Vor 90 Jahren: Großartiges Spiel deutscher und sudetendeutscher Arbeiterfußballer in München

Foto: Archiv der Seliger-Gemeinde

Am vergangenen Freitag wurde in Prag das Fußball-WM-Qualifikationsspiel zwischen Tschechien und Deutschland ausgetragen. Mannschaften beider Länder haben in den vergangenen knapp 100 Jahren mehrfach gegeneinander gespielt – auch zwischen den Weltkriegen, als es noch die Tschechoslowakei gab.

Thomas Oellermann  (Foto: Archiv Collegium Bohemicum)
Deutschland gegen Tschechien bzw. früher Deutschland gegen die Tschechoslowakei im Fußball – da waren schon einige ganz wichtige und tolle Vergleiche dabei. Es sei nur erinnert an das EM-Finale 1976 in Belgrad, oder an das EM-Endspiel, das 20 Jahre später im Londoner Wembley-Stadion ausgetragen wurde. In einer Zeit aber, in der die Professionalisierung und vor allem der finanzielle Aspekt nicht so ausgeprägt war wie heute, wurden Ländervergleiche auch noch nach einer Art sozialer Einstufung ausgetragen. Das heißt, es gab Länderspiele für bürgerliche Mannschaften, die man aus heutiger Sicht vielleicht als Halbprofis bezeichnen würde. Oder aber Länderspiele für Arbeitersportler, also Teams, die eher den Amateurstatus genossen. Und über ein solches Länderspiel wollen wir heute aus aktuellem Anlass berichten: Die Rede ist von dem Fußball-Länderkampf Deutschland – Tschechoslowakei am 4. September 1927 in München, also vor 90 Jahren. Darüber haben wir mit dem Historiker Thomas Oellermann, gesprochen.

Herr Oellermann, wie kam dieser Vergleich damals zustande? Und kann man sagen: Schon weil das Spiel damals als Wettkampf bezeichnet wurde, war es in erster Linie ein sportlicher Wettstreit?

„Bei diesem Länderwettkampf handelte es sich um ein Arbeiterländerspiel. Das heißt, es trafen de facto die Verbandsmannschaften zweier Arbeitersportverbände aufeinander. Noch einmal kurz zur Einleitung dazu: In den 1880er Jahren bildete sich eine eigene Arbeiterturnbewegung, parallel oder auch in Konkurrenz zum bürgerlichen Turnen, was wir unter dem Namen Friedrich-Ludwig Jahn kennen, also nach dem Motto: frisch fromm fröhlich frei. Die Arbeiterturnvereine haben sich immer mehr organisiert und dazu weitere Sportarten herausgebildet. Fußball war eine davon. Der Fußball etablierte sich zu der Jahrhundertwende also auch in der Arbeitersportbewegung und gewann ständig an Bedeutung. Immer mehr Arbeiter spielten diesen neuen ´britischen´ Sport in ihren Turnvereinen. Nach dem Ersten Weltkrieg hatte sich das dann soweit verfestigt, dass es zwischen den unterschiedlichen Arbeitersportverbänden Länderspiele innerhalb Europas gab. Das heißt also Paarungen der jeweiligen Verbandsmannschaften.“

Quelle: Bibliothek der Friedrich-Ebert-Stiftung
Wie setzten sich die damaligen Teams zusammen? Und wie stark waren die Arbeitervereine bzw. die jeweiligen Arbeiterverbände? Aus wie vielen Mitgliedern (Spielern) konnten sie ihr Aufgebot rekrutieren?

„Die Begegnung Deutschland gegen die Tschechoslowakei war eigentlich eine Paarung wie David gegen Goliath. Denn der Arbeitersport im Deutschen Reich war eine riesige Organisation, verfasst im Arbeiter-Turn- und Sportbund (ATSB). Diese Organisation hatte mit allen ihren örtlichen Arbeiterturnvereinen zeitweilig über eine Millionen Mitglieder. Umso kleiner war dagegen der deutsche Arbeitersport in den Böhmischen Ländern, also später in der Tschechoslowakei. Dort hatte der Sudetendeutsche Arbeiter-Turn- und Sportverband (ATUS) nie mehr als 100.000 Mitglieder. Die exakte Zahl bewegte sich eher im Bereich von 70.000 bis 80.000 Mitgliedern. Entsprechend groß beziehungsweise klein war dann natürlich auch das Reservoir an Fußballspielern in den jeweiligen Verbänden. Umso erstaunlicher ist, dass es auch im ATUS recht erfolgreiche Mannschaften gab. Konkret zum ATUS kann man sagen, dass es neben den Hochburgen der Sozialdemokratie auch Hochburgen des Arbeitersports gab. Diese waren zugleich auch die Hochburgen des Arbeiterfußballs. Darunter zählt zum Beispiel der Ort Bodenbach, das heutige Děčín-Podmokly. Vor allem zu nennen ist aber der heutige Teplitzer Stadtteil Novosedlice, damals Weißkirchlitz. Das dortige Team hieß Gleichheit Weißkirchlitz, und es zählte zu den stärksten Arbeitermannschaften Europas.“

Blatt „Freier Sport“ (15.9.1927): „Nach Aussagen bürgerlicher Zuschauer war das Spiel auch seit Jahren das beste, was in München im Fußball geboten wurde. Und München ist in dieser Beziehung durch seine bürgerlichen Vereine verwöhnt. Es wurde also eine großartige Propaganda geleistet, deren Wirkung hoffentlich für den dortigen Arbeitersport nicht ausbleibt.“

Wie ist die Begegnung damals ausgegangen? War das Spiel Teil eines Wettbewerbs oder nur eben ein sportlicher Vergleich? Und: Wer hat die Partie gepfiffen? War es ein Deutscher, ein Tschechoslowake oder ein Ausländer?

„Ein Wiener hat die Partie gepfiffen. Dass die Partie von einem Österreicher gepfiffen wird, war ganz logisch, denn es spielte sich alles in einem räumlichen Dreieck ab: Das war Deutschland, die deutschsprachigen Gebiete in der Tschechoslowakei und Wien. Hier wurde ein ständiger und sehr guter Kontakt untereinander gepflegt. Die Partie selbst würde man aus heutiger Sicht als ein Freundschaftsspiel einstufen. Das hat aber nicht zu bedeuten, dass die Spieler seinerzeit nur mit halber Kraft in das Duell gegangen wären. Beide Mannschaften haben wirklich versucht, dieses Spiel zu gewinnen. Damals herrschte noch eine ganz andere Vorstellung von Sport und Wettbewerb als heute. Jedes Spiel wurde mit dem nötigen Eifer durchgeführt. Wir kennen Freundschaftsspiele heutzutage so, dass die Spieler oft nur mit einer Einsatzbereitschaft von 30 Prozent zu Werke gehen. Das hat es damals nicht gegeben. Von daher war dieses Länderspiel vom 4. September 1927 formell zwar ein Freundschaftsspiel, also kein Teil eines größeren Wettbewerbs, aber es wurde durchaus mit dem nötigen Eifer gespielt. Überraschenderweise gewann die Tschechoslowakei das Spiel. Denn in den meisten Begegnungen zwischen Arbeiterteams aus Deutschland und Arbeiterteams aus den Gebieten der deutschsprachigen Tschechoslowakei siegten die reichsdeutschen Teams. Das lag vor allem daran, weil Deutschland einfach viel mehr Spieler zur Verfügung standen.“

Quelle: Bibliothek der Friedrich-Ebert-Stiftung
Das genaue Ergebnis: Wie ging es aus?

„Das Spiel endete 3:2 für die Tschechoslowakei.“

Sie sagten, dass solche Begegnungen nie mit nur halber Kraft gespielt wurden. Kann man aber auch sagen, dass sie von viel Prestige geprägt wurden, weil häufig „David gegen Goliath“ gegeneinander gespielt haben, wie Sie es schon angedeutet haben?

Politiker Wenzel Jaksch im Blatt „Freiheit“ (10.9.1927): „Eigentlich widerfuhr unserer Auswahlelf die Ehre als tschechoslowakischer Ländermannschaft angekündigt zu werden, dass die braven Weißkirchlitzer, Bodenbacher und Egerländer dem Publikum als ´Tschechen` vorgestellt wurden. Es ist halt ein Kreuz, dass uns manchmal nicht einmal die eigenen Stammesgenossen auf den Namen kommen können.“

„Das ist vollkommen richtig. Es ging um das Prestige und darum, sich zu präsentieren. In diesem Fall war es aber etwas skurril. Die Mannschaft der sudetendeutschen Arbeitersportler war eben das Team der Tschechoslowakei. Das sorgte in München bei den Zuschauern für Irritation. Sie verstanden nicht, dass es sich bei der Truppe um ein Team aus der Tschechoslowakei handelte, deren Spieler aber im Endeffekt alles Deutsche waren. Nichtsdestotrotz ging es aber auch bei dem Team aus der Tschechoslowakei (ATUS) darum, Prestige zu gewinnen.“

Wie war das Echo auf den Fußball-Länderwettkampf? Welche Bedeutung hatte er und hat er womöglich Signale gesetzt?

„Die damalige Zeit war natürlich längst nicht so medienwirksam wie es heute der Fall ist. Das hatte seinerzeit noch einen anderen Charakter. Die Hauptnachrichten wurden damals nicht vom Sport, sondern von anderen Ereignissen dominiert. Aber natürlich hat dieses Aufeinandertreffen der beiden Teams ganz klare Wirkungen erzielt. Als Konsequenz dieser Freundschaftsspiele gab es dann einige Jahre später eine wirklich organisierte Europameisterschaft im Arbeiterfußball. Dort nahmen dann auch wieder Auswahlteams sowohl vom Verband des reichsdeutschen Arbeitersports als auch von Seiten der sudetendeutschen Arbeitersportler teil.“

Autor: Lothar Martin
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