Wandel im Germanistikstudium in Prag: Mehr Internationalität, schlechtere Deutschkenntnisse

Franz Kafka, Max Brod und Egon Erwin Kisch sind Autoren der Prager deutschen Literatur. Das Germanistikstudium an der Prager Karls-Universität beschäftigt sich unter anderem mit dieser literaturgeschichtlichen Epoche. In den vergangenen Jahren ist der Studiengang auch internationaler geworden. Im Folgenden mehr zur Germanistik in Prag.

Gebäude der Philosophischen Fakultät der Karlsuniversität in Prag  (Foto: Archiv des Tschechischen Rundfunks - Radio Prag)
Insgesamt 200 Studierende sind derzeit im Studiengang Germanistik an der Karlsuniversität immatrikuliert. Es sind sowohl Bachelor- und Masterstudierende als auch Doktoranden. Für das kommende Wintersemester haben sich insgesamt 180 Interessenten für das reguläre Studium beworben – Zwei Drittel für das Bachelor-, ein Drittel für das Masterstudium. Um immatrikuliert zu werden müssen die Bewerber vorher eine Aufnahmeprüfung durchlaufen. Diese testet vor allem die Sprachkenntnisse der Bewerber. Von circa 70 zugelassenen Bewerbern nimmt letztlich aber nur etwas mehr als die Hälfte das Studium auf.

Diejenigen, die ihr Germanistikstudium begonnen haben, sind zufrieden mit der derzeitigen Situation.

„Die Sprachwissenschaft hat hier ein sehr hohes Niveau. Vor allem gegenwartssprachlich ist die Uni Prag dafür bekannt, sehr gut zu sein. In der Literaturwissenschaft ist die Karlsuniversität für eine besondere Spezialisierung bekannt. Und zwar für die Prager deutsche Literatur und deutsch-böhmische Literatur. Sie setzt sich eben viel mit den Autoren hier aus der Gegend und mit der tschechischen Geschichte auseinander.“

Nicht nur die tschechischen Studierenden wissen dieses Angebot zu schätzen. Jährlich kommen knapp 1500 Erasmus-Studierende nach Prag – auch um Germanistik zu studieren. Ein deutscher Doktorand ist begeistert:

„Ich bin tief beeindruckt von der Internationalität. Es sind hier viele Studierende aus ganz Europa. Allgemein ist das Niveau sowohl in der Literatur- als auch in der Sprachwissenschaft sehr hoch. Und dementsprechend auch das Ansehen.“

Illustrativesfoto: Radio Prague International
Eine Studierende aus Moskau schätzt besonders die Vielfalt im Germanistikstudium an der Prager Karlsuniversität:

„In Russland hatte ich nie die Möglichkeit, solche Veranstaltungen wie hier zu besuchen. Zum Beispiel gibt es hier Kurse auf Deutsch zur Varietätenlinguistik, internationaler Kommunikation und Literaturwissenschaft. Hier lernt man nicht nur Deutsch, sondern lernt auch verschiedene Fachbereiche auf Deutsch kennen. Das ist ein großer Vorteil.“

Auch die Dozenten tragen zu diesem positiven Bild bei, meint ein weiterer Student:

„Ich denke, dass das Studium hier qualitativ sehr gut ist. Und dass die Dozenten hier gute Arbeit leisten und wirklich wissenschaftlich tätig sind. Das ist etwas sehr Positives am Germanistikstudium hier in Prag.“


Vít Dovalil  (Foto: Archiv der Prager Karlsuniversität)
Vít Dovalil ist Leiter der Germanistik an der Prager Karlsuniversität. Seit 1997 arbeitet er in verschiedenen Positionen für das Institut. Er kann die Lage in Deutschland und Tschechien gut vergleichen. Denn zwischen 2012 und 2015 vertrat er zwei Kollegen an der Universität in Freiburg. Beim folgenden Gespräch war Dovalil erneut in der Stadt in Südbaden. Der Germanist erläutert im Interview, wie sich sein Studiengang an der Prager Karlsuniversität entwickelt hat. Auch die Studierendenzahlen hätten sich verändert, so Dovalil:

„Die Tendenz ist bei uns in der philologischen Fachrichtung leicht zurückgehend. Grund für diesen Rückgang sind demografische Veränderungen. Denn auch die Gesamtzahl der Studierenden zum Beispiel an der Philosophischen Fakultät geht leicht zurück – wie gesagt demografisch bedingt. Es sind aber keine dramatischen Rückgänge, in den vergangenen fünf Jahren ist die Zahl also relativ stabil geblieben.“

Illustrationsfoto: Griszka Niewiadomski,  Free Images
Wie sieht es im Germanistikstudiengang mit der Situation der Lehrenden aus?

„Wir mussten im Zuge der Reformen in den vergangenen Jahren auch einige Stellen abbauen. Dieser Prozess war ziemlich schmerzhaft – vor allem im Winter 2014/15. Betroffen waren allerdings nicht nur die Germanistik, sondern auch andere Fächer bei uns am Institut und auch an anderen Instituten.“

Wie hat sich dieser Stellenabbau konkret ausgewirkt?

„Bei den aktuell akkreditierten Programmen konnten wir natürlich keinerlei Veranstaltungen reduzieren. Das heißt, die akkreditierten Programme mussten um jeden Preis so weiterlaufen wie bislang, bei weniger Personal. Wir mussten dann einiges ein bisschen umorganisieren. Aber es war noch möglich. Wir haben ein paar Lehrveranstaltungen in Blockseminare verwandelt, sodass die Lehrveranstaltung jetzt nicht kontinuierlich ein ganzes Semester lang läuft, sondern zum Beispiel innerhalb einer Woche absolviert wird. Derartige organisatorische Maßnahmen haben es ermöglicht, die akkreditierten Programme so weiterexistieren zu lassen wie bislang. Aber es war natürlich schwierig – das sage ich auch ganz offen.“

Was hat sich in den vergangenen Jahren am Germanistikstudium verändert?

„Wir haben einen Doppelstudiengang mit Köln akkreditieren lassen.“

„Ich beginne bei den positiven Veränderungen: Wir sind noch offener geworden. Offener im Sinne von den Möglichkeiten, im Ausland zu studieren. Die Erasmus-Programme laufen gut, wir haben neue Partnerschaften, und wir haben jetzt auch einen Doppel-Masterstudiengang zwischen uns und der Universität Köln akkreditieren lassen. Der Studiengang ‚Deutsche Sprache und Literatur‘ wird im Herbst eröffnet. Ab da können die Studierenden an beiden Universitäten ein Hochschuldiplom erwerben. Also wenn sie das Programm erfolgreich absolviert haben. Wir überlegen außerdem, auch eine Partnerschaft mit der Regensburger Universität abzuschließen, um einen weiteren Doppel-Masterstudiengang anzubieten. Abgesehen davon haben wir noch weitere Patenschaften mit der LMU in München und viele Erasmus-Programme.“

Jetzt haben Sie von den positiven Veränderungen gesprochen. Gibt es auch negative?

„Andere Fremdsprachen außer Englisch werden diskriminiert.“

„In erster Linie ist es eine totale Unterfinanzierung, wie ich es nennen würde – ohne zu übertreiben. Und wieder nicht nur in unserem Fach, sondern in den Geisteswissenschaften in der Tschechischen Republik ganz allgemein. Und dann sind auch die zurückgehenden Deutschkenntnisse der Bewerber eine negative Entwicklung, die wir seit Jahren beobachten. Der Grund ist die Situation des Deutschunterrichts an den Gymnasien oder Mittelschulen. Die hat sich verschlechtert. Und so müssen wir uns an der Karlsuniversität damit auch irgendwie auseinandersetzen. Das bremst wiederum das Tempo des Studiums. Die Bewerber haben oftmals Schwierigkeiten, ein paar Seiten Fachtext zu lesen – sei er literaturwissenschaftlich oder linguistisch. Die Gründe hängen sehr eng mit der Politik des Bildungsministeriums zusammen, also den unglücklichen Rahmenbildungsprogrammen, in denen Deutsch und andere Fremdsprachen, außer Englisch, diskriminiert werden. Denn die Schulen sollen in erster Linie Englisch anbieten. Wenn sich jemand für eine andere erste Fremdsprache als Englisch entscheidet, dann muss die Schulleitung die Interessenten darüber informieren, dass die Kontinuität des Deutsch- oder Französischunterrichts nicht unbedingt gewährleistet werden kann. Diese Diskriminierung verkompliziert unsere Situation zusätzlich.“

Wie versuchen Sie, diesem Rückgang der Deutschkenntnisse entgegenzuwirken?

„Wir haben einige Lehrveranstaltungen eingeführt, in denen wir uns gleich zu Anfang des Bachelorstudiums darum bemühen, die Deutschkenntnisse einigermaßen zu stabilisieren. Das sind propädeutische Lehrveranstaltungen in Grammatik und Lexik.“

Sie haben vertretungsweise an der Universität Freiburg gelehrt und so auch Lehrpläne einer deutschen Universität kennengelernt. Haben Sie markante Unterschiede zu den Germanistiklehrplänen an der Karlsuniversität festgestellt?

Universität Freiburg  (Foto: Chalco,  Public Domain)
„Nein, keine markanten Unterschiede. In Freiburg konnte ich problemlos meine Materialien nutzen, die ich vorher in Prag schon zum Lehren verwendet habe. Diese Erfahrung hat mich beruhigt, dass Studierende in Prag auf durchaus vergleichbarem Niveau zu Deutschland studieren. Einen deutlichen Unterschied gibt es vor allem im Bereich der Ressourcen: Die Studierenden in Freiburg kommen zum Beispiel leichter an Literatur in der Bibliothek als ihre Kommilitonen in Prag. Die Bibliotheken in Tschechien sind einfach noch nicht so gut ausgestattet wie in Deutschland. Die Situation verbessert sich zwar, aber nicht so schnell, wie wir uns das wünschen. In Prag lehren wir auf Deutsch, da gibt es gar keinen Unterschied, bis auf die zwei propädeutischen Lehrveranstaltungen: Die Einführung in die Linguistik und die Einführung in die Literaturwissenschaft sind auf Tschechisch. Damit ist es aber erledigt.“

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