Vogelschutz vs. moderne Landwirtschaft: Tschechische Experten fordern mehr Nistplätze und weniger Pestizide
Die intensive Landwirtschaft ist mit schuld am Vogelsterben – dies ist schon länger bekannt. Aber nicht nur das: Auch moderne Bauernhöfe bieten Piepmätzen deutlich weniger Möglichkeiten zum Nisten. Zu diesem Ergebnis sind Biologen der tschechischen Akademie der Wissenschaften gekommen. Experten und Naturschützer fordern deswegen Veränderungen – sowohl auf den Höfen, als auch in der agrarischen Kulturlandschaft.
Mehlschwalben sind eigentlich häufig auf Bauernhöfen zu finden. Oder leider muss man sagen: Sie waren es. Dasselbe gilt für Lerchen oder etwa Käuze. Gerade Höfe mit Ställen für Nutztiere boten früher immer Rückzugsmöglichkeiten auch für Vögel. Doch das ist in modernen landwirtschaftlichen Betrieben nicht mehr der Fall. Der Biologe Martin Šálek von der tschechischen Akademie der Wissenschaften hat die Entwicklung nun untersucht. Die Ergebnisse hat er im „Journal of Applied Ecology“ (Journal für angewandte Ökologie) veröffentlicht. Demnach liegt der Vogelbestand auf heutigen hocheffizienten Bauernhöfen nur noch bei einem Drittel dessen, was früher normal war. In den Inlandssendungen des Tschechischen Rundfunks erläuterte Šálek:
„Dieser Trend hat sich auch bei der Zahl der Nistplätze gezeigt. So haben wir in den modernisierten landwirtschaftlichen Betrieben zum Beispiel nur ein Zehntel der Schwalbennester vorgefunden im Vergleich zu älteren Bauernhöfen.“
Das Hauptproblem: Es fehlt an Winkeln und natürlichen Baustoffen. Moderne Farmen hätten eine ganze Reihe von Bauelementen, die Vögel nicht mögen, sagt Šálek.
„Auf der einen Seite haben sie halboffene Ställe mit aufrollbaren Seitenwänden, auf der anderen Seite fehlen komplett die Dachböden. Nicht zuletzt bestehen die Gebäude aus Stahl oder Holz ohne Spalten und Löcher, in denen Vögel nisten könnten. Und weil die Materialen zu glatt sind, werden auch jene Schwalbenarten behindert, die ihre Nester ankleben“, so der Experte vom Institut für die Biologie von Wirbeltieren an der Akademie der Wissenschaften.
Hinzukommen eine ganze Reihe an modernen technischen Elementen, die zwar den Betrieb im Stall erleichtern, aber das Nahrungsmittelangebot für die Vögel einschränken:
„Streulose Stallboxen, Bodenroste und mechanische Entsorgungssysteme, bei denen die Gülle in abgeschlossenen Gruben landet. All dies verringert das Substrat für die Entwicklung von Insekten. Die sind aber für die meisten Vögel die Hauptnahrung während der Brutzeit.“
Erholung in den 1990er Jahren
Übermodernisierte Bauernhöfe sind allerdings nur ein Teil eines größeren Problems: dem enormen Wandel in der Kulturlandschaft Mitteleuropas in den vergangenen 80 Jahren. So gibt es heute vielerorts in Tschechien große Felder ohne einen einzigen Baum oder Strauch, und auch der Einsatz von Pestiziden hat zugenommen.
Die Tschechische Ornithologische Gesellschaft (ČSO) hat deswegen errechnet, inwieweit der Bestand an Wiesenvögeln hierzulande abgenommen hat. Seit 1982 führen die Naturschützer jedes Jahr Vogelzählungen durch. Von daher verfügen sie über Daten aus 40 Jahren. Anhand von 20 Vogelarten kommen die Ornithologen zu dem Schluss, dass die Zahl der Wiesenvögel seitdem um über 30 Prozent gesunken ist. Alena Klvaňová ist Mitarbeiterin der Ornithologischen Gesellschaft und Chefredakteurin der Fachzeitschrift „Patčí svět“ (Vogelwelt):
„Wirklich alarmierend ist, dass auch früher gängige Arten verschwinden. Das sind zum Beispiel Feldlerchen oder Ammern, von denen es immer viele gab. Und sie werden auffallend weniger.“
Dabei war die Entwicklung in Tschechien gar nicht so linear. Nach der politischen Wende von 1989 stoppte nämlich für eine Weile der negative Trend. Václav Zámečník ist bei der Ornithologischen Gesellschaft der Experte für Wiesenvögel und erläuterte gegenüber Radio Prag International:
„In den 1990er Jahren veränderte sich die Struktur der Landwirtschaft, nachdem das vorherige kommunistische System der Bewirtschaftung beendet wurde. Die Bauern begannen, privatwirtschaftliche Betriebe aufzubauen. Auf diese Weise wurde die Kulturlandschaft für eine gewisse Zeit wieder bunter, weil die privaten Landwirte erst einmal in kleinerem Umfang anbauten. Weitere Flächen wuchsen einfach zu, weil niemand die dazugehörigen Betriebe übernahm. Und es wurde nicht mehr so viel Chemie verwendet, weil auch das Geld dafür fehlte. Dadurch stieg das Nahrungsmittelangebot recht schnell wieder an. Das heißt, für eine bestimmte Zeit entstand ein günstiges Umfeld für Vögel, und ihre Bestände begannen sich zu erholen.“
Mit dem tschechischen Beitritt zur Europäischen Union im Jahr 2004 drehte sich aber die Entwicklung wieder in die andere Richtung. Zámečník zählt dabei mehrere Gründe für den massiven Rückgang des Vogelbestands auf. Als Erstes nennt er die Struktur der Landschaft in Tschechien, die immer mehr an Vielfalt verloren habe.
„Eine bunte Landschaft bedeutet, dass die Vögel unterschiedliche Möglichkeiten zum Nisten finden. Jede Art hat ihre speziellen Bedürfnisse. Manche brüten am Boden, suchen dabei aber Deckung, andere brüten ebenfalls am Boden, wollen aber freie Sicht. Wieder andere nisten im Gebüsch, und weitere brauchen Wasser in der Nähe“, so Zámečník.
Als Problem bezeichnet der Ornithologe zudem, dass seit den 1970er Jahren viele Feuchtgebiete trockengelegt wurden. Schwerwiegende Folgen hat zudem der Einsatz von Chemie – entweder wird damit auch das Nahrungsangebot wie etwa Insekten getötet, oder die Vögel verenden unmittelbar wegen der Aufnahme giftiger Stoffe. Und nicht zuletzt wirken sich die zunehmende Versiegelung der Landschaft sowie der Klimawandel negativ aus. Deswegen fordert Václav Zámečník:
„Die Landschaft muss entweder auf natürliche oder auf künstliche Weise wieder bunter werden. Wo es geht, sollte auch revitalisiert werden. Aus Klimaschutzgründen gibt es ja schon Bemühungen, mehr Feuchtflächen zu schaffen. Tümpel und naturnahe Wasserläufe helfen den Vögeln ebenso, weil dadurch mehr Nistmöglichkeiten entstehen. Wenn man allgemein die Landschaft widerstandsfähiger gegen den Klimawandel macht, hat dies einen positiven Effekt für den Tierbestand. Bei der Frage nach der Bewirtschaftung gibt es in Tschechien mittlerweile einige Beispiele von Bauernhöfen, die auf eine abwechslungsreichere Landschaft setzen. Das Monitoring dort zeigt, dass die Vögel darauf mit wachsenden Zahlen reagieren. Prinzipiell wissen wir also, was in der Kulturlandschaft verändert werden muss. Das Problem ist aber, dass der allgemeine Trend und der wirtschaftliche Druck auf die Landwirte den Forderungen der Naturschützer entgegenstehen.“
Und so konnte das Vogelsterben bisher nicht gestoppt werden, obwohl es auch eine ganze Reihe an bezuschussten Fachprogrammen gibt, um bedrohte Tierarten zu retten. Laut dem Bund der Landwirte in Tschechien sind mehrere Hundert Bauern hierzulande in solche Programme eingebunden.
Hoffnung auf neue EU-Agrarpolitik
Gewisse Hoffnungen knüpfen die Ornithologen an die neue sogenannte Gemeinsame Agrarpolitik der Europäischen Union, die mittlerweile in Kraft getreten ist, sowie an den Entwurf für ein neues EU-Gesetz zur Wiederherstellung der Natur (Nature Restoration Law). Alena Klvaňová:
„In das Gesetz wurde auch unser Index der Wiesenvögel eingefügt, um den Zustand der Natur in Europa zu bewerten. Damit entsteht wiederum Druck auf die Landwirtschaft, damit diese umweltschonender ist und dort nicht so viele Pestizide eingesetzt werden.“
Ob dies aber wirklich einen Effekt haben werde, ließe sich zu diesem Zeitpunkt noch nicht beantworten, ergänzt Václav Zámečník.
Aufgrund der europäischen Vorgaben hat die tschechische Regierung bereits das System der Agrarförderung überarbeitet. Das Ziel ist, kleinere Farmen sowie die ökologische Bewirtschaftung zu unterstützen und nicht mehr wie früher vor allem landwirtschaftliche Großbetriebe.
„Das Landwirtschaftsministerium finalisiert gerade die neuen Bedingungen für die Agrarförderung, und wir hoffen, dass sich dies auch auf die Gestalt der Landschaft auswirkt. Wir bemühen uns, mit den Bauern über das Thema zu reden und ihnen die Lösungsmöglichkeiten aus unserer Sicht aufzuzeigen. Denn sie dürften vor allem ökonomische Fragen im Blick haben, und wir versuchen die ökologischen Aspekte hinzuzufügen. Wir sind selbst gespannt, was sich vielleicht in einem Jahr ergeben haben wird – ob es dann zu landschaftlichen Veränderungen gekommen ist“, so Zámečník..
Im Übrigen werden die Bauern auch bei der Modernisierung ihrer Höfe finanziell unterstützt – aber leider ebenso auf jene Weise, wie sie der Biologe Šálek von der Akademie der Wissenschaften in seiner Studie beklagt. Wobei dem Wissenschaftler zugleich klar ist, dass die Landwirte ihre Betriebe für die Konkurrenz auf dem europäischen Markt rüsten müssen.
Immerhin lässt sich auf den modernen Bauernhöfen aber viel schneller als in der Kulturlandschaft etwas verändern. Wie Šálek betont, würden bereits einige wenige Umbauten den Vögeln beim Nisten helfen:
„Dazu gehört das Aufhängen von unterschiedlichen Typen an Nisthilfen, in denen sich Höhlenbrüter wohlfühlen. Für Schwalben, die in Brutkolonien leben, wie etwa die Mehlschwalbe, kann man Nistkörbe aufhängen oder Niststangen aufstellen.“
Eine weitere Hilfe könnte sein, Platten mit rauer Oberfläche an den Fassaden anzubringen, sodass Schwalbennester haften bleiben.