Von der Botschaft in den PEN-Club, vom Außenministerium in die Botschaft: Tschechische Wachablöse in Wien

Rudolf Jindrak

Sechs Jahre lang war der Schriftsteller Jiri Grusa tschechischer Botschafter in Österreich gewesen. Im November 2003 wurde er nun zum Präsidenten des internationalen PEN-Clubs gewählt, unter dessen Dach Autorinnen und Autoren aus der ganzen Welt versammelt sind. Grusa, der zuvor auch Botschafter in Deutschland war, wendet sich damit auch offiziell wieder seiner alten Profession zu. Sein Nachfolger an der diplomatischen Vertretung in Wien ist Rudolf Jindrak, der bisherige stellvertretende Außenminister der Tschechischen Republik. Zwei unterschiedliche Persönlichkeiten in unterschiedlichen Phasen der bilateralen Beziehungen? Zum Botschafterwechsel in Wien hören Sie den nun folgenden "Schauplatz" von Gerald Schubert:

Jiri Grusa  (Foto: CTK)
Der Neue, Rudolf Jindrak, ein klassischer Karrierediplomat? Der Alte, Jiri Grusa, ein Schriftsteller aus dem Intellektuellenkreis rund um Vaclav Havel, der wie dieser von der demokratischen Wende des Jahres 1989 gleichsam in die Politik gespült wurde? Ganz so einfach ist es nicht. Denn die beiden tschechischen Botschafter in Wien, also der ehemalige und der designierte, arbeiten nun bereits seit fast fünfzehn Jahren auf diplomatischem Parkett zusammen. Und beide haben sich vor allem in der Entwicklung der tschechisch-deutschen respektive der tschechisch-österreichischen Beziehungen einen Namen gemacht. Grusa zunächst als Botschafter in Deutschland und dann eben in Österreich, Jindrak als ehemaliger Honorarkonsul in München, stellvertretender Außenminister und Mitautor der Deutsch-tschechischen Erklärung des Jahres 1997.

Wie beurteilt Jiri Grusa, nun bereits Präsident des internationalen PEN-Clubs, die zurückliegenden sechs Jahre, die er als Botschafter in Wien verbracht hat?

"Diese Zeit ist mir sehr lieb, ich bereue sie keinesfalls. Ab und zu war es aber auch eine harte Zeit. Denn ich bin mit einem persönlichen, klaren Konzept hier aufgetaucht. Und das lautete: Wir machen es endlich mal anders als im Zeitalter der Nationen, oder im Zeitalter des Haders der Nationen. Ich hatte etwas anderes anzubieten und wollte das Bild über den 'typischen Tschechen' hier stören. Manchmal war das zu Hause sogar wesentlich schwieriger zu verkaufen als in Österreich. Ich meine aber, dass wir heutzutage, nach all diesen Komplikationen, bereit sind, andere Methoden der Gegenseitigkeit zu entwickeln. Methoden, die darauf basieren, die gegenseitige Hybris, den falschen Stolz endlich nicht so provokativ reden zu lassen."


Mit Rudolf Jindrak, dem künftigen Botschafter in Wien, kommt nun nicht nur ein neuer Mann in die österreichische Hauptstadt, sondern auch das politische Umfeld ändert sich beinahe gleichzeitig: Der EU-Beitritt der Tschechischen Republik am ersten Mai stellt auch für Jindrak eine entscheidende Zäsur in seiner Biographie dar:

"Das ist wirklich eine neue Situation. Nicht nur ganz allgemein für die Bevölkerung oder die Staatsverwaltung, sondern auch für mich persönlich. Denn der EU-Beitritt, respektive die EU-Mitgliedschaft, ist für meine Generation - ich bin jetzt vierzig - wirklich eine Beendigung dieses Prozesses der Rückkehr nach Europa."

Und was ändert sich durch den EU-Beitritt für den diplomatischen Dienst? Rudolf Jindrak:

"Wir werden unter neuen Bedingungen arbeiten. Die EU-Mitgliedschaft bietet viele große Möglichkeiten für eine ganz konkrete Zusammenarbeit auf verschiedenen Ebenen - von der gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik bis hin zur wirtschaftlichen Zusammenarbeit. Österreich ist ja der drittgrößte Handelspartner der Tschechischen Republik. Und ich bin wirklich überzeugt, dass die gemeinsame Mitgliedschaft in der Europäischen Union weitere Möglichkeiten für eine noch engere Zusammenarbeit mit unseren österreichischen und deutschen Nachbarn und auch mit anderen EU-Mitgliedern bietet."


Foto: Europäische Komission
Die tschechisch-österreichischen Beziehungen haben durch die geographische Nähe und auch durch die historisch eng miteinander verwobenen Verhältnisse seit jeher eine besondere Bedeutung. Nach der Wende des Jahres 1989 wurde Wien für viele Tschechen auch zur ganz praktischen Verkörperung der neu gewonnenen Reisefreiheit - darunter auch für Rudolf Jindrak:

"Ich war zum ersten Mal im Dezember 1989 im westlichen Ausland. Das war damals wirklich die erste Möglichkeit für Tschechen, frei in den Westen zu reisen. Und wohin ich fahren würde, das war gar keine Frage: Nach Wien!"

Inzwischen hat Jindrak auch als Botschafter in Budapest und als Honorarkonsul in München gearbeitet. Zu Wien hegt er dennoch eine besondere Beziehung:

"Wien war die einzige Stadt in der Welt, in der ich mich vom ersten Tag an wie zu Hause gefühlt habe. Ich sehe fast keinen Unterschied zwischen Prag und Wien. Das betrifft nicht nur die Architektur, sondern auch die Atmosphäre, die Kultur überhaupt."

Obwohl diese kulturelle Nähe zwischen Prag und Wien bzw. zwischen Tschechien und Österreich immer wieder betont wird, so gibt es dennoch - oder vielleicht gerade deshalb - immer wieder Probleme und Verständnislosigkeit zwischen beiden Ländern. Die Auseinandersetzungen rund um die so genannten Benes-Dekrete oder das südböhmische Kernkraftwerk Temelin sind die jüngsten Beispiele für eine oft belastete Beziehung. Glaubt der zukünftige tschechische Botschafter daran, den Österreichern etwa die tschechische Haltung zu Temelin näher bringen zu können?

"Das wird eine sehr schwierige Aufgabe, und ich werde unsere österreichischen Freunde nicht hundertprozentig überzeugen können. Österreich hat sich ja in einem Referendum gegen die Kernenergie entschieden. Die tschechische Regierung hat kürzlich für eine staatliche Energiekonzeption gestimmt, in der auch die Option der Kernkraft enthalten ist. Das ist natürlich eine selbstständige Entscheidung. Aber ich denke, wir müssen auch mit unseren Nachbarn darüber reden und einen Kompromiss finden."


Die Deutsch-tschechische Erklärung des Jahres 1997, in der die gegenseitigen Beziehungen im Hinblick auf Vergangenheit und Zukunft einer kritischen und offenen Bestandsaufnahme unterzogen worden waren, diese Erklärung stammt unter anderem aus der Feder von Rudolf Jindrak. Ein ähnliches Dokument auch für die tschechisch-österreichischen Beziehungen zu erarbeiten, hält Jindrak nicht für realistisch. Und auch nicht für notwendig. Die Voraussetzungen im Verhältnis zu Deutschland seien andere gewesen, und außerdem habe der tschechische Premier Vladimir Spidla bereits öffentlich betont, dass die Erklärung sinngemäß auch auf Österreich anwendbar sei. Worin bestehen also die Prioritäten, die Jindrak nun für sein Amt als Botschafter sieht?

"Eine Priorität ist die Zusammenarbeit auf Nicht-Regierungsebene. Also etwa Partnerschaften zwischen Städten, Vereinen, etc. Auf dieser Bürgerebene sehe ich wirklich sehr viele Möglichkeiten."

Und noch etwas ist Jindrak sehr wichtig, wie er sagt: Die tschechische Minderheit in Österreich, und besonders in Wien. Wir lassen noch einmal Jindraks Amtsvorgänger Jiri Grusa zu Wort kommen, der in den Beziehungen zwischen der deutschsprachigen Bevölkerung Wiens und der tschechischen Minderheit einen ähnlichen Wandel zum Positiven sieht, wie in den bilateralen Beziehungen überhaupt:

"Mit der Öffnung und mit dem Zusammenbruch des Kommunismus wird diese ganze Vernetzung immer mehr sichtbar und verwandelt sich in etwas sehr Positives. Also sie leuchtet wieder auf und zeigt sich als kulturell und wirtschaftlich sehr zukunftsträchtig."

Übrigens: In die Fußstapfen Grusas auf seinem Lebensweg vom Schriftsteller zum Diplomaten kann Jindrak ja nicht mehr treten. Doch wer weiß, wozu Jindrak seine Lebenserfahrung als Diplomat noch führen wird?

"Ich denke, das wird bei mir vielleicht umgekehrt sein: Ich fange als Botschafter, als Diplomat an - und werde vielleicht als Schriftsteller enden."


Das gesamte Gespräch mit Rudolf Jindrak, dem designierten tschechischen Botschafter in Wien, hören Sie am Montag in unserer Sendereihe "Heute am Mikrophon".