinen Jazzklubs, im Funk- und Fernsehen waren alle Türen für sie verschlossen. Ihr Mann, der nach britischem Vorbild die hierzulande erste auf Herz- und Kreislaufkrankheiten spezialisierte Station in Prag gegründet hatte, durfte nicht mehr in führenden Positionen arbeiten. Büßen musste aber auch die hoch talentierte Tochter Andrea. Trotz dreifachen Erfolgs bei der Aufnahmeprüfung am Prager Konservatorium wurde sie nie zugelassen, brach zusammen und musste auch in Zukunft wiederholt in eine psychiatrische Klinik eingewiesen werden.

Auf die Frage, ob sie und ihr Mann während des USA-Aufenthaltes nicht an die Emigration gedacht hätten, antwortete die Jazzerin vor einigen Jahren im Tschechischen Rundfunk:

"Nein, wir drei nicht", sagte sie. Sie seien alle drei völlig ungeeignet für eine Emigration gewesen, da sie ihr Zuhause und ihr Land liebten. Außerdem:

"Den Jazz muss doch auch jemand machen! Wie soll es enden, wenn alle flüchten?!"

Der nächste und letzte große Umbruch im Leben der Sängerin mit einem nach Meinung von Experten hervorragenden Jazzfeeling kam mit dem Wendejahr 1989. Ihr Mann ist im selben Jahr gestorben, aber Vlasta Pruchova, damals schon 64 Jahre alt, konnte endlich frei nach Belieben singen. Noch mit 77 Jahren gab sie bis zu zehn Konzerten pro Monat, vor ausverkauften Häusern wohl gemerkt. Im Jahr 2003 nahm sie aus den Händen des Präsidenten Vaclav Klaus die Ehrenmedaille "Für Verdienste" II. Ranges entgegen.

Anfang Mai, ungefähr einen Monat vor ihrem Todestag, ist die neueste CD von Vlasta Pruchova erschienen. Der Titel "Am Anfang war der Blues" deutet an, dass die CD einen Rückblick auf die fast 60 Jahre lange künstlerische Laufbahn anbietet, die voller Höhen und Tiefen war. Vlasta Pruchova ist am 16. Juni 2006 nach einer langen schweren Krankheit gestorben. Es war kein normaler gewöhnlicher Tag!