Wählerbetrug oder Wählerwillen?

Bohuslav Svoboda (ODS) ist heißer Kandidat für das Amt des Prager Primators (Foto: ČTK)
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Die Kommentarspalten der tschechischen Zeitungen waren am Donnerstag voll mit der Einigung zwischen den Bürgerdemokraten (ODS) und Sozialdemokraten (ČSSD) auf eine Koalition im Prager Magistrat. Dazu kam die Diskussion über Nazi-Gräuel und die Gewalttaten bei der Vertreibung, die Staatpräsident Klaus neu befeuert hat.

Bohuslav Svoboda  (ODS) ist heißer Kandidat für das Amt des Prager Primators  (Foto: ČTK)
Noch einmal zur Erinnerung: Die Koalition der liberal-konservativen ODS und der Sozialdemokraten hat den Wahlsieger TOP 09 aus dem Spiel gedrängt bei der Leitung des Rathauses in der tschechischen Hauptstadt. Die meisten Kommentatoren begleiteten das Koalitionsabkommen mit kritischen Worten, so auch Martin Komárek in der Mladá fronta Dnes. Er spricht von einer Schandheirat und Wählerbetrug:

„Die politische Klasse hat erneut vor laufenden Fernsehkameras versagt. Sie hat deutlich gemacht, dass ihr persönliche Eitelkeit, Mandate und Geld näher sind als die Wähler. Die frustrierten Prager, aber auch die Menschen außerhalb, werden jetzt – obwohl ihnen Gewalt völlig fremd ist - ihre Vorfahren irgendwie besser verstehen: die Vorfahren, die zum Mittel der Fensterstürze gegriffen haben.“

In der linksliberalen Právo nennt Kommentator Alexandr Mitrofanov die Prager Rathauskoalition einen bitteren Scherz. Er schreibt:

„Das Symbol für das Verhalten von ODS und ČSSD in der Hauptstadt ist die lange Nase geworden. Die nämlich haben die regionalen Parteibosse allen Wählern gezeigt, auch den eigenen. (…) Das könnte Folgen haben. Auf die angewiderten Anhänger der ODS warten die offenen Arme der TOP 09. Doch wohin flüchten die ehemaligen sozialdemokratischen Wähler, wenn die Prager Verhältnisse in dieser Partei grünes Licht erhalten?“

Kommentator Petr Kamberský glaubt indes, dass sich diese Frage so gar nicht stellt. Und einen Wählerbetrug könne er auch nicht sehen, wie Kamberský in der Lidové noviny ausführt:

„Worin liegt der Betrug, wenn sich zwei Parteien auf eine offene Zusammenarbeit einigen? Haben sie damit ein Versprechen gebrochen? Ich bezweifle stark, dass dieses Ergebnis die Wähler von ODS und ČSSD stört. Es lässt sich zwar auch nicht ausschließen, aber bisher haben wir darüber noch keine Informationen.“


Andenken an 17. November - Pavel Bém,  Petr Nečas und Václav Klaus  (Foto: ČTK)
Soweit die Kommentare zur Prager Rathauskoalition. Daneben wurden indes noch weitere Themen aufgegriffen. So auch die Ansprache, die Staatspräsident Václav Klaus bei einem Gedenkakt für den Widerstand tschechischer Studenten gegen die Nazi-Besatzung am 17. November gehalten hat. Dabei sagte Klaus, dass die gewaltsame Vertreibung der deutschsprachigen Bevölkerung aus der Tschechoslowakei nach dem Zweiten Weltkrieg nicht mit der Gewalt vergleichbar sei, die die Nationalsozialisten in Böhmen und Mähren während des Protektorates ausgeübt haben. In der Hospodářské noviny schreibt Daniel Anýž, dass in Wirklichkeit aber niemand die Verbrechen des Nationalsozialismus mit der tschechischen Gewalt aus der Nachkriegszeit gleichsetze:

Petr Nečas,  Václav Klaus,  Dominik Duka  (Foto: ČTK)
„Die Diskussion über die Ereignisse vom Ende des Krieges ist schmerzhaft, zerreißend und voller Emotionen. Und völlig zu Recht ist dabei zu hören, dass auch die Nazi-Gräuel keine Rechtfertigung sein können für die gewalttätigen Exzesse gegen die Deutschen. Der gestrige Appell von Präsident Klaus, dass diese Taten nicht an das herankommen, was in den Konzentrationslagern geschah, ist indes nur ein Konstrukt. Es ist die typische Klaussche Abgrenzung gegen ein Argument, das niemand vorgebracht hat.“